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Aus der Gruppe der Sechs

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Vom' Wiener Musikpublikum — und leider auch von der Presse — kaum bemerkt wurde der Besuch von Germaine Tailleferre, die im Konzert-haüs als Pianistin-Komponistin und im Institut Francais als Vorträgende auftrat. In den von ihr gespielten Klavierstücken und in einer bunten Reihe von Miniaturliedern wurde jene Atmosphäre von Kabarett, Zirkus und Music Hall lebendig, in die man in Paris nach dem ersten Weltkrieg aus den farbigen Dämpfen der Wagner-Musik und dem Clairobscur von Debussy und Maeterlinck flüchtete. In Germaine Tailleferres anmutig-pointierten Plaudereien erstanden die Porträts ihrer lugendgefährten und Gesinnungsgenossen von 1919: Milhaud (in dessen elterlichen Wohnung am Boulevard Clichy man sich jeden Samstag traf), Horiegger, Auric, Poulenc und Durey. Auch über die beiden Pro-giammatiker und Theoretiker der Gruppe der „Six“, Jean Cocteau und Erik Satie, wußte Madame Taille-feTre Interessantes und Hochamüsantes zu berichten, ebenso über die Ehrengäste des Zirkels: Gide, Proust, de Falla, Picasso, Diaghilew und viele andere. Gemeinsam mit ihren fünf Kameraden schrieb sie 1921 für das schwedische Ballett „Les Maries de la Tour Eiffel“, die — wie die meisten neuartigen Kunstprodukte in Paris — einen ordentlichen Skandal entfesselten. Heute klingen diese Miniaturstücke und Chansons, die der französische Bariton Bernard Lefort sang, sehr unangressiv und ein wenig dünn: wie aus einer guten, alten Zeit, als solche Dinge noch ernst genommen wurden.

Eines der originellsten Werke aus der Frühzeit der „Six“ ist „La creation du m o n d e“ von Darius Milhaud. Nach einem Negermärchen schrieb Blaise Cendras das Szenarium zu diesem Ballet negre, und Fernand Leger entwarf für die Premiere durch das schwedische Ballett (1923) die Dekorationen. Milhaud war der erste, der (ein Jahr vor Gershwins „Rhapsodie in blue“) Elemente des Jazz in einem größeren Werk verwendete. Paul S a c h e r führte mit einem Ensemble der Symphoniker dieses interessante und erregende Werk zum erstenmal in Wien auf. (Eine gute Aufnahme brachte PHILIPS auf der Langspielplatte Nr. 02.600 mit dem Columbia-Kammerorchester unter L. Bernstein heraus.) Im gleichen Konzert hörten wir Milhauds Kurzoper „Les Malheurs d'O r p h e e“, in der der griechische Mythos in die Camargue transponiert wird: Orpheus erscheint als Bauer, Eurydike als Zigeunerin, die Furien als ihre Schwestern, die Tiere des Waldes als Beschützer des liebenden Paares. — Das mit großem Beifall aufgenommene Konzert wurde 'mit Strawinskys an dieser Stelle bereits besprochener „C a n t a t a“ aus dem Jahr 1952 eröffnet (Ausführende: der Wiener Kammerchor und die Solisten Magda Läszlö und Herbert Handt).

Die übrigen Veranstaltungen der Berichtswoche waren weniger durch ihre Programme als durch den hohen Stand der technischen Ausführung bemerkenswert. Rafael K u b e 1 i k, mit dem die P h i 1-harmoniker gegenwärtig auf einer Auslandstournee sind, leitete das 5. Abonnementkonzert. Nach dem 3. Brandenburgischen Konzert spielte Wolfgang Schneiderhan, der in den letzten fahren geistig und ausdrucksmäßig ungemein gewonnen hat, das Violinkonzert von Brahms. Tschaikowskys 4. Symphonie zeigte den jungen temperamentvollen Dirigenten ganz in seinem Element und wurde stürmisch applaudiert. — Das Zagreber Solistenensemble, zwölf Streicher unter der Leitung des Cellisten Antonio I a n i g r o, spielte sehr kultiviert und tonschön alte Italiener und das Divertimento D-dur von Mozart. Im gleichen Konzert sang der slawische Belcanto-Bariton Vladimir Ruzdjak Arien von Monteverdi und Händel. — Tappia Caballero aus Chile erwies sich in seinem Klavierabend als poetischer Interpret der Symphonischen Etüden von Schumann sowie in einer Reihe kleinerer Stücke von Debussy, Albeniz und de Falla als Klangkünstler. Auch sein natürlicher Vortrag einer Beethoven-Sonate (op. 31, Nr. 3) hat gut gefallen.

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