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Ausklang der Wiener Festwochenkonzerte

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Als besondere Bereicherung des Festwochenprogramms bot das Collegium musicum italicum einen reizvollen Rückblick von den Höhenwerken der neuen Musikentwicklung in die italienische Kammermusik des 17. und 18. Jahrhunderts mit ihrer lebendigen Rhythmik und ihrem eleganten spielerischen Kontrapunkt, ihren guten melodischen Manieren und ihrer etwas dürftigen harmonischen Substanz) eines Mueikstils, der damals eben die großen Formen eroberte und uns eine ungezählte Fülle von Meisterwerken bescherte. Die Ausführung dieser karamermusikalischen Kostbarkeiten wurde zum Ereignis durch die Präzision, mit der dies kleine Ensemble von Spezialisten, bekannte Namen des italienischen Musiklebens, unter Leitung von Renato Fasano musizierte. Die Bezeichnung „einmalig für dieses lockere und dennoch scharf differenzierte Spiel ist hier ohne jede Übertreibung am Platze. Von den musizierten Werken seien als besondere Pikanterien ein Concertino von Pergolese und eine Sonata von Rossini genannt.

In einem Vormittagakonzert des Thomanerchors unter Günther Ramin hörten wir von neuen Kompositionen das Credo aus der Deutschen Messe von Ernst Pepping sowie die biblische Szene „Jesus und die Krämer von Zoltan Kodäly, letztere schöner und profilierter, als wir sie in Wien Je gehört haben. — Zwei kleine Chöre von Alexander Spitzmüller („Die Menschheit Gottes Musl- kanfin ist und „Beati mortui ), gesungene Kammermusik von besonderem persönlichem Reiz — und in einigem Abstand davon zwei etwas archaisierend Chorlieder von Wilhelm Waldstein („Er erschreckt uns, der Tod“ und „Schlaf ist mir lieb“) waren die zeitgenössische Ausbeute eines Konzerts des Wiener Kammerchors unter Re in ho Id Schmid. Ein weiteres zeitgenössisches Werk (J. N. Davids „Ut queant laxis“) wurde durch Bruckners „Ave Maria ersetzt. Im übrigen hat man, ohne sich um eine Ansage oder gar Begründung zu bemühen, auch Palestrinas „O bone Jesu durch Gallus’ „Ecce quomodo moritur“ ersetzt. Gesungen wurde mit großer Sauberkeit der Intonation und dynamischer Ausgeglichenheit.

Ziwischen zwei Bach-Kantaten sang die J.-S. - Bach- Kantorei unter Egon Hajefc Evangelienmotetten von Gallus Dreßler und Melchior Frank 6owie den 100. Psalm „Jauchzet dem Herrn alle Welt für Doppelchor von Heinrich Schütz und überschritt in letzterem Werk das gute Mittelmaß der übrigen Leistung in erfreulicher Steigerung. Ging dieser Abend an der zeitgenössischen Musik vorüber, so hat man, wenn auch außerhalb de6 Festwochenprogramms, Alois Forer zu danken, der an seinem Orgelabend die Choralphantasie op. 31 über „In dich hab ich ge- hoffet, Herr“ von Joseph Lechthaler als Uraufführung spielte, was durch die Ausführungsschwierigkeiten ebenso als durch die Hörßchwierigkeit des Werkes ein Wagnis war. Indes begriff das geschulte Publikum über alle Schwierigkeit hinweg die wegweisende Bedeutung der bisher leider unbekannt gebliebenen Komposition, und der Beifall gab dem mutigen Interpreten recht.

Die Reihe der Wiener Festwochenkonzerte wurde mit einer Aufführung der „Gurrelieder von Arnold Schönberg beschlossen. Man wählte die „kleine Fassung“, die aber immer noch einen gewaltigen Apparat erfordert: ein großes Orchester mit vielfach geteilten Streichern, drei vierstimmige Männerchöre und einen achtstimmigen gemischten Chor (der nur in der Schlußapo- theose zum Zuge kommt), fünf Sänger und einen1 Sprecher. Diese Besetzung steht immer wieder der Aufführung entgegen. Um so interessanter war die Wiederbegegnung nach vielen Jahren mit einem Werk, das uns einmal als Inbegriff und intensivster Ausdruck der Romantik begeisterte. Heute empfinden wir, trotz gtoßer und manchmal ergreifender Einzelschönheiten, mehr das Extensive. Auch kommt man beim Wiederhören dieser Musik auf merkwürdige Gedanken. Nein, so konnte ein Musiker von der Intelligenz und mit dem“ geschärften ästhetischen Gefühl Schönbergs nicht weiterkomponieren! Nicht nur, daß dieser hypertrophe Apparat keine Steigerung mehr zuläßt. Hinter dem Klangmassiv gähnte der Abgrund des Kitschs. Und da schwang sich Schönberg — mit einem unvergleichlich kühnen Schwung, den ihm kaum ein Künstler vor. oder nachgemacht hat — ins Ungewisse, um im Bilde zu bleiben: ins Ätherblaue. Man hat immer wieder versucht, diesen Vorgang wissenschaftlich, da6 heißt evolutionär, zu erklären. Aber zwischen den Frühwerken Schönbergs und den späteren, etwa schon den Stefan-George-Lieder, klafft ein Abgrund. Und die Nervosität, mit der Schönberg auf sein Porträt als Adrian Leverkühn in Thomas Manns „Doktor Faustus reagierte, enthüllt vielleicht mehr als alle Analysen. — Paul Klecki und die Wiener Symphoniker leisteten bei der Aufführung Außerordentliches. Hilde Zadek, Lore Fischer, Waldemar Kmentt und Walter Berry sangen die Soli. Erich Witte als Waldemar und Franz Höbling als Sprecher erwiesen sich leider als Fehlbesetzungen. Singverein, Wiener Lehrer-a-capella-Chor und Tonkünstlerchor vereinigten sich mit dem Orchester zu einer gewaltigen, aber stets geordneten Klangmasse.

Damit auf dem Konzertpodium, Abend für Abend, zwei Wochen lang alles klappt, muß hinter den Kulissen ein oft noch komplizierterer Apparat reibungslos funktionieren, der von den beiden Generalsekretären unserer großen Konzertgesellschaften unermüdlich in Gang gehalten wurde. Daß der Muslkkongreß und die Festwochenkonzerte überhaupt stattfinden konnten, danken wir der Initiative des Amtes für Kultur und Volksbildung, vor allem aber dem Präsidenten der Gesellschaft der Musikfreunde und dem der Konzerthausgesellschaft, die nun schon seit Jahren eine zeitgemäße Art des Kunstprotektorats verwirklichen.

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