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Ausklang mit Gilgamesch-Oratorium

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Die Wiedergabe von Verdis „Requiem“ unter Karajan (Symphoniker, Singverein) kann vermutlich als die bisher beste in Wien bezeichnet werden. Die bekannten dramatischen Effekte waren nirgends Selbstzweck, sondern immer einer, gläubigen inneren Haltung verhaftet, die noch selten so überzeugend - interpretiert wurde. Solisten (Leontyne Price — ein Erlebnis für sich, Oralia Dominguez, Giuseppe Zampieri, Niccola Zaccaria), Chor und Orchester wuchsen zu einem Instrument von Präzision und Beseeltheit zusammen, die kaum überboten werden können. Zwischen dem letzten Ton und dem einsetzenden stürmischen Beifall lag eine Pause der Ergriffenheit.

Paul Hindemiths „Madrigale nach Texten von Weinheber“ bedeuten einen neuen Kammerchorstil, der mit heutigen Mitteln den Geist der alten Madrigalkunst erneuern will und sich daher aller sprunghaften Melodik, extremen Stimmlagen und aller Instrumentalismen enthält. Es ist zu vermuten, daß Hindemith selbst (zu geeigneteren Texten) diesen Stil noch weiter auflockern wird. Der Wiener Kammerchor diente unter des Komponisten Leitung der Ausführung mit der gleichen Hingabe wie der Uraufführung im Vorjahr. Jagd- und Kriegslieder von Piero di Firenze, Andrea Gabrieli, Clement Jannequin und einem Anonymus ergänzten das Programm, dessen Höhepunkt die vier fünfstimmigen Madrigale von Carlo Gesu- a 1 d o. bildeten. Marilyn Horn, Margarete Sjöstedt, Christa Ludwig, Murray Dickie und Walter Berry saßen im Halbkreis um den Dirigenten Hindemith und sangen die metrisch und durch ihr Chroma auch intonationsmäßig schwierigen Madrigale zu stürmischem Erfolg. Sechs Prominente dienten einem Vergessenen. Ein ethischer Höhepunkt des Musikfestes.

Wir haben nachzuholen: Das Streichquartett Nr. 1 von Leos J a n ä č e k, stilistisch als Gegensatz zur Entwicklungstechnik der Klassik von eigenartigem Reiz, kennt keine Themenverwandlung, Erweiterung und so weiter, wohl aber eine ständig wechselnde Beleuchtung in der Wiederholung der Motive. Die präzise und doch intensiv lebendige Interpretation durch das Janäöek-Quartett darf ebenso als authentisch betrachtet werden wie die des Streichquartetts e-moll von Bedri ch Smetana (Aus meinem Leben) durch das Smetana-Quartett. Beide Gastquartette vereinigten sich schließlich zu ixism sh' , A srCT .nsifen ux sidoirisess.is „Alte Zeit — Neue Zeit“ nannte sich ein S c h ü 1 e r k o n z e r t der Musikschule der

Stadt Wien, Sektion Döbling (Leiter Franz Schmitzer), das in seiner Art in das Internationale Musikfest einbezogen werden kann. Werke von Händel, Schubert, Chopin und Brahms wurden Kompositionen von Hanns Jelinek und Bėla Bartök gegenübergestellt und mit einem Klavierkonzert von Johann Christian Bach beschlossen. Daß die Kinder den einen wie den anderen Stil in gleicher Einfachheit und Unkompliziertheit auszuführen vermochten, beweist ihre Aufgeschlossenheit und noch mehr die der Lehrer, vor allem des Leiters, der damit ein kaum wiederholtes Exempel von Musikerziehung statuierte.,

Franz Krieg

Hauptwerk des letzten, von Paul Sacher geleiteten Musikfestkonzerts war das 50 Minuten dauernde Oratorium „Gilgamesch“ von Bohu- slav Martinu, dessen um die ewige Menschheitsfrage — nach dem Sinn des Sterbens und des Todes — kreisender Text aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend stammt und der um 700 vor Christus in Keilschrift auf Toijtafeln aufgezeichnet wurde, die im Britischen Museum verwahrt werden. — Vom Komponisten dieser ältesten poetischen Urkunde des Menschengeschlechtes erwarten wir Respekt und die genaue Ueberlegung, welche Art von Stilisierung einem solchen archaischen, hochehrwürdigen Gegenstand angemessen wäre. Mit einem frisch-fröhlichen, böhmisch-romantischen Drauflosmusizieren ist es da nämlich nicht getan. Der aus der Tschechoslowakei nach Amerika emigrierte Komponist scheint sich über die Problematik und Verantwortlichkeit eines solchen

Unternehmens keine Gedanken gemacht zu haben, und das Resultat ist dementsprechend. Dieses Gilgamesch-Oratorium, das zu seiner Realisierung einen großen Apparat mit Chor, Orchester, vier Solisten und einem Sprecher erfordert, ist überflüssig. Um so mehr, als wir vor einem Jahr eine wesentlich ernster zu nehmende Vertonung des gleichen Gegenstandes durch den Wiener Komponisten Alfred Uhl kennengelernt haben (die an dieser Stelle seinerzeit ausführlich besprochen wurde). — Aber auch die beiden anderen Stücke dieses Konzerts sind keine Meisterwerke: Strawinskys „Concerto en Re“ macht den Eindruck einer Routinearbeit, und B a r- t ö k s 1. Violinkonzert ist ein noch ziemlich unprofiliertes Jugendwerk, über das wir anläßlich seiner Uraufführung durch Paul Sacher in Basel schon berichtet haben. Im zweiten Satz (Allegro giocoso) gab es überdies noch einen regelrechten Schmiß, der bezeugte, daß der Solist (Yehudi Menuhin) seinem Gedächtnis zuviel zumutete, als er dieses fast unbekannte Werk auswendig zu spielen den Ehrgeiz hatte (was niemand von ihm erwartete).

Sehr decouvrierend war das Konzert der Bamberger Symphoniker unter Joseph Keilberth. Zunächst das Programm, das Hindemith (Bostoner Symphonie) seinen legitimen Ahnherrn gegenüberstellte: Pfitzner und Reger. Des ersteren Violinkonzert op. 34 beginnt sehr kühn und vielversprechend; dann bewundert man des Meisters Satzkunst und originelle Formbehandlung — und langweilt sich schließlich enttäuscht bei einem endlos ausgebauten Rondothema, das weniger naiv als banal ist. Schade. Diesen peinlichen Schlußeindruck konnte auch die sehr tüchtige, sensible und hochmusikalische junge deutsche Geigerin Edith Peine- m a n n nicht abschwächen. Aber der Dirigent hätte es tun können: durch ein wesentlich lebhafteres Tempo zum Beispiel. In den Bambergern lernten wir ein diszipliniertes, zuverlässiges, zuweilen etwas schwerfälliges und keineswegs überfeinertes Orchester kennen.

Insgesamt 28 Konzerte mit zehn Ur- und Erstaufführungen hat die Wiener Kbnzerthaus-

gesellschaft im Rahmen ihres IX. Internationalen Musikfestes veranstaltet und damit auch den weitaus größten und gewichtigsten Beitrag zu den Wiener Festwochen geliefert. Dafür gebührt ihr und ihrem künstlerischen Leiter, Professor Dr. Egon Seefehlner, Anerkennung und Dank. — Ein Sonderlob verdienen auch die nicht nur graphisch elegant-modern gestalteten Programme (Josef

Mikel), sondern auch die ausführlichen, sachlich wohlfundierten, aber keineswegs trocken-didaktischen Kommentare zu den einzelnen Werken aus der Feder von Rudolf Klein. — Es gab nur einige wenige Programmänderungen, ein Zeichen für die sorgfältige Planung und Organisation dieses großen Musikfestes. Den gemachten Anstrengungen entsprach auch der Erfolg: Mehr als 27.000 Karten wurden verkauft, und gegenüber dem Vorjahr (mit rund 300.000 Schilling Einnahmen) stiegen diese heuer auf rund 600.000 Schilling, eine Summe, die der Chronist mit Befriedigung vermerkte, weil sie beweist, daß das Publikum auch Konzerte mit neuer Musik gern besucht, wenn die Qualität der Ausführung garantiert ist.

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