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Bartoks grobe Trilogie

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In den Jahren 1911 bis 1919 hat Bartök drei Bühnenwerke geschaffen. Später, bis zu seinem frühen Tod im Herbst 1945 in New York, hat er weder Opern noch Ballette geschrieben. — „Herzog Blaubarts Burg“ auf einen märchenhaft-symbolistischen Text von Bela Baläsz (dessen Symbolik nicht immer ganz durchsichtig ist), ein musikalischer Geysir von knapp einstündiger Dauer, ist Bartöks erstes Meisterwerk und wird, konzertant oder szenisch, überall in der Welt aufgeführt, so daß es an dieser Stelle nicht vorgestellt zu werden braucht. Wohl aber muß über die szenische Realisierung gesprochen werden, weil für diese noch niemand eine befriedigende Lösung gefunden hat. Auch die Wiener Volksoper nicht, wo wir Bartöks Einakter vorher sahen. Auch die Budapester nicht, die mit „Herzog Blaubarts Burg“ ihren Gastspielabend im Theater an der Wien begannen. Doch muß dem Regisseur Kälmän Nädasdy und dem Bühnenbildner Zoltän Fülöp ein klares und konsequent verwirklichtes Konzept bestätigt werden. Die Bühne glich dem Inneren einer Kathedrale (deren Dimensionen auf der Budapester Bühne freilich viel eindrucksvoller sein sollen). Das gleichmäßige dunkelblaue Halbrund und die drei Stufen erinnerten an den Neu-Bayreuther „Parsifal“. Die sieben Türen blieben verschlossen, Schatz-und Folterkammer, See der Tränen und „weites Land“ wurden nur durch verschiedenartige Beleuchtung symbolisiert. Nur bei der Erscheinung der drei früheren Frauen Blaubarts teilt sich rückwärts der Vorhang. Die Wirkung war die eines Concerto scenico, nobel und statuarisch. Aber weshalb dann nicht gleich eine konzertante Aufführung? Weil Judith im Abendkleid und Blaubart im Frack ein wenig lächerlich sind und weil das sichtbar werkende Orchester stört. Die Partie der Judith sang die hochgewachsene, schlanke Olga Szönyi mit schönem, kräftigem, wohltimbriertem Mezzo, den Blaubart sehr musikalisch, mit genügend Stimme und gemessenem Ausdruck Andrds Faragö. Für diejenigen, die das Werk zum erstenmal in der Originalgestalt hörten, mag das Erlebnis der ungarischen Sprache und die vollkommene Übereinstimmung der Musik mit deren jambischem Akzent, deren Wort-und Satzmelodie den stärksten Eindruck gemacht haben. Fast ebenso faszinierend wirkte, was aus dem Orchester kam, das unter Miklös Lukäcs spielte.

Das Ballett „Der holzgeschnitzte Prinz“, 1913 bis 1916 gleichfalls nach einem Libretto von Bela Baläsz geschrieben, wurde am vergangenen Donnerstag in Wien zum erstenmal aufgeführt. Genaugenommen: zum zweitenmal, denn einige Tage vorher sahen wir das mehr als halbstündige Ballett an einem Abend des Staatlichen Puppentheaters Budapest mit Musik vom Tonband. — Es ist die Geschichte von einer spröden, narzißhaft mit sich selbst beschäftigten Prinzessin, um deren Gunst ein junger Prinz vergeblich wirbt, während sie diese einer vom Prinzen geschnitzten Holzpuppe alsbald zuwendet. Aber der holzgeschnitzte Prinz fällt auseinander, eine gute Fee macht den Prinzen zum König des Waldes, und nachdem die Prinzessin einer Prüfung unterzogen wird, bei der ihr der Prinz zu Hilfe eilt, schenkt sie endlich ihrem Verehrer Gehör. — Bartöks Partitur enthält einige sehr profilierte rhythmische Nummern, besonders wenn er karikieren will. Die Pantomimen der Prinzessin, Waldzauber und Naturstimmung werden in impressionistischen Farben, wenn auch mit schärferen Konturen als von den Franzosen gezeichnet. Das Bühnenbild von Fülöp war nicht gerade poetisch, die Führung der Solisten durch den Regisseur und Choreographen Gyula Harangozö zweckmäßig-realistisch, dem Regiebuch entsprechend. Für Prinz und Prinzessin hat das ungarische Staatsballett zwei schöne junge und technisch ausgezeichnete Solisten einzusetzen: Ferenc Havas und Maria Kekesi. In der Titelrolle brilliert _ Rudolf Budavdry als Grotesktänzer.

Bartöks letztes Bühnenwerk, das Tanzspiel „Der wunderbare Mandarin“, 1918/19 geschrieben, mußte wegen des „harten“ Librettos von Lengyel noch länger auf seine Uraufführung warten, als die beiden früheren Werke, die 1918 in Budapest herauskamen. Erst 1926 machte man in Köln einen Versuch, mußte das Stück aber wegen eines Theaterskandals gleich wieder absetzen. In Budapest wurde die Aufführung 1931 und 1941 vorbereitet — und beide Male von der Zensur verboten, trotz der Verlegung des Schauplatzes aus dem Zimmer auf die Straße beziehungsweise in eine Bergschlucht. Der 1945 erfolgten Budapester Premiere vom Dezember 1945 folgten rasch andere Bühnen nach, und in der Wiener Staatsoper sahen wir seither zwei Neuinszenierungen des heute nicht mehr umstrittenen Werkes: durch Erika Hanka und Aurell von Milloss. Mit diesen kann sich die von unseren Budapester Gästen gezeigte kaum messen, trotz guter Besetzung der Hauptpartien: der drei Strolche durch die Herren Sipeki, Sallay und Peter, des Mandarins durch den stattlichen Viktor Fülöp und des „Mädchens“ durch die brillante Gabriella Lakatos. — Die auch heute noch wie ein permanenter Schock wirkende Meisterpartitur, in der der ostinate Rhythmus Orgien feiert, wurde durch Jänos Ferencsik und das Ungarische Staatsopernorchester mit Temperament ausgeführt. Hier war jene Spannung, die man auf der Bühne durch akrobatische und athletische Gags zu ersetzen versuchte ...

Kurz vorher sahen wir eine Vorstellung des mit Recht berühmten, vor 20 Jahren durch einige junge Schauspieler, Maler und Dekorateure gegründeten Budapester Puppentheaters. War schon „Der holzgeschnitzte Prinz“ seinem großen „realistischen“ Bruder auf der Ballettbühne überlegen, so war der Triumph von Strawinskys „Petruschka“ ein vollkommener. Reduktion aufs Wesentliche, aparte Einfälle, Witz und Phantasie charakterisieren die freie Bearbeitung von Dezsö Szilägyi und die Regiearbeit von Katö Szönyi. Gegenüber dem „Holzgeschnitzten Prinzen“ waren hier auch die Puppen und Dekorationen bestens geglückt. In beiden Stücken erfolgt der Übergang vom Poetischen ins karikierend Skurrile sozusagen im Handumdrehen. Dabei ist alles Künstlerische genau durchdacht und bis ins Detail durchgeführt. Manche Zaubereien auf der Bühne, Laterna-Magica-Effekten ähnlich, glaubte man nur durch Projektionen realisierbar. Aber wenn man genau hinschaute, so waren es „nur“ kunstvoll ausgeleuchtete Kulissen... Die Wiedergabe der Musik erfolgte durch Tonbänder. Das Publikum war mit Recht begeistert und empfand den „Petruschka“ als originelle Huldigung zum bevorstehenden 85. Geburtstag Strawinskys.

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