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Beispiele neuer Musik

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Für den, der Strawinskys Opus kennt, bedeutet die 1948 durch Ansermet in der Scala urauf-geführte „Messe für gemischten Chor und doppeltes Bläserquintett“ keine Ueberraschung. Bereits aus dem Jahre 1926 stammt ein „Pater noster“ für a-cappella-Chor, 1930 folgt die große „Psalmensymphonie“ und zwei bzw. vier Jahre später ein „Credo“ und ein „Ave Maria“. Während die „Psalmensymphonie“ noch einen gewissen Prunk in der Verbindung alttestamentarisch-archaischer und byzantinisch-orthodoxer Elemente aufweist, ist die „Messe“ das weitsaus sprödeste und spirituellste Werk Strawinskys. Anläßlich der Uraufführung von „The Rake's Progress“ in Venedig erklärte Strawinsky in einem Interview, daß er für eine Kunst ohne Kanon kein Interesse habe uniLdaß man die Freiheit nicht erlangen könne, wenn man keine Beschränkung annimmt. Diese seine Auffassung der Freiheit sei der römisch-katholischen sehr ähnlich. Das sei nicht erstaunlich: „Ich bin in der tiefen Bewunderung des Katholizismus aufgewachsen, wozu mich sowohl meine geistige Erziehung als auch meine Natur gebracht haben: ich bin viel mehr Abendländer als dem Osten zugehörig.“ — Die äußerst knappe, konzentrierte Form und die streng liturgische Sprache machen es dem Hörer und den Ausführenden nicht leicht. Der Text wird durch die Musik nicht „vertont“, sondern von innen her erleuchtet. Freilich wird das ganze Werk erst bei wiederholtem Hören „transparent“.

Auch Boris B 1 a c h e r s Kammeroper „Romeo und Juli a“, das zweite Stück dieses gehaltvollen Musica-viva-Konzertes, weist in einzelnen Nummern die Genauigkeit und Kürze mathematischer Formeln auf. Der klug zusammengestellte Text, ein Shakespeare-Konzentrat, ist episch angelegt; ihm entsprechen die statischen Formen, die sich meist aus rhythmischen Motiven entwickeln. Das einstündige, völlig unpathetische und mit zarten Lyrismen durchsetzte Werk ist ein Gegenstück zum Musikdrama. Nach der Anweisung des Autors kann es als Ballett inszeniert, als Oper aufgeführt oder konzertant gegeben werden. Fast ist man geneigt, die konzertante Fassung vorzuziehen, denn es wäre schade um jeden Takt, der den robusteren Gesetzen der Bühne zum Opfer fallen könnte. (Unter der Leitung von Felix von

Prohaska sang der Staatsopernchor und spielte ein Ensemble des Volksopernorchesters; die Titelpartien in „Romeo und Julia“ interpretierten Ilona Steingruber und Waldemar Kmentt.)

Im 4. Orchesterkonzert der Musica.nova-Reihe der R a v a g, deren Aufnahmen in öffentlichen Konzerten im Großen Sendesaal stattfinden, waren drei interessante und charakteristische neue Werke zu hören. Strawinskys „Jeu de carte s“, 1936 für das „American Ballet“ geschrieben, ist vielleicht das gefälligste und amüsanteste Werk des Meisters. Jeder der drei Sätze beginnt mit einer marschartigen Einleitung, die das Mischen des Kartenspieles symbolisiert. Im Allegro scherzando des letzten Teiles erreicht die Heiterkeit ihren Höhepunkt, wenn das atemlose Thema aus Rossinis „Barbier“ liebenswürdig und mit Strawinskyscher Trockenheit persifliert wird. —

Das Violakonzert, aus Bartöks letztem

Lebensjahr stammend und für William Primrose geschrieben, zeigt den klassisch-reifen Spätstil und ergreift vor allem durch die trauervolle Schönheit seines Adagios (der junge Eduard Melkus spielte den schwierigen Solopart). — Eine neue Klangwelt hat sich der junge deutsche Komponist Hans Werner H e n z e (Jahrgang 1926) erobert. Die Zwischenspiele aus „Boulevard S o 1 i t u d e“, einer modernen surrealistischen Manon-Oper, die mit großem Erfolg in Westdeutschland aufgeführt wurde, lassen ein eigenartiges Talent erkennen, das mit Hilfe der Zwölftontechnik ähnliche Stimmungen zu realisieren sucht wie seinerzeit Alban Berg. Heinrich Hollreiser hat mit den Symphonikern diese drei so verschiedenen Werke mit sicherem Gefühl für ihre Eigenart und sehr eindringlich interpretiert. (Das besprochene Konzert ist am 15. April um 20.45 Uhr über den Sender Wien II zu hören.)

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