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Belgrader Nationaltheater in Wien

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Nach der Württembergischen Staatsoper (1959 und 1962) und der Deutschen Oper Berlin (1960), gastiert nun im Großen Haus am Ring an neun Abenden, mit vier verschiedenen Programmen, das Ensemble des Nationaltheaters Belgrad, das im Rahmen eines „Gesamtgastspiels“ mit eigenen Solisten und Dirigenten, mit Chor, Ballett und Orchester sowie mit eigenen Dekorationen und Kostümen gekommen ist.

In fünf Jahren wird das Belgrader Nationaltheater, das zunächst als Sprechbühne begründet wurde, sein 100. Jubiläum feiern können. Ein Opernensemble mit Ballett besteht erst seit 1920. Der erste Dirigent und Direktor des Hauses ■war Stanslav Benicki, dem 1924—1934 der bekannte Komponist Stevan Hristic folgte. Nachdem die wichtigsten Werke des italienischen und französischen Repertoires erarbeitet worden waren, konnte man sich nun der eigentlichen Aufgabe des Instituts zuwenden: der Wiedergabe der großen slawischen Opernwerke von Tschaikowsky bis JanäCek, sowie, natürlich, auch den in der Zwischenzeit geschaffenen Opern und Balletten jugoslawischer und kroatischer Autoren.

Die Interpreten während der ersten Zeit waren fast ausschließlich Russen. Im zweiten Dezennium rückten junge jugoslawische Sänger an die Spitze, die zum Teil in Italien, vornehmlich aber in Wien ausgebildet, worden ivaren und von denen einige internationalen''Ruf genießert.' Tni Ballett blieben die Russen dominierend, und zwar nicht nur als Spitzentänzer, sondern auch durch die Pflege des klassischen Ballett-Repertoires. Die Werke der einheimischen Opern- und Ballett-Komponisten basieren auf der überaus reichen und vielfältigen Folklore des Landes.

Bereits vor dem zweiten Weltkrieg hatten zahlreiche westliche Künstler von internationalem Rang in Belgrad und in anderen jugoslawischen Städten gastiert. Nach 1945, als man in dem von Bomben zerstörten, aber bald wiederaufgebauten Haus zunächst ohne Kostüme und Dekorationen spielte (!), begannen die Tourneen der Belgrader Oper und des Balletts. Man war in Wiesbaden bei den Maifestspielen, in Paris, Florenz, Lausanne und Venedig, in Edinburgh, in Athen und in der Schweiz, in Brüssel, Warschau und Kairo zu Gast, hat also internationale Erfahrung.

In Wien werden folgende Opernwerke und Ballette gegeben: Mussorgskijs nachgelassene, von Dimitri Schostakowitsch instrumentierte und szenisch eingerichtete Oper „Chowanschtschina“; „Der Spieler“ von Prokofiejf nach einer Erzählung Dostojewskijs (bereits 1917 komponiert, aber erst zwölf Jahre später im Theatre de la Monnaie in Brüssel uraufgeführt!); „Don Quichotte“ von Massenet, 1910 für Schaljapin geschrieben, nach der Uraufführung in Monte Carlo aber vom Repertoire verschwunden und von den Belgradern wiederentdeckt; schließlich, am letzten Abend, drei moderne Ballette: „Vibrationen“ von Kresi-mir Fribec, Jahrgang 1908; ein symphonisches Triptychon nach der Oper „Kostana“ von Petar Konjovic, dem 1883 geborenen führenden Vertreter des serbischen Folklorismus, sowie Bela Bartöks „Wunderbarer Mandarin“, der auch im Repertoire der Wiener Staatsoper figuriert.

Die Wahl dieser Werke ist keine zufällige. Die Belgrader bekennen sich nämlich zur „realistischen“ Oper, in der der literarisch wertvolle Vorwurf dem Sänger die Möglichkeit gibt, wirkliche Menschen und lebensechte Charaktere auf die Bühne zu stellen. Sie halten nicht viel vom „epischen Theater“, vom „concerto scenico“, wie es etwa seit 1920, vor allem durch die Neoklassizisten, propagiert wurde. Wir werden in der nächsten Folge der „Furche“ ausführlich über das Gastspiel der Belgrader Oper berichten und dann feststellen können, ,wieweit ihre Leistungen den Intentionen entsprechen.

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