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Der gerettete Orpheus

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Im Theater an der Wien hat zur Eröffnung der Wiener Festwochen am vergangenen Sonntagabend die Erstaufführung von Joseph Haydns Oper „Orfeo ed Euridiee“ stattgefunden. Nach dieser Premiere müssen wir unsere eher skeptische Meinung über Haydn, den Opernkomponisten, gründlich revidieren. — Der verdiente Haydn-Forscher H. C. Robbins Landen erinnert daran, daß Eszterhäza in den Jahren 1776 bis 1790 neben Neapel, Mailand, Wien, Paris und London zu den führenden Opernzentren Europas gehörte. In diesem Zeitraum dirigierte Haydn rund 100 verschiedene Opern (darunter zwei Dutzend eigene), und in dem Jahrzehnt nach 1780 gab es in Esterhäza mehr als 1000 Opern-aulfführungen. 1790 starb Fürst Nikolaus der Prachtliebende, das Theater wurde geschlossen, und Haydn reiste nach London. Dort schrieb er, für das italienische Theater, „Orfeo ed Euridiee“ auf einen Text Carlo Francesco Bandinis. Zwar fand die Aufführung infolge widriger äußerer Umstände nicht statt, doch blieb die Musik erhalten: da ein Stück und dort ein Stück, Partitur und Stimmen, die 1950 Mr. Landon zusammenfügte. Schon im Jahr darauf fand in Florenz die Uraufführung statt, 'darnach hat man es noch in Venedig, in Bern und in Boston versucht. Eine konzertante Aufführung gab es auch in Wien. Aber der Bühnenerfolg blieb dem Werk versagt. Möglich, daß es ihn nun, nach dieser Wiener Premiere, finden wird.

Das wäre keinesfalls das Verdienst des Regisseurs Rudolf Hartmann, der sich für keinen bestimmten Stil entscheiden konnte, noch des Bühnenbildners Heinz Ludwig, der die acht Szenen vor modernistischen, gefällig-abstrakten, buntfarbigen Projektionen spielen ließ und sich auf der Bühne mit einem riesigen drehbaren Bügelbrett begnügte, das er recht geschickt zu verwenden wußte. Dem Ballett in Miniröcken von sportlicher Eleganz und später dem expressionistischen Gehaben der ganzen Truppe, die nicht nur wild diurcheinanderwurlt, sondern auch noch von farbigen Scheinwerfern verquirlt wird, schaut das Publikum ebenso ratlos zu, wie Orpheus, dem die Exhibitionen gelten (Choreographie: Imre Eck). — Diese „Modernisierung“ Haydns war von allen Interpreten gut gemeint, aber war sie notwendig? Als Alternativlösungen hätten sich angeboten: eine möglichst genaue historische Rekonstruktion nach einer Oper mit klassischem Sujet, wie sie um 1800 inszeniert wurde, oder aber ein heller Winckelmannscher Klassizismus...

Gepflegte Langeweile, wie sie solche Ausgrabungen und Rekonstruktionen oft auszustrahlen pflegen, gab es glücklicherweise nicht — dank der großartigen Protagonisten, denen recht eigentlich der Abend gehörte. — Sie werden im August in Edinburgh mitwirken und Haydns „Orfeo“ vielleicht auch für kommende Jahrzehnte retten.

Da ist zunächst die Australierin Joan Sutherland, eine königliche Erscheinung mit noblem Spiel, eigentlich ein lyrischer Mezzosopran, dessen Kanti-lenen von edelstem Wohllaut sind, zugleich auch eine brillante Koloratursängerin mit elastisch-beweglicher Stimme und absolut sicheren und wohlklingenden Spitzentönen. — Orfeo war und sang Nicolai Gedda, den wir noch nie in so guter Form gehört haben: kraftvoll, strahlend, mit dramatischem Ausdruck und lyrischem Schmelz. Für beide gab es auf offener Bühne minutenlangen Beifall. Von ähnlichem Format war auch der Baßbariton von Spiro Malas, der den Vater Eurydikes würdevoll agierte. In einer Nebenrolle, als Genio, erfreute Mary O'Brien durch ihre knabenhafte Erscheinung und ihren schlanken Sopran. Ihre Koloraturen überließ sie freilich Joan Sutherland, die sie mit Brillanz absolvierte.

Die Musik Haydns, stilistisch etwa in der Mitte zwischen Gluck und Mozart, ist inspiriert und dramatisch, freilich nicht im Sinn der Oper des 19. Jahrhunderts. Eine gewisse Objektivierung durch die klassischen Formen wird durch ihre humane Sprache wieder aufgehoben, in der ein edler Trauerton dominiert. (Nur die Dreiminutenouvertüre gibt sich recht flott und unpersönlich.) Neu ist die häufige unet virtuose-'Vterwendung des Chores (Afcademieka|nmerchdr); überraschend die orchestrale Fülle, die hauptsächlich von den durchweg verdoppelten Bläsern herrührt. Dem Orchesterpart blieben die Wiener Symphoniker nichts schuldig. Sie waren durch Richard Bonynge, einem feinen Musiker und ausgezeichneten Haydn-Kenner, besser betreut als die Sänger, obwohl sich unter diesen auch die Gattin des Dirigenten befand. Ungewöhnlich lauter und langanhaltender Beifall bedankte die Leistungen aller Ausführenden und bestätigte der Festwochenintendanz ihren ersten großen Erfolg.

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