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„Der große Kalender“ und zweierlei Jazz

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Im Großen Sendesaal des Oesterreichischen Rundfunks wurde das abendfüllende vierteilige Oratorium „Der große Kalender“ von Hermahn R e u 11 e r (geb. 1900) aufgeführt. Ludwig Andersen hat den Text gestaltet, dessen 24 Nummern durch sechs verschiedene „Bauernregeln und Kalenderzeiten“ gegliedert sind und der Bibelworte, Volkstümliches und Kunstdichtung (von Goethe, C. F. Meyer und anderen) zur Einheit bindet. Den gleichen synthetischen Charakter weist auch die Musik Hermann Reutters auf: Antiphone, Choräle, altdeutsch Getöntes und Tänzerisches, das gelegentlich an Stra-winsky, Egk und Orff anklingt. Man empfindet Reutters Art des Musizierens als typisch süddeutsch: die Gelenkigkeit seiner Phantasie, das eher Gefällige als Verstiegene, seinen Klangsinn und die natürliche Formbegabung. (Lediglich im letzten Teil wäre durch Straffung, das heißt durch wesentliche Kürzung zweier Orchesterinterludien, eine bessere Dramaturgie zu erzielen.) - Miltiades Caridis leitete mit Autorität und Eleganz ein Riesenensemble: Chor und Orchester des Wiener Rundfunks, eine Gruppe von Wiener Sängerknaben und die beiden ganz ausgezeichneten Solisten Friederike Sailer und Otto Wiener.

Im Großen Konzerthaussaal dirigierte Hans Swarowsky das 3. Konzeft des Zyklus „Neue Musik“. Auf dem Programm standen Theodor Bergers „Chronique s y m p h o n i q u e“, Wolfgang Fortners „M o u v e m e n t s“ für Klavier und Orchester, Ernst Kreneks „Sym-

phonie Pallas Athene“ und Hans Werner Henzes Konzertsuite aus dem Ballett „Mara-tona di danza“. Von jedem der vier Komponisten, deren ältester 1900 und deren jüngster 1926 geboren wurde, kann gesagt werden, daß er sein Handwerk versteht und etwas Eigenes zu sagen hat. Berger und Henze wirken unmittelbar, der erste durch die Kraft und Vehemenz seiner Tonsprache, Henze duich seine immer wieder faszinierenden Farben und die virtuose Einbeziehung einer kleinen Jazz-Combo in das normale Symphonieorchester. Krenek und Fortner beeindrucken durch den Ernst ihrer Aussage, die Dichte der thematischen Arbeit und die stets spürbar waltende Gesetzmäßigkeit, — Vom Logisch-Strengen zum Esoterisch-Spröden ist freilich nur ein Schritt, und dieser wird ohne Zögern getan. Weder Fortner noch Krenek zeichnen grau in grau, und auch an rhythmischen Pikanterien fehlt es nicht. Trotzdem machen sie es ihren Hörern nicht leicht. Auch wenn ihre Stücke so sicher einstudiert und dargeboten werden wie durch die Wiener Symphoniker, denen für dieses Konzert ein Sonderlob gebührt. Solisten des Tanzorchesters Carl de Groof spielten den Jazzpart in Henzes Ballettmusik. Jacques Klein war der Solist des Fortnerschen Klavierkonzerts.

Das amerikanische „Modern Jazz Quartet“ wurde vor kurzem dadurch ausgezeichnet, daß es — als eines der interessantesten und ernstesten Jazzensembles — zu den Donaueschinger Musiktagen eingeladen worden war. Und in der Tat: diese vier

jungen, bärtigen Herren in Smokings haben nicht enttäuscht. Was sie an dem von der „M u s i k a 1 i-schen Jugend“ veranstalteten Abend boten, geht über Jazz einerseits weit hinaus, schränkt den Begriff aber auch wesentlich ein. Rhythmus, Swing und Jazzphrasierung sind in ihrem Musizieren als typische Elemente erhalten, die Improvisation ist auf ein Minimum reduziert, etwa auf jenes Maß, das einem guten Cembalisten der Barockzeit belassen war. Ueberhaupt ist die Affinität zur vorklassischen Musik sehr auffallend, und zwar weniger zu den strengen Formen wie Fugato, Fuge oder Kanon, als zu Invention, Passacaglia, Chaconne und Variation. Die kammermusikalische Diskretion ist schon durch die Besetzung gegeben: Klavier, Schlagwerk, Baß und Vibraphon. Die vier Herren Lewis, Kay, Heath und Jackson haben einen eigenen Stil des Pianissimo-musizierens entwickelt, neben dem vieles, was auf unseren Konzertpodien geboten wird, grob und undifferenziert anmutet. (Eine Serie kleiner Langspielplatten mit Aufnahmen des „Modern Jazz Quartet“ ist bei der Firma „Metronome“ erschienen.)

Helmut A. Fiechtner

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Wer den Entwicklungsgang des Orchesters der Philharmonia Hungarica seit seiner Konstituierung und den ersten Proben über die verschiedenen Konzerte bis zum letzten Abend im Großen Musikvereinssaal verfolgen konnte, darf eine klare und stetige Aufwärtsbewegung feststellen. Gestützt auf die eklatanten Qualitäten der Streichergruppen, deren dynamische Spannweite zu rühmen ist, hat auch das Zusammenspiel und das Aufeinanderhören Fortschritte gemacht. Besonders schön wirkte dies in Beethovens „Siebenter“. Hier war intensive Probenarbeit geleistet worden. Bei Johann

2 Christian Bachs zu - Beginn des Abends gespielter ■ B-dur-Symphonie überzeugte die nicht aufdringlich' Rhythmik. Volkmar A n d r e a e an der Spitze des Orchesters unjl Bahnt V a z s o n y als Solist im Klavierkonzert C-dur von Beethoven, der mit vortrefflicher Technik und herbem Anschlag am Werke war, konnten für starken Beifall danken.

Wenn Vasa P f i h o d a geigt, dann kann die Hörerschaft sicher sein, daß ihr alles geboten wird, was an Hexenkunststücken nur irgendwie denkbar ist. Aber es wäre vorschnell geurteilt, wollte man sich nur an die blendenden Raketen halten und darüber die Gleichmäßigkeit der Tongebung, den edlen romantischen Geist und die leidenschaftliche Bekennerglut bei- Cesar Francks A-dur-Sonate vergessen. Die selten zu hörende Sonate opus 94 von Prokofieff mit ihrem fröhlichen Hauptthema und dem geistreichen Finale atmete ebenso unverkennbar slawische Luft wie die zwei kleinen, mitunter wie Volkslieder anmutenden Stücke von Smetana. Hier und auch bei der Solosonate Bachs lag das Schwergewicht und der Gewinn für den Solisten,' dem Franz Holetschek am Flügel ein einfühlsamer Begleiter, war.

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