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Die Bukarester Philharmoniker

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Unter ihrem ständigen Leiter George Georgescu, der seit vierzig Jahren das Orchester betreut, gastierte die B u k a r e- ster S t a a t s p h i 1 h a r m o n i e itn Großen Musikvereinssaal. Das repräsentative Orchester, das seit dem Tod des großen rumänischen Musikers George Enescu dessen Namen trägt, wurde bereits 1868 gegründet und hat mit zahlreichen Dirigenten und Solisten von Weltrang musiziert. Richard Strauss, Felix von Weingartner, Bruno Walter, Clemens Krauß, Pierre Monteux und viele andere standen an seinem Pult; Ravel, Bartök, Strawinsky und Szymanowski haben mit ihm ihre eigenen Werke aufgeführt; berühmte Instrumentalsolisten wie Backhaus, Casals, Giese- king, Edwin Fischer, Menuhin, Mainardi und Oistrach wurden von ihm begleitet. Vor und nach dem Krieg hat es oft im Ausland konzertiert. Seit 1945 ist die Bukarester Staatsphilharmonie „George Enescu" ein staatliches Institut geworden, 1953 wurde ihr ein großer Chor und ein Volksmusikensemble angegliedert. In der letzten Spielzeit veranstaltete das Orchester rund 500 Konzerte vor knapp einer Viertelmillion Zuhörern. Es umfaßt heute 110 „Mann“ samt etwa einem Dutzend Frauen. Die „Neuorganisation“ von 1953, über die berichtet wird, zielte wohl vor allem auf eine Verjüngung des Ensembles, das etwa zur Hälfte aus Musikern unter vierzig Jahren besteht.

George Georgescu, 1887 geboren, wurde zunächst am Bukarester Konservatorium als Cellist ausgebildet, ging für zwei Jahre nach Berlin und war dann Mitglied des berühmten Marteau-Quartetts, mit dem er in ganz Europa konzertierte. Eine Verletzung der linken Hand zwang ihn, die

Virtuosenlaufbahn aufzugeben. Arthur Nikisch und Richard Strauss waren ihm behilflich, als Dirigent eine andere Form künstlerischer Betätigung zu finden. 1918 begann, mit einem Konzert an der Spitze der Berliner Philharmonie, seine Dirigentenlaufbahn. Zwei Jahre später debütierte Georgescu als Dirigent der Bukarester Philharmonie, deren Leitung ihm sogleich anvertraut wurde, und an deren Spitze er (mit einer Unterbrechung in den Jahren 1926 bis 1927) heute noch steht. Neben seinem Wirken in Rumänien, wo er sich konsequent und mit schönem Erfolg immer wieder auch für die jungen heimischen Komponisten, besonders für das Werk George Enescus, einsetzte, war er ein gern gesehener Gast in fast allen europäischen Musikzentren. Seine Art des Musizierens ist von der unserer großen Dirigenten seiner Generation nicht wesentlich verschieden, und auch das von Georgescu geleitete Orchester wirkte keineswegs „exotisch“.

In ihrem (einzigen) Konzert im vollbesetzten Großen Musikvereinssaal lernten wir in den Bukarestern ein ganz ausgezeichnetes Ensemble kennen, das eine technisch bemerkenswerte und temperamentvolle Streichergruppe, auffallend schöne Solisten bei den Holzbläsern und einen volltönenden, auch im Forte tonschön und diskret spielenden Blechbläserchor besitzt. Auf dem Programm stand zu Beginn ein Frühwerk George Enescus, die Orchestersuite op. 9 aus dem Jahr 1903, die vor allem durch ihren ersten Satz, eine Monodie für Streicher (ohne Kontrabässe) beeindruckte. Dieser Teil und das „Grave“ haben etwas von der Reinheit der frühen Frühe, des Unver brauchten, Ungekünstelten und spiegeln einen Zustand, wie er bei jedem Volk nur in einer Sternstunde eintritt: wenn die Volksmusik durch einen Mann von Genie vorsichtig und behutsam in eine höhere Sphäre, die der Allgemeingültigkeic, der Weltmusik, gehoben wird. — Den Solopart von Mendelssohns Violinkonzert ließ der technisch perfekte junge Geiger Jon V o i c u mit nicht eben großem, aber kristallklarem Ton ein wenig mechanisch abschnurren, und Meister Georgescu ließ ihn dabei gewähren. — Die 1 Brahms-Symphonie geriet zwar ein wenig flott (mit einer Rekordzeit von 43 Minuten gegenüber den von uns geschätzten Meisterinterpretationen von 46 bis 48 Minuten), wirkte aber keineswegs oberflächlich, sondern klang intensiv, dramatisch und wirklich erlebt — und war durchsichtig in jedem Takt. — Der Beifall, den die Gäste aus Bukarest erhielten, war so stark, daß sie „Till Eulenspiegel“ als Zugabe spielen konnten. Wohl auch eine Reverenz vor Richard Strauss, der dieses Orchester besonders schätzte und seinem Leiter 1921 „eine glorreiche Dirigentenlaufbahn“ vorausgesagt hatte.

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