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Die große Symphonie und ihre Vorläufer

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Es gab also doch Bach im Nicolai-Konzert der Philharmoniker. Zwar nicht die angekündigte „Matthäuspassion“, dafür aber eines der schönsten Brandenburgischen Konzerte, das fünfte — mit Wilhelm Furtwängler als Solisten am Flügel. Diese Lösung zeigt die Art an, in welcher der Kronprinzenstreit zwischen Furtwängler und Karajan beigelegt wurde. Immerhin: die unangenehmen Nebengeräusche sind — vorläufig — verstummt, die Kriegsbeile — vorläufig — begraben. Freuen wir uns, daß beide kurz hintereinander wieder zum Taktstock gegriffen haben und hoffen wir das Beste. Hoffen wir vor allem, daß die nicht direkt beteiligten Instanzen künftig dämpfend — und nicht schallverstärkend wirken mögen.

In seinem gedankenreichen Bach-Buch sagt der Schweizer Musikforscher Cherbuliez: „Sucht man nach vollkommener Vereinigung von polyphonem Stimmgewebe, letzter Frucht der großen niederländischen Epoche des 15. und 16. Jahrhunderts, mit der spezifischen“ Kraft sinfonischen Orchesterstils, der kommenden Tat der klassischen Großmeister des 18. Jahrhunderts — man findet sie in Bachs Brandenburgischen Konzerten.“ Das trifft besonders für das 5. Brandenburgische zu, welches zugleich einen virtuosen Cembalopart aufweist, den Wilhelm Furtwängler, vom Flügel' aus dirigierend, mit außerordentlich weichem und nuanciertem Anschlag meisterte. Furtwänglers Bach-Interpretation' als Solist und Dirigent “ist völlig unhistorisch und zielt auf den größtmöglichen' Ausdruck. Wenn er auch in vielem von der damaligen Spielweise, von der wir eine ungefähre Vorstellung haben, abweicht,, so vertritt er im allgemeinen die These, daß Musiker immer wie Musiker — und nicht wie Handwerker gespielt haben. Der Meinungsstreit um die Interpretation vorklassischer Musik wird voraussichtlich nie verstummen. Wer aber so überzeugend seine These in die Tat umsetzt wie Furtwängler, kann es sich jedenfalls leisten, Bach „romantisch“ oder' „modern“ zu spielen. — Ungeteilt dürften die Meinungen über die Interpretation der „Eroica“ von Beethoven im gleichen Konzert gewesen sein. Als Aufklang spielte Franz Schütz die Orgelphantasie und Fuge in g-moll von Joh. Seb. Bach.

Das 4. Konzert des Zyklus „Die große Symphonie“ machte seinem Namen Ehre. Es war im höchsten Grade genußreich — und instruktiv dazu. Volkmar A n d r e a e dirigierte die Sinfonia in B-dur von Joh. Ch. Bach, die Vierte von Beethoven und die Vierte von Brahms. Die Stilähnlichkeit der Ecksätze der Bachschen Sinfonia, die als Ouvertüre der Oper „Lucio Silla“ vorangestellt war, mit entsprechenden Intrumental-

Sätzen des jungen Mozart ist • verblüffend. Fast ebenso stark sind die Mozart-Anklänge in den raschen Sätzen von Beethovens Vierter. Hier wird die Kontinuität eines Musikstils, der ein Jahrhundert beherrschte, überzeugend offenbar. — Andreae dirigiert Brahms ein wenig in der al-fresco-Manier, die uns besonders für Bruckner richtig scheint und die seine Bruckner-Interpretation auszeichnet. Neuartig war eine gewaltige dynamische Steigerung, die er dern, letzten Satz der Vierten von Brahms gibt. In der gefährlichen Passacaglia hätte man sich manches schattierter gewünscht. — Nichts in seiner Interpretation wirkt „sensationell“ und „faszinierend“. Aber Andreae hat das Orchester fest in der Hand,

und von seiner plastischen Kraft teilt sich auch dem Zuhörer etwas mit.

Am weitesten war der zeitliche Bogen im 6. Konzert unter Karajan gespannt. Im ersten Teil brachten die Wiener Sängerknaben unter der Leitung von J. J. Böhm Motetten von Jacobus Gallus, Ludovico da Vittoria, Marco Antonio Ingeneri und Palestrina, im zweiten dirigierte Karajan die 5. Symphonie von Anton Bruckner. Die gemeinsamen geistigen Grundlagen — über vier Jahrhunderte hinweg — waren wohl zu erkennen. Der reine, unvermischte Stil der Meister des 16. Jahrhunderts ließ dagegen Bruckner mit um so größerer Deutlichkeit als einen Komponisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts erscheinen. — Karajan dirigierte nach der Ur-fassung, aber mit gesondert auf der Orgelempore aufgestelltem Bläserchor. Vor die Wahl gestellt: Entweder —Oder, entschied er sich für das Sowohl-Als-auch. Die Aufführung war ausgezeichnet vorbereitet und von der ersten bis zur letzten Note mit Spannung erfüllt. Daß Karajan bei der Bruckner-Interpretation niemals ins. Transzendentale tran-szendiert, wurde bei früheren Darbietungen bereits festgestellt.

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