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Die Katze oft im Sack gekauft

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Das „Grazer Musikprotokol 1", beim vorjährigen „Steirischen Herbst“ aus der Taufe gehoben, hat bei seiner ersten Wiederkehr nicht nur dank der Vergleichsmöglichkeiten Licht- und Schattenseiten deutlich werden lassen. Und zwar hinsichtlich der Programmierung ebenso wie in bezug auf die Ausführenden. Dem unverkennbaren Niveauanstieg bei der Wahl der Werke, die im Vorjahr doch ein wenig lokalpatriotischen Gefühlen unterworfen zu sein schien, kleinen Verbeugungen vor machtvollen Persönlichkeiten, fiel mehrmals eine von Sorglosigkeit und blindem Vertrauen zeugende, vielleicht auch auf Zeitmangel zurückzuführende Disposition in den Rücken, nämlich die, den ausländischen Ensembles zwar wohl ein Werk von Josef Matthias Hauer zur Aufführung zu empfehlen, ihnen aber ansonsten freie Hand bei der Erstellung der Programme zu lassen. Die Folge davon war häufig lokalpatriotisches Mittelmaß fremdländischer Provenienz (und nicht selten spätromantischer Eintrübung). Man hatte die Katze im Sack gekauft.

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Das „Grazer Musikprotokol 1", beim vorjährigen „Steirischen Herbst“ aus der Taufe gehoben, hat bei seiner ersten Wiederkehr nicht nur dank der Vergleichsmöglichkeiten Licht- und Schattenseiten deutlich werden lassen. Und zwar hinsichtlich der Programmierung ebenso wie in bezug auf die Ausführenden. Dem unverkennbaren Niveauanstieg bei der Wahl der Werke, die im Vorjahr doch ein wenig lokalpatriotischen Gefühlen unterworfen zu sein schien, kleinen Verbeugungen vor machtvollen Persönlichkeiten, fiel mehrmals eine von Sorglosigkeit und blindem Vertrauen zeugende, vielleicht auch auf Zeitmangel zurückzuführende Disposition in den Rücken, nämlich die, den ausländischen Ensembles zwar wohl ein Werk von Josef Matthias Hauer zur Aufführung zu empfehlen, ihnen aber ansonsten freie Hand bei der Erstellung der Programme zu lassen. Die Folge davon war häufig lokalpatriotisches Mittelmaß fremdländischer Provenienz (und nicht selten spätromantischer Eintrübung). Man hatte die Katze im Sack gekauft.

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Wird man künftig, wie in einer Rundfunkdebatte versprochen, alle Werke in Graz aussuchen und prüfen, dann erscheint der heuer geübte Brauch, mit den Namen von Krenek, Hauer, Penderecki und Ligeti Aufführungsschwerpunkte zu schaffen, erst so recht sinnvoll. Daß dem Polen Penderecki ein ganzer Abend eingeräumt wurde, an dem das Symphonieorchester von Radio-Televizija Ljublfana und der Grazer Kammerchor unter der Leitung von Karl Ernst Hoffmann die „Dimensionen der Zeit und der Stille“ und das Auschwitz-Oratorium „Dies Irae“ aufführten, wurde vom Publikum mit einem nahezu ausverkauften Stefaniensaal und beträchtlich langem Applaus honoriert. Er galt auch dem Geiger Igor Ozim, der den Solopart des erstmals in Österreich zu hörenden Capriccios für Violine und Orchester spielte, eines brillanten Stückes, das des Komponisten sympathische Neigung zum Virtuosentum als eine durchaus achtbare Tugend bezeugt.

Das Laibacher Orchester, in seiner feingeschliffenen Präzision das beste Instrumentalensemble des ganzen „Musikprotokolls“, schrieb sich an einem zweiten, slowenischen Komponisten gewidmeten Abend nicht mit goldenen Lettern in eben jenes Protokoll ein: des Neoklassizisten Petrassi lärmende Gehversuche im Seriellen, der symphonische Kraftakt von Primoz Ramovs, die lyrisch inspirierte Langeweile von Ivo Pétrie — da blieb wahrhaftig nur der handfeste Korant von Lojze Lebic übrig. Zumal Hauers „Apokalyptische Fantasie“ sich nach ein paar Minuten als eines seiner schwächeren Stücke erwies.

Auch die Straßburger, die den Reigen mit ihrem hörenswerten Radiosymphonie-Orchester unter Roger Albin eröffneten, hatten mit Barbaud, Nigg und einem klangverhärteten Messiaen („Couleurs de la Cité Céleste“) zwar Österreichnovitäten, aber keine Kostbarkeiten im Gepäck. Den Vogel der Sensation schoß bei ihnen Kazimierz Serockis „Episodes pour cordes et trois groupes de percussion“ ab, auch optisch, denn der wandernd verfremdete Klang bedingte ungewohnte geometrische Sitzordnung der Musiker.

Die Programme, mit denen die Rundfunkorchester aus Prag und Agram angereist kamen, wären mit der Mehrzahl der Stücke einem „Musikprotokoll“ des Jahres 1925 wohl angestanden. Nicht bloß die erstaunliche Vermählung serieller und postserieller Techniken mit Programm- Musik-Inhalten („Die Entstehung des Mondes“, „Der Baum des Lebens“) zur Deutung des Titels und der Partitur, sondern auch Instrumentalkonzerte in der harmonischen Gewandung des jungen Richard Strauss (doch ohne dessen Witz und Virtuosität) stimmten bedenklich, stimmten nicht mit dem aktuellen Vorhaben tiberein. Joseph Matthias Hauers respektgebietende Erscheinung hingegen nötigte ist seiner „Sinfonietta“ wie im erstmals in Österreich aufgeführten Violinkonzert, das der Kapfenberger Ernst Kovacic stil- und geschmackvoll geigte, echte Aufmerksamkeit ab, mochte auch der sanft beseelte Spieldosenklang dieser wohl der Ordnung, nicht aber der Emotion verpflichteten Musik seine ermüdende Wirkung allmählich nicht verfehlen.

Laune machte das Gastspiel des Kammerorchesters der Niederländischen Radio-Union unter seinem Dirigenten Roelof Krol und mit dem Oboer Ge von Koten. Nach durchaus progressiv komponierten Variationen samt Fuge (über ein barockes Thema von Kuhnau), komponiert von Hendrik Andriessen, umzingelten die Musiker bei Jan von Vlijmens „Gruppi per 20 instrumenti e percussione“ das Publikum, um es von zwei Seiten zu bespielen. Jan Wisses „Sette aforismi per orchestra da camera“ wollen als „Materialerkundung“ verstanden sein. Ausgangspunkt: eine Zwölf tonreihe. Endpunkt nach zwei Minuten Spielzeit in duftiger Mozart- Besetzung. Ein aparter Scherz. Weit mehr als das war Joep Strassers „Summer Concerto“, der Versuch, ein Solistenkonzert nach klassischer Manier zu schreiben, ein Oboenkonzert, und das Mißlingen dieses Versuches, das den Komponisten während der Arbeit allmählich zum Orchester überlaufen läßt und mit dessen Hilfe das sich tapfer wehrende Soloinstrument erschlägt. Das Resultat: packend inspirierte, virtuos geschriebene Musik, reich an sinnlichem und zugleich durchsichtigem Klang, temperamentvoll und formal überzeugend geschrieben. Ein Haupttreffer.

Einige Haupttreffer gab es auch bei den Nachtstudios, bei Konzerten in Seckau, Köflach und Gleisdorf, wo György Ligeti als Schöpfer von Orgelmusik und einer Komposition für Streichorchester nachhaltigen Eindruck hinterließ, John Cage den Orgelklang denaturierte und Gerd Zacher mit Bach manipulierte; wo Marianne Kopatz den Solopart von Schönbergs „Pierrot lunaire“ virtuos in den Griff bekam und Mauri- cio Kagel sich bis zur Unkenntlichkeit selbst verfremdete, indes William Pearson in der „Phonophonie“ als Mittelpunkt einer Beckett’schen „Endspiel“-Situation erschütterte; wo die „reihe“ mit Cerha, Logothe- tis, Ligeti und Haubenstock-Ramati internationale Prominenz offerierte; wo schließlich das „neue“ Orchester des ORF unter Milan Horvat sich vorstellte und das Studio für elektronische Musik aus Köln unter Herbert Eimerts Leitung sieben österreichische Erstaufführungen an- bot.

Wo — ja wo denn wohl? In Gleisdorf, in der Werkshalle der Firma Binder & Co.

An Dezentralisierung ist, so scheint’s, kein Mangel mehr.

• Beim international renommierten „Kunstmarkt 69“ in Köln wurde Österreich durch die Designergruppe „Haus-Rucker-Co", den Wiener Architekten Hans Hollein, ferner von Walter Pichler, Joannis Avramidis Hundertwasser, Wotruba, Arnulf Rainer, Brauer und Fuchs vertreten.

• Franz Hrastnik stellt zwischen 7. und 21. November im Palais Palffy Gemälde aus.

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