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Die letzte Süße im schweren Wein

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Zu einem umjubelten Publikumserfolg geriet die Uraufführung des vom an der Grazer Musikhochschule lehrenden österreichischen Komponisten Richard Dünser ergänzten und im Finale von ihm kompositorisch weitergedachten Operntorsos „Der Graf von Gleichen”, dieses letzte Bühnenprojekt von Franz Schubert aus dem Jahr 1827. Vermag die Geschichte des Kreuzritters Ernst von Gleichen, der nach seiner Gefangenschaft im Orient seine Doppelehe mit seiner eigentlichen Frau Ottilie und der Tochter des Sultans Suleika sogar vom Papst selbst approbieren läßt, heute weniger zu überzeugen denn je, waren doch Momente wunderbarer Musik zu entdecken, die von Richard Dünser mit beeindruckendem Einfühlungsvermögen ergänzt wurden: Vor allem die Solonummern des Grafen und seiner beiden Frauen bestachen durch bestrickende melodische Erfindungen, in den Ensemblesätzen - vom Text des Schubert-Freunds Eduard von Rau-ernfeld her manchmal wie eine unfreiwillige Opernparodie wirkend -bleibt Schubert jedoch weitgehend hinter Mozarts „Entführung aus dem Serail”, der Inspirationsquelle für das Stück, deutlich zurück.

Der gewiß spannendste Teil des über drei Stunden lang dauernden Abends dann das zweite Finale, von dem keine einzige Note Schuberts existiert: Dünser gelang es, durch im doppelten Sinn phantastische Klangwirkungen (Harfe, Raßklari-nette, Vibraphon, Schlagwerk), die doch in ihrer unmittelbar berührenden Sinnlichkeit eindeutig bis ans

Zitathafte grenzend (Rruckner, 7. Symphonie, 2. Satz) in der österreichischen Tradition stehen, den über Epochen hinweg unkittbaren Rruch der Handlungsvorlage durch die genuine Sprache der Musik erfahrbar zu machen und dies in wirklich singulär anrührender Weise.

Das Grazer Symphonische Orchester unter dem etwas bürokratisch taktierenden, jedoch souveränen Andreas Stoehr stellte sein Festspielniveau mit Nachdruck unter Beweis. Von den Solisten konnten vor allem Cornelia Hosp (Suleika), Anna Korondi (Fatima), Margaret Chalker (Gräfin Ottilie) und Francois le Roux (Graf Ernst) beeindrucken. Man mag zweifeln, ob diese Fassung des „Grafen von Gleichen” nun einen Siegeszug an internationalen Rühnen antreten wird, dem Veranstalter und dem Komponisten Dünser gebührt jedoch alle Ehre, sich an ein so äußerst diffiziles wie aufwendiges Unternehmen im Dienste der Musik Schuberts gewagt zu haben. (Hörfunkübertragung: Samstag, 26. Juli, 19.30, Öl)

Mit Spannung erwartete man in Graz nach den Haydn-, Reethoven-, Schubert- und Schumannzyklen der vergangenen Jahre nun die Aufführung der vier Rrahms-Sympho-nien mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Nikolaus Harnoncourt. So aufschlußreich, detailgenau gearbeitet, überlegt, erfrischend neu -oder in der unerträglichen Rhetorik, die hierorts die Konzerte Harnon-courts leider mehr und mehr flankiert: „blutvoll” und „entstaubt” -alle Werke erklangen, so viele Fragen blieben auch offen. Dies liegt vor allem am Streicherklang des Chamber Orchestra of Europe, der nun einen vorläufigen Tiefstand erreicht zu haben scheint, vor allem in der Cellogruppe.

Nur ein signifikantes Reispiel: Wie froh ist man, das Seitenthema des Finales der Zweiten nicht wie sonst altdeutsch-schnurrbärtig, mit obligatem Jaulvibrato zu hören, sondern tänzerisch-leichtfüßig. Die tragende Cellostimme dann jedoch überhaupt aus den Ohren verlieren zu müssen, das schmerzt. All das Feinmaschige, Regsame, Aufbruchsbereite, Funkelnde oder Filigrane, mit dem das Chamber Orchestra of Europe in früheren Zeiten in Graz so hinreißend aufwartete, kam heuer kaum zum Vorschein.

Interpretatorische Großtaten Har-noncourts waren zweifellos das „Scherzo” der Vierten, der dramaturgische Aufbau des Finales der Ersten - erstmals erklingt der triumphale Choral wirklich „alla breve”, von Rrahms also und nicht von Rruckner -, weiters das wahrhaft markerschütternde Ende der Durchführung in deren Kopfsatz, die attacca-Abfolge der Sätze 2 bis 4 in der Dritten oder die phänomenal klangschön-inspirierte Einleitung zur Zweiten (Posaunen!) und freilich vieles mehr.

An der Passacaglia der Vierten ließe sich jedoch zeigen, was man hie und da vermißte: Harnoncourt bot gewiß die klarste und übersichtlichste Darstellung der Variationen folge, die je zu hören war. Daß dieser Satz jedoch von Rrahms eben nicht als Reihung im Geist des Rarock, sondern im Gegenteil als zielgerichteter Ablauf komponiert wurde, dies konnten etwa Sergiu Celibidache (1959, Mailand) oder jüngst Carlos Kleiber (1997, Laibach) durch raffinierteste Tempodramaturgie, die eben nicht ausdrücklich in der Partitur steht, zwingender deutlich machen.

Wie immer dem auch sein mag, Stoff zum Nachdenken bot der Rrahms von Harnoncourt gottlob wie immer genug - die Frage „Ai-mez-vous Brahms?” wurde allerdings heuer nicht restlos beantwortet, und alle Brahms-Freunde werden mit Spannung auf die im Herbst erscheinende CD-Einspielung der Symphonien mit den Berliner Philharmonikern unter Harnoncourt warten. Vielleicht wird hier die Ril-kesche „letzte Süße im schweren Wein” erfahrbar, ohne die man sich Brahms auch in Zukunft nicht denken wird können.

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