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Die letzten großen Konzerte

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Haben wir uns bisher versagen müssen, in unseren Berichten aus Salzburg auf die Konzerte einzugehen, die doch zum wesentlichen Bestand der Festspiele gehören, so seien nun am Ende aus den 45 Veranstaltungen dieser Art einige wenige herausgegriffen, die sich dem kritischen Besucher besonders eingeprägt haben.

Mit besonderen Erwartungen sah man dem jungen italienischen Dirigenten Claudio Abbado entgegen. Ihm war im Zusammenhang mit seinem Erfolg bei den Wiener Festwochen der Ruf vorausgegangen, daß man in ihm endlich den legitimen Erben einer großen Dirigentengeneration aufgespürt habe, an die unsere Jugend bislang keinen Anschluß gefunden zu haben schien. Im 3. Orchesterkonzert erwies sich Abbado an der Spitze der Wiener Philharmoniker in der Tat als eine Begabung von urwüchsiger Musikalität und bravouröser Schlagtechnik. Daß er sich die Materie einer Par titur ganz und gar anzueignen vermag, zeigte er zu Beginn des Programms mit der äußerst effektvollen Interpretation der „Suite de ballet Chout“, eines ungeheuer schwierigen, sonst aber hauptsächlich lärmenden Virtuosenstücks von Serge Prokofieff. Mit Hilfe der hervorragend spielenden Wiener Philharmoniker gelang es dem Dirigenten, geradezu schockartige Wirkungen zu erzielen, was dem Inhalt der Suite durchaus entsprach. Nach dieser Orgie das himmlische Violinkonzert in A-Dur von Mozart anzusetzen, konnte nur unbegreiflicher Instinktlosigkeit einfallen. In dem von unterweltlichem Getöse noch nachdröhnenden Raum des Neuen Festspielhauses nahm sich das kammermusikalisch dargebotene, Werk wie ein in eine Mondlandschaft verwehter Falter aus. Leonid Kogan, ein vorzüglicher Geiger aus der berühmten Schule von Kiew, hatte einiges Mißgeschick bei der Tongebung; erst in der als Zugabe gespielten Sara bande von Bach vermochte er vollkommen zu überzeugen. Den Abschluß bildete die Siebente von Ludwig van Beethoven. Sie war die eigentliche Prüfungsaufgabe für den jungen Dirigenten. Und wirklich entfalteten sich in seiner Wiedergabe ihre tänzerische Heiterkeit und ihr aufschäumender Lebensjubel auf das schönste. Die lyrische Entrük- kung des zweiten Satzes gelang nur andeutungsweise. Die tieferen Regionen blieben unbetreten. Auf einer späteren Stufe der Reife mag Abbado auch noch Eingang in den menschlichsten Bezirk Beethovenscher Musik finden.' Immerhin: eine Hoffnung in dieser an Dirigentenbegabungen so armen Zeit. Möge ihn sein Musikergeschick vor einer von Managern hochgetriebenen Starlaufbahn bewahren.

Nach der angekündigten Sensation, die schließlich doch keine war, gab es zwei wunderbare Höhepunkte: die Konzerte der Wiener Philharmoniker mit Rafael Kubelik und Karl Böhm. Bescherte uns jener mit Haydn, Jan&cek und Brahms das Erlebnis gemütstiefer Innerlichkeit des Musizierens, beglückte Karl Bohm durch die Weisheit und den Adel seiner Mozart-Auslegung, demonstriert an den Symphonien g-Moll KV 550, Es-Dur KV 543 und an der Jiinit.ersvrrmhonie.

Das Abschlußkonzert hatte sich Herbert von Karajan selbst Vorbehalten, und man muß sagen, daß es ein würdiger Schlußpunkt der Salzburger Festspiele 1966 war. Beethovens 1. Symphonie in C-Dur opus 21 habe ich jedenfalls noch nie so vollkommen gehört. Noch ganz in den Stil der Zeit gebunden, vom Geiste Haydns und Mozarts durchleuchtet, enthält sie gleichwohl schon in keimhafter Anlage die Formensprache des großen Neuerers. Karajan arbeitete den Charakter des Werkes, diese Ankündigung einer neuen Ära in der Musik, auf geistvolle Weise heraus. Vor allem in dem kapriziös originellen Menuett und im zögernd begonnenen, schließlich befreit dahinstürmenden Finale wurde der Aufbruch des Genius aus einer umfriedeten Welt erkennbar. Bruckners Siebente war in der makellosen Darbietung — der Streicherklang war in seiner Tonqualität nicht zu überbieten, die Blechbläser der Wiener Philharmoniker haben nur ganz selten einen so glücklichen Tag — ein Wunder an Ordnung und Klarheit. Das Geheimnis des gläubigen Herzens, die überwältigende Glaubenskraft Bruckners, wurde nicht geoffenbart. Aber es war trotzdem ein großartiger Abgesang.

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