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„Die Nachtigall“ im Musikverein
Es handelt sich hier um die chinesische Nachtigall aus dem Andersen-Märchen, die Strawinsky zur „Heldin“ seines ersten Opernwerkes, eines lyrischen Märchens, machte. Im ersten, 1909 geschriebenen Akt, singt sie noch ä la Debussy und fast so schön wie Melisande, dann aber werden ihre Koloraturen schwieriger, kapriziöser und einigermaßen unberechenbar — so wie die Rhythmen und melodischen Floskeln von „Petruschka“ und „Sacre du printemps", die Strawinsky inzwischen (1911 bis 1913) schrieb, bevor er den zweiten und dritten Akt seiner Märchenoper vollendete. Pentatonik, Polytonalität, ein großes farbiges Schlagwerk und allerlei Exotismen verleihen diesem — sicher sehr bühnenwirksamen — Stück einen fremdartig-artistischen Reiz. Es war eine ausgezeichnete Idee, das selten aufgeführte Werk in den Zyklus „Die große Symphonie aufzunehmen und seine Leitung an Stelle des erkrankten Maestro Sanzogno dem jungen Dirigenten Michael Gielen anzuvertrauen. Die ungewöhnlich schwierige Titelpartie sang makellos rein Und virtuos eine zweite Nachtigall: Wilma Lipp: den Fischer, dessen lyrische Rahmenerzählung das Stück mit den ersten Akkorden aus Debussys „Ntiafes" eihleitet und beschließt,’ Alfrede N o b i Fe. Ausgezeichnet auch das Orchester und der (viel zu große) Singverein; besonders hervorzuheben: die genaue Aussprache des Französischen. (Ob es noch keine gute deutsche Uebertragung gibt? Das Original ist russisch.) Im ersten Teil des Konzertes leitete Gielen sauber und elastisch die Symphonie ln Es-dur von Haydn und ließ „La Me r" von Debussy tongewaltig und energisch aufrauschen. Vorläufig war der junge Dirigent noch mehr um Genauigkeit als um Ausdruck bemüht. Doch wird auch dieser, sobald eine gewisse Souveränität erreicht ist, nicht ausbleiben. Im ganzen: eine bemerkenswerte Leistung.
Neue Musik aus Deutschland brachte das aus 16 Spielern bestehende und von dem 27jährigen Christoph Stepp geleitete Münchner Kammerorchester in einem Konzert im großen Sendesaal der Ravag: Fünf Stücke für Laienstreichorchester von Hindemith (op. 44, Nr. 4), die mit zum Besten dieses Genres gehören, eine gewaltig gesteigerte, sehr, freie Konzertfuge für Streichorchester von Karl H ö 11 e r (geb. 1907) und ein motorisch-pentatonisches „Concertino für Klavier und Streichorchester" von Hermann Reutter (geb. 1900). Nach diesen Stücken wirkte eine „Simple Symphony", ein Frühwerk von Benjamin Britten, nicht nur simpel-dürftig, sondern auch oberflächlich und unoriginell. Dagegen war Frankreich mit Albert R o u s s e 1 s „Sinfonietta“ anmutig, aber vollwertig vertreten.
Wie um zum Vergleich herauszufordern, präsentierte sich nach J Ch. David-Sohn nun auch J. N. D a v i d-Vater als Chordirigent. Aber er hatte es schwerer mit dem fremden Ensemble und seiner ungewöhnlich schwierigen „Missa Choralis", deren Intonationstücken der Wiener Kammerchor nicht ganz gewachsen war. Die übrigen Chöre (von Monteverdi, Bach und Hindemith) gerieten besser, wenn auch ein wenig nervös und unruhig. Aber das ging auch auf Rechnung des Dirigenten Johann Nepomuk David, der ein großartiger, von geistiger Leidenschaft erfüllter und sensitiver Musiker ist.
Die Wiener Sängerknaben, um ihren neuen Männerchor, den „Chorus Viennensis", verstärkt, sangen unter ihren Dirigenten Gerhard Track und Helmut Froschauer die Bach-Kantate „Schwingt freudig euch empor“ sowie alte und neue Weihnachtslieder. „Franz Schuberts lustige Streich e", eine nach Melodien Schuberts von Franz. Krieg geschriebene Kurzoper, wurde als heiter-ausgelassenes Spiel nicht nur reizend gesungen, sondern auch im Stil des „entfesselten Theaters“ gespielt. Helmut A.
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