Die Straßen von Paris

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Sein ossetischer Name ist Gaito, den machte er zu seinem Autorennamen: Georgij Iwanowitsch Gasdanow wurde 1903 in Sankt Petersburg geboren, verbrachte seine Kindheit in Sibirien, ging in Südrussland (Poltawa, Charkow) zur Schule, kämpfte als 16-Jähriger im russischen Bürgerkrieg auf der Seite der "Weißen" als Gemeiner eines Panzerzuges. Mit den geschlagenen Soldaten der Weißen Armee ging er über die Krim in die Emigration -der übliche Leidensweg: Konstantinopel, Bulgarien, Frankreich.

Im heißgeliebten Paris verbrachte Gaito Gasdanow den Großteil seines Lebens -als Student und Taxifahrer und ab den 30er-Jahren als vielbeachteter Exilschriftsteller, was ihm aber nicht ermöglichte, die Taxifahrerei sein zu lassen. Er wollte zurück nach Russland und schrieb in dieser Angelegenheit an Maxim Gorky, der Hilfe versprach, aber starb. Bald war Krieg. Gasdanow nahm an der Résistance teil und half von den Deutschen gesuchten Juden, in den nicht okkupierten Teil Frankreichs zu gelangen. In den 50er-Jahren wurde er zum Literaturredakteur im amerikanischen Propagandasender Radio Liberty. 1971 starb er. Sein Grab auf dem Friedhof Sainte-Geneviève-des-Bois wurde 2001 auf Betreiben eines anderen berühmten Osseten, des Dirigenten Walerij Gergijew, restauriert. Überhaupt ist Gasdanow in Russland beliebt und wird viel gelesen.

Mit tiefem Interesse für die Menschen

Trotz einigen zu seinen Lebzeiten entstandenen Übersetzungen in westeuropäische Sprachen war Gasdanow bis 2012 außerhalb Russlands so gut wie unbekannt. "Das Trugbild des Alexander Wolf", unter dem etwas komischen Titel "Das Phantom des Alexander Wolf" bei Hanser erschienen, machte das Publikum und die Kritik auf Gasdanow aufmerksam. Seither ist der Autor auf dem deutschen Markt und beim deutschen Leser sehr präsent. "Die Straßen der Nacht" erschien 1941 -der Hanser Verlag hat scheinbar ein Titelproblem bei Gasdanow: Ob der Titel "Nächtliche Wege" dem Gegenstand der Erzählung, den Erinnerungen eines russischen Nachttaxifahrers im Paris der 30er-Jahre, gerecht wird, müssen die Muttersprachler für sich selbst entscheiden; mir erscheint er irritierend.

Zu Beginn der Lektüre steht, noch vor den teilweise sehr skurrilen Geschichten und Personen des Buches, der Erzähler selbst -ein gutherziger, hilfsbereiter junger Mann, der tiefes Interesse für die Menschen zeigt, mit welchen ihn sein Beruf zusammenführt. Er behandelt alle Menschen, die er in seinem Taxi und in Pariser Nachtcafés trifft, mit gleichem Respekt, seien es Trotteusen, Ganoven, Arbeiter oder einfach unglückliche Menschen. Dieses Buch ist eine Art Enzyklopädie des Paris der 30er-Jahre, mit edlem Blick gesehen, mit sicherer, schneller Hand gezeichnet.

In meiner Jugendzeit liebte ich von den Exilautoren Vladimir Nabokov bedeutend mehr als Gasdanow - beide wurden in den Sowjetverlagen nicht verlegt, das bedeutete aber nicht, dass keine Kopien im Umlauf waren. Heute lese ich Nabokov fast nie, Gasdanow jedoch mindestens einmal jährlich.

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