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Die Wiener Schule im Wiener Rundfunk

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Fünf Konzerte mit neuer österreichischer Musik veranstaltete das Wiener Studio des Oesterreichischen Rundfunks im Laufe von drei Tagen.

Das von Miltiades C a r i d i s geleitete 1. Orchesterkonzert, ausgeführt von den Wiener Symphonikern, dem Rundfunkchor und den Solisten Christiane Sorell und Edmund Hurshell, stellte zwei Hauptwerke der älteren Generation vor: Schönbergs 1928 aufgeführte „Variationen für Orchester“ op. 31, ein überaus schwieriges, in Zwölftontechnik geschriebenes Werk, das heute kaum leichter zu hören ist als vor 30 Jahren, und Anton von Webern s Tl. Kantate op. 31 auf Worte von Hildegard Jone, eine höchst subtile und differenzierte Musik mit gewaltigen Intervallsprüngen in den Solostimmen, die von den beiden Solisten vollendet gemeistert wurden — Hanns J e 1 i n e k s „S y m-phonia concertante“ für Streichquartett und großes Orchester ist aus härterem Holz. Von den drei Sätzen fesselt vor allem der dritte, in welchem expressive Adagioteile mit motorischen alternieren. Die bereits 1931 geschriebene Partitur verbrannte, wurde 1953 wiederhergestellt bzw. neu geformt und zeigt die Hand eines Meisters.

„V'on heute auf morgen“ ist der Titel einer 50-Minuten-Oper, die Schönberg 1929 schrieb und mit der er sich die Bühne erobern wollte. Der Versuch mußte an dem dilettantischen und banalen Text ebenso scheitern wie an der überkomplizierten, völlig unadäquaten Musik (die eher zu einem Stück von Strindberg oder Sartre passen würde). Die vier Akteure dieses Ehedramas, das konzertant aufgeführt wurde, waren Norman Foster, Ilona Steingruber, Mimi Coertse und Kurt Equiluz. Wie sie ihre Partien bewältigten und wie das Orchester der Symphoniker unter Michael G i e 1 e n den hochkomplizierten Orchesterpart meisterte, war bewunderungswürdig.

In einem Kammerkonzert wurden Werke von Alban Berg (Vier Stücke für Klarinette und Kla-' vier op. 5), Egon Wellesz (Suite op. 38 für Violine und Kammerorchester), Friedrich Wildgans (Kleines Trio für Flöte, Klarinette und Fagott), Robert Schollum (Drei Shakespeare-Sonette für Sopran, Flöte und Klavier) und Michael Gielen (Sechs Lieder op. 1 für Baßstimme, Viola, Baßklarinette und Klavier) aufgeführt. Die Frühwerke von Wellesz und Wildgans, meisterlich gesetzt und gut klingend, zeigen Anklänge an barocke Spielmusik und sind mit parodistischen Effekten ausgestattet. — Robert Schollum erweist sich auch in seinen neuen Liedern als der romantische Ausdrucksmusiker, der sich einer neuen Tonsprache mit Eigenstil bedient. — Bei Michael Gielen steht gut Formuliertes, in Klang und Harmonik Originelles neben allzu Beiläufigem und nicht immer ganz Zwingendem. Eine Bearbeitung mancher Teile würde sich lohnen. — (Maria Teresa Escribano und Edmond Hurshell waren die Ausführenden der Gesangspartien.)

Ein anderes Kammerkonzert war dem Schaffen der Jüngsten, durchweg Schülern aus der Kompositionsklasse von Karl Schiske, gewidmet. Erfreulich, wie unter der Leitung eines selbst schöpferisch tätigen Lehrers sich so vitle verschiedenartige Talente frei entfalten können. Alexander Sander, Kurt Schwertsik, Stefan Zelenka, Gösta Neu-wirth, Ivan Er öd (ein junger Ungar, dem man hier das Gastrecht gewährt hat), Otto Z y k a n und Erich Urbanner gehören den Jahrgängen 193 5 bis 1940 an. Keines der aufgeführten Werke war „unter der Schnur“, keines dauerte länger als zehn Minuten, keines blieb in Spätromantik oder Impressionismus stecken, jedes kann als echte Talentprobe gelten. Und das scheint uns nicht wenig zu sein.

Das 2. Orchesterkonzert unter der Leitung von Kurt Richter war der mittleren Generation gewidmet. Die „Symphonische Elegie“ von Ernst Kr e ri e k ist nicht-nur gedanklich Ausdruck der Verbumienfeit' mit; Anton Webern, {ändert sucht, darüber hinaus auth eine Annäherung der thematischen Kontur im Sinne Weberns, soweit dies einer ausgeprägt eigenartigen Persönlichkeit vom Range Kreneks gelingen mag. Ausdrucksmäßig ist besonders der zweite Teil von edler Trauer, nicht ohne subjektive Akzente, erfüllt. — Das „R e q u i e m“, op. 4, von Hans Erich Apostel, komponiert 1932, hat unbegreiflicherweise 26 Jahre auf seine nun erfolgte Uraufführung warten müssen. In seiner formalen Geschlossenheit, seiner musikalischen und ausdrucksmäßigen Dichte ist die Komposition Zeugnis einer starken Persönlichkeit an der Wende der Zeiten und Stile sowie an der von der Jugend zur Meisterschaft, die sich in der sicheren Technik und kontrapunktischen Durchformung des thematischen Materials dokumentiert. — Die III. Symphonie von Karl Schiske offenbart zunächst in ihrer zupackenden Art und Kraft das echte Musikantentum ihres Schöpfers, vergeistigt durch die Kraft zur Gestaltung, die aus allen Quellen der Tradition und der Moderne gespeist wird und die Fähigkeit der Zusammenfassung in hohem Grade besitzt, so daß ein durchaus persönlicher Stil entsteht, dem die kontrapunktischen Künste, Mittel der Formung und des Ausdrucks, dienen und nicht überwuchern. — Der Satz für Orchester von Augustin K u b i-z e k, in seiner Anlage der klassischen Sonatenform folgend, ist ebenfalls Zeugnis einer Ausgleichshaltung zwischen Tradition und Fortschritt, die aus romantischer Landschaft in konstruktiv moderne Gefilde weist, aber den verbindenden Stilwillen noch nicht klar durchgestaltet hat, noch mehr mit Dynamik als 'durch innere Klarheit gestaltet.

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