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Dimitri Mitropoulos
Er wurde 1896 in Athen geboren und entstammt einer orthodoxen Priesterfamilie. Als Knabe schwankte er zwischen dem Priesterberuf und dem des Musikers. Er konnte es nicht verwinden, daß die orthodoxe Kirche keine Instrumentalmusik duldet und er wollte auf sein Harmonium nicht verzichten. So trat er mit zwölf Jahren ins Athener Konservatorium. Vierzehnjährig schrieb er seine erste eigene Komposition: Begleitmusik zu einer sophokleischen Tragödie. Mit 23 Jahren komponierte Mitropoulos seine erste Oper: „Schwester Beatrice“, nach einem Text von Maurice Maeterlinck. Sie wurde am Athener Konservatorium aufgeführt und auf Grund eines enthusiastischen Lobes des greisen Camille Saint-Saens hätte er in Frankreich weiterstudieren können. Aber die Stadt Athen schickte ihren begabten Sohn nach Bruxelles, später nach Berlin zu weiterem Studium. Hier wurde Mitropoulos Schüler von Ferruccio Busoni. Sie waren ihrer fünf in der Meisterklasse; einer von ihnen war Kurt Weill. Hier betätigte sich der junge Musiker als Begleiter und Korrepetitor, machte Musik zu Schiller- und Ibsen-Stücken und war Aushilfsdirigent an der Berliner Staatsoper. 1925 wurde er Leiter der Athener Symphoniker und Direktor des staatlichen Konservatoriums.
Seine Weltkarriere begann 1930 in Berlin, als er für einen erkrankten Pianisten einsprang und das 3. Klavierkonzert von Prokofieff vom Flügel aus dirigierte. — In dieser Doppelrolle trat er auch später auf, aber nur in modernen Werken (von Ravel, Malipiero, Milhaud, Krenek und Respighi). Mitropoulos sagte dazu: um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, Stücke zu hören, die sich gewöhnlich nicht im Repertoire der Konzertpianisten finden... — Es folgten Konzertreisen nach Frankreich, England, Italien und Rußland. Mit dem Prokofieff-Konzert debütierte Mitropoulos in den USA, und zwar mit dem Boston Symphony Orchestra. Es war ein sensationeller Erfolg, und unmitelbar darauf wurde er als Nachfolger von Eugen Ormandy zum Leiter des Philadelphia Orchestra gewählt. 1938 bis 1949, während er Dirigent der Symphoniker von Minneapolis war, unternahm er zahlreiche Tourneen. In dieser Zeit wurde Mitropoulos amerikanischer Staatsbürger.
Zuletzt leitete Mitropoulos das New-Yorker Philharmonische Orchester. Vor kurzem gab er mit ihm sein Abschiedskonzert. Schönbergs Klavierkonzert mit einem jungen amerikanischen Pianisten als Solisten und Samuel Barbers Musik zu einem Medea-Ballett standen auf dem Programm. Das war kein Zufall. Denn Mitropoulos hat sich, mehr als andere amerikanische Dirigenten von Weltruf, für neue Musik eingesetzt. Das Repertoire seiner Konzerte soll, so sagt er, kein musikalisches Museum sein. Mitropoulos machte Amerika mit der 6. Symphonie von Gustav Mahler bekannt und führte immer wieder neue Musik von Schönberg, Berg und Webern. Hindemith und Krenek, Milhaud und Malipiero auf. Zahlreiche Werke amerikanischer Komponisten, wie Barber, Diamond, Gould und Thomson, hat er aus der Taufe gehoben. — Auch neue Opernwerke hat er konzertant aufgeführt, so „L'heure Espagnole“ von Ravel, „Arlecchino“ von Busoni, „Erwartung“ von Schönberg, „Les Choephores“ und „Christophe Colomb“ von Milhaud und Alban Bergs „Wozzeck“.
Mitropoulos ist Experimenten nicht abgeneigt: In der Saison 1950/51 spielte er viermal täglich mit seinem Orchester in dem New-Yorker Roxy-Großkino, und das zwei Wochen lang. In diesen Miniaturprogrammen machte er Leute mit klassischer Musik bekannt, die nicht in die Konzerte zu gehen pflegen. Seine' These lautet: „Nur die Musik zählt; die Zeit und der Ort spielen keine Rolle.“ — Dimitri Mitropoulos ist nicht nur ein universaler Musiker, sondern auch ein vielseitiger Mensch: ein leidenschaftlicher Bergsteiger — und ein ebenso leidenschaftlicher Leser. Die griechischen Tragiker, Plato und Sokrates, von den neueren Kierkegaard, bilden seine bevorzugte Lektüre. Als Mensch bemüht sich Mitropoulos — nach seinen eigenen Worten — ein Schüler des hl. Franziskus von Assisi zu sein.
Nach Wien und Oesterreich kam Mitropoulos relativ spät. Während der Salzburger Festspiele des vergangenen Jahres dirigierte er ein Konzert mit Musik zeitgenössischer amerikanischer Komponisten und eine unvergleichliche „Elektra“. An der Wiener Oper debütierte er mit „Manon“ und „Butterfly“. Unter seinen Händen verwandelte sich die bekannte Musik und erhielt jene Züge von Leidenschaft und Größe wieder, die ihr Puccini verliehen, die aber im Routinebetrieb gelegentlich verwischt werden. — Unvergessen ist in Wien auch eine Aufführung von Mahlers riesenhafter Sechster Symphonie, an die sich so selten ein Dirigent wagt und an deren Schwierigkeiten sich die Gestaltungskraft von Dimitri Mitropoulos eindrucksvoll bewährte.
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