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Dirigentenparade

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Persönlichkeit, Temperament und Kunstgeschmack spiegeln sich nicht nur im Wie der Wiedergabe, sondern auch im Was des Programms, in der Wahl jener Meister und Stücke, an denen sich das Talent des Reproduzierenden oder Interpretierenden erproben kann. Clemens Krauß hat während der letzten Jahre seinen Bezirk klar abgesteckt. Er vermeidet nicht nur problematisches Neues, sondern auch das Anspruchsvollere der älteren Musik. Da er nur einer unter den vielen Dirigenten ist, die unsere Programme bestimmen, kann man die besondere Note seiner Konzerte durchaus als Bereicherung und unterhaltsame, kulinarische Abwechslung empfinden. Ungewöhnlich, aber typisch das Programm des zweiten Philharmonischen Konzerts: drei Ouvertüren von Weber (zu „Abu Hassan", „Peter Schmoll' und „Turan- dot", von denen die letztere mit ihrem exotischen Kolorit besonders reizvoll ist und thematisch von Hindemith in seinen „Metamorphosen" verwendet wurde), zwei Sätze aus der 2. Sonatine für 16 Bläser von Richard Strauß: ein nachgelassenes Werk des Altmeisters, eine Werkstattarbeit, geschrieben, „um nicht aus der Übung zu kommen", im Stil der „Metamorphosen und des „Oboenkon- zerts . Im zweiten Teil: „Also sprach Zarathustra und Ravels „Bolero" in glänzender Interpretation.

Unter den großen Dirigenten, die wir seit 1945 am Pult sahen, ist Erich TZ1 e i b e r derjenige, dessen Gefühl am stärksten durch den Kunstverstand kontrolliert wird. Daß seine Interpretation nie trocken-akademisch wirkt, ist vor allem auf das kraftvoll-männliche Temperament des Dirigenten zurückzuführen unęl auf ein immer lebendiges Gefühl, das sich zuweilen fast keusch verbirgt. So er- stehei. die klassischen Werke in zeitloser, monumentaler Größe: Mozarts Symphonie in g-moll und Beethovens 5. Symphonie, deren erster Satz, fast ohne Ruhepunkte, wie eine Reihe von Explosionen wirkt, die durch Kettenreaktion ausgelöst werden. Als ö

Erstaufführung brachte Kleiber die „Due Pezzi per orchestra (1947) von Luigi Dallapiccola. Die Sarabande ist ein außerordentlich sprödes Stück, sowohl klanglich als auch thematisch, während Fanfara e fuga durch ihre lebhafte Bewegung und die schneidend-grellen Farben fesseln. Es ist charakteristisch für Kleiber, daß er sich gerade für dieses schwierige Werk des italienischen Zwölftöners einsetzt. Weniger glücklich erscheint uns die Idee, eine so schwer zugängliche Komposition auch der .Jeunesse musicale' vorzuführen, die mit anderen zeitgenössischen Werken viel eher für die neue Musik gewonnen werden könnte. Die beiden klassischen Symphonien, insbesondere die 5. von Beethoven, klangen wie neueinstudiert. Die Interpretation durch die Wiener Symphoniker war vorbildlich.

Für Herbert von Karajan ist es bezeichnend, daß er zu seiner vollen Entfaltung die große symphonische Form braucht. So, wie der virtuose Urtrieb etwa des Pianisten sich in der Klaviermusik Liszts ausleben kann, bietet unter den Symphonikern Tschaikowsky die breitesten Flächen für die Entfaltung einer Orchesterstrategie, die zu gewaltigen klanglichen und dynamischen Entladungen führt. Hinzukommt die eindringliche, leidenschaftliche und höchstpersönliche Aussage, an der sich Geist und Temperament des Interpreten entzünden können. So wurde die IV. Symphonie von Tschaikowsky, in welcher es — nach dem Zeugnis des Komponisten — „nicht einen einzigen Takt gibt, den ich nicht durchfühlt hätte und der nicht ein Widerklang meines innersten Seelenlebens wäre', zu einem eindrucksvollen Erlebnis, auf das der Dirigent sehr zielbewußt und mit fast brutalen dynamischen Mitteln zusteuerte. (Karajan ließ die Vierte mit doppelter Bläserbesetzung spielen, also mit 4 Trompeten, 8 Hörnern, 4 Fagotten usw.). Im ersten Teil des Konzerts spielte Wolfgang Schneiderhan, von den Symphonikern begleitet, das Violinkonzert von Brahms: mit sehr schönem, aber kleinem Ton, im Ausdruck etwas zurückhaltend oder gehemmt, technisch, wie immer, sehr vollkommen.

Nach dem dritten Konzert, das Sergiu Celibidache in Wien gab, wird das Bild dieses jungen, hochtalentierten und temperamentvollen Dirigenten deutlicher und gewinnt mit Licht und Schatten an Plastik. Eine neue, sehr schätzenswerte Eigenschaft, die vorher nur flüchtig zum Vorschein kam, wurde diesmal sichtbar: Celibidache hat einen feinen Humor und Sinn für geistvolle Persiflage. In Alfred Uhls „Moliere-Suite konnte er dies Register erfolgreich spielen lassen. Auch der gestische Charakter dieser Musik und damit ihre Eignung für das Ballett — für das sie gedacht ist — traten deutlich zutage. Uhls neue Partitur für großes Orchester mit dreifacher Bläserbesetzung zeichnet sich durch Klarheit, Durchsichtigkeit und Wohlklang aus. Ihre gedächtnismäßige Beherrschung durch den Dirigenten und die Wiedergabe (Uraufführung) durch die Wiener Symphoniker verdienen Bewunderung. — Weniger gelang Celibidache die III. Symphonie von Beethoven, dli teils unruhig, teils langatmig geriet. Die vielen, allzu sehr verselbständigten Details wollten sich nicht zum Ganzen fügen, und einige Tempi, besonders das des Scherzos, waren stark überdehnt. Vor solchen Eigenwilligkeiten ist vor allem jungen Dirigenten dringend abzuraten. Unter einem übermäßig breiten Zeitmaß litt auch das erste der drei Nocturnes von Debussy („Nuages“), während die beiden anderen klanglich und dynamisch sehr gut gelangen. (Die Stimmen der Sirenen wurden von Mitgliedern des Staatsopernchors gesungen.)

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