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Ein neues Werk von Frank Martin

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Nach jahrelanger Arbeit an seiner Shakespeare- Oper „Der Sturm”, die während der letzten Festwochen in Wien uraufgeführt wurde, verordnete sich Frank Martin eine Entwöhnungskur vom Genuß der Zauberexiliere und schrieb für Paul Sachers Basler Kammerensemble die „Et-üden für Streichorchester”. An Stelle des Dichterwortes und der magischen Verlockungen der Instrumentationseffekte treten die kargeren, aber vielleicht edleren Gegebenheiten des reinen Streichersatzes und die Erfindung technischer Aufgaben. — Nach einer kurzen dreiteiligen Ouvertüre bringt die 1. Etüde in durchsichtigem, aber heiklem Streichersatz eine Kette einzelner flüchtiger Gedanken. Hierauf folgt (Allegro moderato) das Bravourstück: ein tänzerisches, mit diskreten Jazzeffekten gewürztes Piz- zikato, das einen der elegantesten Einfälle Martins darstellt und bei der Uraufführung in Basel wiederholt werden mußte. Hiermit kontrastiert sehr wirkungsvoll die nur für Bratschen und Celli geschriebene 3. (Adagio-) Etüde, ein Lehrstück für ausdrucksvollen und zugleich verhaltenen Vortrag. Im Charakter einer freien Doppelfuge ist die breiter angelegte letzte Etüde abgefaßt, welche durch einen kleinen Choral den Charakter eines Miniatur-Finales erhält. Hier und im kontrapunktischen Gewebe der Ouvertüre kommt das typische Chroma und damit der Hauptreiz der Martinschen Musiksprache am wenigsten zur Wirkung. Dagegen sind die drei ersten Etüden bestens gelungen und werden dem Zwanzigminutenwerk vermutlich den Weg in die Konzertsäle der Welt ebnen. — Etüden freilich wollen geübt sein. „Tranquillo e leggiero”, wie die Vortragsbezeichnung der 1. Etüde lautet, kann man nur nach mehreren gründlichen Proben spielen, die der Aufführung durch die Symphoniker unter Kara- j a n nicht vorausgegangen zu sein scheinen. — Im Laufe der letzten zehn Jahre hat Karajan in Wien, wenn wir uns recht erinnern, drei Erstaufführungen dirigiert, und auch nach dieser Novität ist die Frage . „Mag er nicht oder kann er nicht?” keineswegs eindeutig zu beantworten. Als Solist des Klavierkonzerts in A-dur von Mozart zeichnete sich Walter K1 i e n aus. — Die 4. Symphonie von Brahms bildete den zweiten Teil des Konzerts im Großen Musikvereinssaal.

Neue deutsche Klaviermusik spielte Alexander Kaul aus Hamburg in einem von der IGNM im Schubertsaal veranstalteten Konzert. Das Wort „neu” im Titel war hier wirklich einmal ernst gemeint, denn keines der aufgeführten Werke ist älter als zehn Jahre. In progressiver Reihenfolge lernte man folgende Werke kennen: eine fünfsätzige Sonate (1947) von Werner E g k, Boris Blachers Sonate op. 39 (1951), Sieben Elegien von Wolfgang Fortner, Variationen op. 13 (1947) von Hans Werner Henze, „Wiegenlieder für Christinchen” (1952) von Giselher Klebe, den 1. Zyklus der Klavierstücke (1953/54) von Karlheinz Stockhausen und Bernd Alois Zimmermanni „Konfigurationen” (1956). — Die positivsten Eindrücke empfing man von der mittleren Gruppe, deren Vertreter auf sehr persönliche Art die Zwölftontechnik handhaben, ohne den gefühlsmäßigen Ausdruck und lebhafte Farbgebung zu meiden. Egks virtuose Sonate ist konservativer, aber keineswegs konventionell, das flotte und elegante Werk Blachers kann ambitionierteren Pianisten bestens empfohlen werden, Henze und Klebe erzielen feine kammermusikalische Wirkungen, Fortner beginnt spröd und endet ä la Liszt, Stockhausen und Zimmermann sind Pioniere der Terra incognita. Hier fühlt sich auch der Referent in der Taferlklasse und hält daher mit seinem Urteil zurück.

Im Vortrag des jungen finnischen Baßbaritons Kim Borg lebt etwas von der rhapsodisch-freien, zuweilen unbedenklich lärmenden Art des großen Schaljapin. Das machte den Liederabend vom Sänge’- her interessant. Das Programm nannte acht Komponisten, die sieben Nationen entstammen. Hört man hintereinander die Lieder und Balladen von Grieg, Nielsen. Sibelius, Kilpinen und Rangström, die zuweilen wie Nebelhörner klingen — und darnach die geistvoll-klaren und spöttischen Chansons von Ravel und Malipiero: man könnte Adept der Rassenlehre werden. Keine andere Verbindung als die zwölfstufige Tonleiter scheint zwischen diesen beiden Welten zu existieren. Die Aussprache der letzten drei, für uns kontrollierbaren Sprachen war mangelhaft. Wir nehmen auf Treu und Glauben an, daß alles übrige stimmte. Daß musikalisch alles in Ordnung war, dafür bürgte Erik Werba als Begleiter am Klavier.

Das Ebert-Trio (Violine: Lotte Ebert; Violoncello: Wolfgang Ebert; Klavier: Georg Ebert) stammt aus Wien, hier haben die drei an der Akademie studiert. Die Vereinigung errang im Mozartsaal des Konzerthauses einen aufsehenerregenden Erfolg — mußten doch zum regulären Programm, das sich aus Werken Haydns, Ravels und Brahms’ zusammensetzte, noch zwei Triosätze von Beethoven und Mozart zugegeben werden. Die Erklärung für diesen Erfolg finden wir zunächst in der weitgehenden seelischen Uebereinstimmung und Werkauffassung: ferper. in der Sensibilität,des Gefühls,, dem.eine .vollz, kommene Technik untergeordnet wird, und schließlich in der Spannweite des Stilempfindens und dem Vortrag, der bei allen drei Künstlern frei aus dem Gedächtnis erfolgt.

Drei junge Dirigenten aus der Klasse von Professor Swarowsky stellen sich mit dem großen Akademieorchester im Musikverein vor. Rainer Brock konnte in der Suite für 13 Bläser von Richard Strauß nicht viel zeigen. Er ist eine maßvolle, fast zu zurückhaltende, noch unpersönlich wirkende Natur. Claude K a t z wirkte schon etwas lebendiger mit dem „Concerte da camera” von Martinu (Solistinnen: Išmini Chryssochou — eine begabte Geigerin; Herta Kern spielte den wenig ergiebigen Klavierpart). Den größten Beifall des Abends erzielte — mit Recht — Zubin Mehta mit seiner Interpretation der Fünften von Beethoven. Hier wächst zweifellos ein Könner heran. Schon heute verblüfft die autoritäre Beherrschung des Orchesters, die präzise Gestik und der intuitive Sinn für Spannungsvorbereitung.

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