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EIN WIENER KIRCHENMUSIKER

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Ą nton Heiller wurde am 15. September 1923 im väterlichen Hause zu Wien-Dombach, Heuberggasse 26, als Sohn eines städtischen Beamten geboren. Sein Vater (gest. 1965) war im Nebenberuf begeisterter Kirchensänger und Regens- chori. Er gehörte auch zur Elite des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde, in dessen Leitung er lange Jahre hindurch verdienstlich wirkte. Vater Heiller wußte um die auffallende Begabung seines einzigen Sohnes und sorgte umsichtig schon früh für die Grundlegung einer gediegenen Technik in Klavier und Orgel. Noch vor der Matura brachte er ihn an die damalige „Reichshochschule für Musik” in Wien, wo Bruno Seidlhofer seine künstlerische Ausbildung an der Orgel (1942) zum Abschluß brachte. In Theorie und Komposition unterrichtete ihn Friedrich Reidinger, der als Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft und auch als erfolgreicher Komponist (Gotische Messe, 13. Psalm, Kammermusik, Der siebenfache Strom) vielen der Älteren unter uns noch wohlbekannt ist. Es wäre aber eine schwere Unterlassung, hier der nachhaltigen und entscheidenden Förderung zu vergessen, die unser junger, „anfahrender” Künstler seitens des damaligen Direktors der Hochschule, Franz Schütz, erfuhr.

Heillers Aufstieg begann mit seiner Berufung als Orgellehrer an die Abteilung für Kirchenmusik der Wiener Akademie, die im Herbst 1945, also bereits drei Jahre nach seiner Orgelreifeprüfung, durch Josef Lechthaler erfolgte. Er übt diese Tätigkeit auch heute noch aus, jetzt freilich als wohlbestallter Hochschulprofessor. Als besonders fördernd erwies sich die seit Kriegsende auch bei uns in Österreich mächtig einsetzende Renaissance des Orgelbaues und die damit verbundene Steigerung des Ansehens der Organistenkunst, was sich auch in einem ständig wachsenden Zustrom von Orgelschülern aus aller Welt bemerkbar machte.

Heillers Schüler wurden seine überzeugten Apostel. So ging es rasch bergan. Schon 1952 wurde er erster Preisträger beim Internationalen Orgelimprovisationswettbewerb in Haarlem (Holland) und eroberte zum erstenmal die „Silberne Tulpe” für Wien. Seit 1950 setzten seine Orgelkonzertreisen ein, die ihn bald über Europa hinausführten und ihm stets neue, ehrenvollere Berufungen eintrugen, sei es als Experte, Juror oder Solist. Nur ein einziges Ereignis aus vielen sei herausgegriffen: 1962 spielte er bei dem Eröffnungskonzert der Philharmonie Hall des Lincoln Center in New York das Orgelkonzert von Hindemith unter der Leitung des Komponisten. Als Bach-Interpret genießt er Weltruf.

Neben der Orgel pflegt Heiller wie viele Organisten, allen voran sein höchstes Vorbild Johann Sebastian Bach, auch die Komposition. Sie geht bei ihm die ganzen Jahre hindurch parallel zur Orgel, und es ist schwer zu entscheiden, wo der jeweilige Schwerpunkt liegt. Heillers Schaffen umfaßt bisher etwas mehr als 50 Werke, in der Hauptsache Kirchenmusik. Es sind darunter: zehn Messen (die erste [1944] „Missa in Mixolydisch [G]” eröffnete ihm mit den Zugang zur Akademie, die letzte [1966] ist für einen amerikanischen Verlag als „English Mass” geschrieben); ein Tedeum, das bei der Eröffnungsfeier des zweiten Internationalen Kongresses für katholische Kirchenmusik in Wien (1954) ebenso entschiedene Begeisterung wie Ablehnung auslöste; lateinische und deutsche Proprien (das letzte Werk dieser Gattung erklang 1967 bei der 150-Jahr-Feier der Wiener Musikakademie im Stephansdom) sowie zahlreiche geistliche Chöre und Motetten (unter letzteren die große Choralmotette „Ach, wie nichtig” (1952), für die er 1956 den Schott-Preis erhielt. Eine besondere Gruppe bilden die Kantaten, meist für Soli, Chor und Orchester gesetzt: „Tentatio Jesu” (1952), die „Psalmenkantate” (1955), Franęois Villon (1956), der 37. Psalm (1963) und „In principio erat verbum” (1965). Mit Ausnahme des von Franz Krieg verfaßten „Villon” sind alle Kantaten in lateinischem Text, der von Heiller selbst der Heiligen Schrift und den Werken des heiligen Augustinus entnommen und höchst persönlich gestaltet wurde. Die rein instrumentalen Werke sind gering an Zahl. Hierher gehören als Frühschöpfungen die beiden Orgelsonaten, zwei Partiten und eine Kammersymphonie für Bläser. Aus letzter Zeit stammen das Orgelkonzert, dessen Uraufführung (1963) mit Heiller an der Orgel in Haarlem stattfand, und die Fantasia super „Salve Regina” (1966). Besondere Erwähnung verdient seine Toccata für zwei Klaviere vierhändig, die er mit seiner Gattin Erna, geborene Hladik, einer Wiener Pianistin und Cembalistin, 1944 urauf- führte, und zwar mit derartigem Erfolg, daß das Werk von der Universal Edition sofort verlegt und gedruckt wurde.

Die Anerkennung, die dieses kompositorische Schaffen des heute 45jährigen Meisters gefunden hat, drückt sich nicht nur in dem Staatlichen Förderungspreis (1954) und im Kulturpreis der Stadt Wien (1963) aus, sondern zeigt sich am deutlichsten, daß fast alles verlegt, gedruckt und wiederholt aufgeführt wurde. Eine auffallend große Anzahl der Werke sind besondere Aufträge kirchlicher und vor allem weltlicher Stellen, so der UNESCO (Paris), des österreichischen Rundfunks, des Senders Freies Berlin, der österreichischen Musikzeitschrift, der Wiener Konzerthausgesellschaft, der Wiener Musikakademie und andere.

Was den Stil der Werke Heillers anlangt, so tragen sie alle den Charakter ihrer Zeit: der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das heißt, sie sind im wesentlichen der Linearität verpflichtet und leben — um ein Wort Strawinskys zu gebrauchen — in der „Welt der Dissonanz”. Funktionelle Harmonik mit ihrer typischen Kadenzierung ist ihnen fremd, wenngleich sich oft ein tonales Zentrum erkennen läßt. Ist es in seiner ersten Zeit mehr die Klangwelt eines Strawinsky, Hindemith oder Frank Martin, die ihn anzieht, so bricht in der Folge die Liebe zur Melodik und Rhythmik des Gregorianischen Chorals durch, was sich freilich seltener in Zitaten als im geistigen Duktus seiner Musik erkennen läßte Heiller verschmäht auch keineswegs die Zwölftontechnik, derer er sich stets souverän zu bedienen weiß.

Es ist klar, daß eine derartige neue Musik dem Verständnis große Schwierigkeiten bereiten mußte. Hier fand Heiller durch eine besondere Fügung in der Person von Hans Gillesberger einen kongenialen Interpreten, der fast alle seine Kompositionen in Kirche und Konzert zur Aufführung brachte. Die beiden Musiker waren sich des Wagnisses wohl bewußt, solche Musik einem breiteren Kirchenpublikum zu versetzen. Ich sehe die beiden noch vor mir, wie sie nach der Uraufführung der „Missa in nocte” bei der Mitternachtsmette (1949) in der Wiener Franziskanerkirche verstohlen den Ausgang suchten. Seitdem hat sich so manches geändert. Die wiederholten Wiedergaben durch erstklassige Chöre gewöhnten auch unser Kirchenvolk allmählich an die neuen Klänge, ja es wagen sich sogar immer mehr ausgesprochene Liebhaberchöre mit Erfolg an Heillers Messen heran. Ich nenne nur die Studentinnen des Seminars für kirchliche Frauenberufe (1954), den Chor des Bundesgymnasiums für Mädchen in Innsbruck (1958) oder in jüngster Zeit den Boys-Town-Choir von Nebraska auf dem Kirchenmusikkongreß von Chicago — Milwaukee (1966). Feststeht: während die musikalische Jugend dem Komponisten Heiller immer begeisterter Gefolgschaft leistet, bleiben vielen von uns Älteren gewisse Grenzen des Verständnisses gezogen.

Alton Heiller gehört ohne Zweifel zu den führenden Kir- chenmusikern unserer Zeit. Er ist Kirchenmusiker nicht etwa kraft einer kirchlichen Anstellung, sondern durch innere Berufung, die sich auch aus dem Signum erkennen läßt, das er den meisten seiner Handschriften am Ende beifügt und das aus den drei lateinischen Unzialbuchstaben besteht: SDG, das ist „Soli Deo Gloria”.

Wenn unserer Philharmoniker im heurigen Jahr zum erstenmal einen unserer österreichischen Kirchenmusiker zur Leitung eines Abonnementkonzertes geladen haben, so freue ich mich darüber nicht nur deshalb, weil ich selbst dieser Sparte der Tonkunst ein Leben lang dienen durfte, sondern ganz besonders, weil diese große Auszeichnung in einer Zeit erfolgt, in der sich unsere Kirchenmusik, wohl der älteste Zweig der abendländischen Kunstmusik überhaupt, in einem schweren Ringen um ihre Existenz befindet. Es geht da zunächst um unsere große österreichische Kirchenmusiküberlieferung, die wahre Meisterwerke liturgischer Tonkunst ihr eigen nennt. Wenn es nur auf den Willen der Extremisten unter den Erneuerern der Liturgie ankäme, wären sie bereits aus dem Gottesdienst verschwunden. Daß dies noch nicht geschah, ist nicht zuletzt dem Verständnis des österreichischen Episkopats für unsere nationale Kultur zu danken. So können, um nur ein Beispiel anzuführen, unsere Philharmoniker noch immer an Sonn- und Festtagen in der Wiener Burgkapelle im Verein mit den Wiener Sängerknaben und mit Mitgliedern des Männerchors der Staatsoper das lateinische Hochamt mit unserer herrlichen klassischen Kirchenmusik schmücken zur Ehre Gottes und zur Beglückung der vielen aus allen Teilen der Welt vereinten Andächtigen. Soll also unsere Kirchenmusik mit Anton Bruckner aufhören? Ich weiß, daß ich mit dieser Frage an eines der schwierigsten Probleme unseres kulturellen Lebens rühre, das allerdings nirgends so vordringlich ist wie im Bereich der „Tonkunst im Heiligtum”, weil es nicht genügt, ausschließlich aus dem Schatz der Vergangenheit zu schöpfen, statt dafür zu sorgen, daß die erneuerte Liturgie weithin auch eine neue Kirchenmusik erhält.

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