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Eine Glanzzeit derVWener Oper

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Es sind fast genau 50 Jahre her, daß ich — als zehnjähriger Volksschüler — in der damaligen k. u. k. Hofoper meine erste Oper hörte, den „Fidelio“. Obwohl mich schon zu der Zeit alles, was mit Musik zusammenhing, lebhaft interessierte, waren mir die Namen der Mitwirkenden nicht so wichtig, daß ich sie im Gedächtnis behalten hätte. E i n Name aber hatte sich mir schon damals fest eingeprägt, der des Dirigenten der Aufführung: Es war Gustav Mahler. Vielleicht hing dies mit dem Umstand zusammen, daß ich, der ich schon manches Orchesterkonzert gehört hatte, noch keinen Kapellmeister gesehen hatte, der eine so unglaubliche, fast möchte ich sagen, unheimliche Agilität am Pult entfaltete wie Mahler. Wenn auch die Szene und die Musik, insbesondere die Chöre, größten Eindruck auf mich machten, so war es mir damals natürlich noch nicht bewußt, welches einmalige künstlerische Erlebnis eine solche Aufführung unter Mahler bedeutete. In späteren Jahren, als ich als angehender Musikstudent zu den eifrigsten Besuchern der 4. Galerie gehörte, habe ich viele bedeutende Dirigenten am Pult gesehen, aber nicht bald eine Vorstellung wird mir so unvergeßlich bleiben wie diese „Fidelio“-Aufführung unter Mahler, obwohl ich ihn bei dieser Gelegenheit zum erstenmal dirigieren sah. In meiner Bühnenlaufbahn habe ich dann einige Künstler kennengelernt, die noch unter Mahler engagiert waren: Erik Schmedes, die Gutheil-Schoder, die Kurz, Slezak und Maikl (mit den drei Letztgenannten sang ich noch einigemal zusammen) und insbesondere der Philharmoniker Professor Kohut haben mir manches erzählt, was mein Interesse für Mahlers Wirken an der Hofoper betraf.

Mahler war nach einigen kleineren Provinzengagements an das Landestheater in Prag gekommen, mit 26 Jahren als zweiter Kapellmeister neben Nikisch ans Leipziger Stadttheater engagiert worden und wurde von dort als Direktor an die königliche Oper in Budapest berufen. Trotz der großen Erfolge, die er als Opernchef aufzuweisen hatte, und trotz der allgemeinen Anerkennung, die man ihm in Budapest zollte, legte er seine glänzend dotierte Stellung sofort nieder, als Graf Zichy, der bekannte einarmige Klaviervirtuose, als neuer Intendant die künstlerischen Befugnisse Mahlers einschränkte. Nun folgte eine sechsjährige Tätigkeit am Stadttheater in Hamburg, wo Mahler nach dem Tode Bülows auch die großen Orchesterkonzerte leitete. Sein Verdienst war es, daß Hamburg zu einer der allerersten deutschen Opernbühnen wurde, und dieser Umstand und die von Mahler in London geleiteten glänzenden deutschen Opernaufführungen waren mitbestimmend, daß man ihn im Mai 1897 als Kapellmeister an die Wiener Hofoper berief, wo er bereits im Juni zum Stellvertretenden Leiter und im Oktober desselben Jahres nach dem durch Krankheit bedingten Rücktritt Jahns zum definitiven Direktor bestellt wurde, mit einem Jahresgehalt von 24.000 Kronen, der sich rpüter auf 36.000 Kronen erhöhte.

Schon die ersten von Mahler in Wien geleiteten Vorstellungen, „Lohengrin“, insbesondere das von ihm visionär-entrückt gestaltete Vorspiel, und „Holländer“, hier vor allem die prachtvoll herausgearbeiteten Chöre, erweckten begeisterten Beifall, und man erkannte bald, daß Mahler nicht nur ein hervorragender Dirigent war, sondern auch den von Wagner an den künstlerischen Leiter einer Opernbühne gestellten Forderungen in einer Person vollwertig nachkam, nämlich Dirigent, Regisseur und Gesangdirektor gleichzeitig zu sein. Galt eine besondere Pflege Mahlers den Werken Wagners, so gab es unter ihm — im Gegensatz zur Aufführungspraxis Jahns und Richters — nur strichlose Aufführungen in den Opern und Musikdramen des Meisters, was allerdings zuerst großes Befremden beim Publikum hervorrief und von den Sängern und vom Orchester mißliebig aufgenommen wurde, nicht zuletzt wegen der vielen Proben, die Mahler in seinem unerhörten Arbeitsfanatismus ansetzte. Auch manche angestammte Gewohnheit, so zum Beispiel das

„Gebet“ in „Lohengrin“ statt als reinen Vokalsatz mit der von Richter geschaffenen Orchesterbegleitung singen zu lassen, wurde sofort beseitigt, wie mir Kohut erzählte.

Ebenso wie Wagner galt auch Mozart seine große Liebe, und schon die erste „Hochzeit des Figaro“ und die „Zauberflöte“ brachten musikalisch und szenisch stilistisch neue und eindrucksvolle Aufführungen. In dem Maler und Bühnenbildner Alfred Roller hatte der junge Direktor einen gleich genialen Helfer gefunden; selten haben zwei Künstler mit solchem gegenseitigen Verständnis zusammengearbeitet. Trotz der besonderen Vorliebe für Wagner und Mozart hat sich Mahler — was auch aus den Programmen der eine Zeit lang von ihm geleiteten Philharmonischen Konzerte hervorgeht — immer als „universeller“ Musiker gezeigt, was seine Verdi-Aufführungen, mancher Meyerbeer, „Dalibor“, „Onegin“, „Donna Diana“, Strauß' „Feuersnot“, Webers von ihm neu bearbeitete „Drei Pintos“, Goerz' „Widerspenstigen Zähmung“, die prachtvolle Wiedererweckung der Gluckschen „Iphigenie in Aulis“ und viele andere von ihm herausgebrachte Opern bewiesen.

Man hat Mahler manche künstlerische „Eigenmächtigkeiten“ vorgeworfen, so eine teilweise Uminstrumentierung der „Neunten“ von Beethoven, mit einer stellenweisen Verdopplung der Holzbläser und Verstärkung der Hörner und Trompeten; daß aber seine „Fidelio“-Einrichtung ihre Berechtigung durch ihre Wirkung erbrachte, kann wohl schwer geleugnet werden: die Ouvertüre in E als Vorspiel und die „Große“ Leonoren-Ouvertüre vor dem Beginn des letzten Bildes.

Es entsprach nur dem künstlerischen Ethos Mahlers, daß er manche im Wiener Opernbetrieb eingerissenen Unsitten mit drakonischen, vom Publikum oft sehr mißbilligten Maßnahmen bekämpfte: Während der Ouvertüre und während der Akte durfte niemand den Zuschauerraum betreten, eine Maßregel, die er schon in Hamburg durchzuführen versucht hatte. Unerbittlich erklärte er der bezahlten Claque den Krieg, und seine Künstler mußten sich ehrenwörtlich verpflichten, keine Bindung mit ihr einzugehen. Und seine offenherzige Beurteilung der Leistungen der einzelnen Mitglieder sowie Besetzungsumänderungen haben manche „Affäre“ und Feindschaften heraufbeschworen: So beklagte sich der berühmte Reichmann bitter, daß ihn Mahler alternierend mit Demuth ansetzte. Auch daß Mahler zwei Wiener Lieblinge, die Renard und van Dyk, nicht wiederengagierte, wurde ihm schwer nachgetragen.

Groß war er im Aufspüren junger, vielversprechender Talente: Die Heranbildung des ursprünglichen Baritonisten Schmedes zum Heldentenor als Ersatz für Winkelmann, der Liebergang der Mildenburg ins hochdramatische Fach — Mahler hatte sie aus Hamburg mitgebracht —, die künstlerische Entwicklung der Sopranistin Sedlmaier, die als teilweise Nachfolgerin der Materna deren Fach sang, die Entdeckung der prachtvollen Gutheil-Schoder sind Aktivposten, die ausschließlich Mahler zu verdanken sind. Und wie oft erzählte mir mein väterlicher Freund, Kammersänger Georg Maikl, wie er, nachdem ihn der junge Bruno Walter über Auftrag Mahlers in Mannheim angehört hatte, 1904 an die Wiener Oper engagiert und von Mahler sorgsam geführt und zu immer größeren Aufgaben herangezogen wurde.

Als Mahler im Oktober 1907 die Direktion niederlegte — am 15. Oktober hatte er als letzte Oper „seinen .Fidelio' “ dirigiert — richtete er ein Abschiedsschreiben an das gesamte Personal, in dem er, ein Zeichen schöner menschlicher Einsicht und Verstehens, gleichsam entschuldigend vorbrachte, daß er zur Erreichung eines hochgesteckten Zieles die Person der Sache unterordnen mußte. Für das gelungene Werk, das „alle Not und Mühe reichlich lohnte“, sagte er allen seinen Mithelfern herzlichen Dank. Mit Mahler war eine der größten künstlerischen Persönlichkeiten abgetreten, welche die Wiener Oper besessen hat.

Der

Komponist Boris Blacher

Mit dem Ballett „Der Mohr von Venedig“, das während der Wiener Opernfestwochen uraufgeführt wird, hat Blachers Oeuvre die Opuszahl 50 erreicht. Seifen wahrte ein Komponist unserer Zeit bei einer so grofjen Werkzahl einen einheitlichen Personalstil. Blacher trat erst als reifer Künstler an die Oeffentlichkeit. Seifher aber ist sein Stil festgelegt durch die Kunst des ausgesparten Satzes, durch das Weglassen alles Unwesentlichen. Seine Partituren sind durchsichtig, glasklar wie sein Intellekt, der stets das Gefühl konfrollierf. Interessante Farbtupfen bestimmen das Kolorit seiner Werke. Blacher schreibt fonal. Was seinen Werken ihre Modernität verleiht, ist die Betonung des Rhythmischen, für das Blacher ein eigenes Reihensystsm der „variablen Metren“ entwickelt hat, auf das er sich aber keineswegs prinzipiell festlegt. Blachers Werke wirken dabei nicht mathematisch konstruiert, man hört freischwebende Rhythmen. Die klare Gesetzmäßigkeit steht im Hintergrund und wird beim Studium des Notenbildes deutlich.

Stil und Technik sind für Blacher völlig getrennte Dinge. Das eine ist Ausdruck der Persönlichkeit, das andere ein in jedem Werk neues technisches Mittel zum Zweck, variabel nach den jeweiligen Erfordernissen. Die persönliche Handschrift bleibt stets unverkennbar. Für Boris Blacher ist alle Musik Spiel im besten Sinne, geistigste Unterhaltung. Seinen Humor bringt er häufig durch Ironie und Selbstironie zum Ausdruck, ohne dabei bissig zu werden. „Weltschmerz“ findet in Blachers Kompositionen keinen Anklang. Mit der Zurückhaltung des modernen Menschen zeigt er seifen sein Innerstes und verbirgt seinen Ernst häufig hinter der Maske einer intellektuellen Nonchalance.

Blacher ist Kosmopolit. 1903 in China geboren, in Sibirien und der Mandschuiei aufgewachsen, arbeitet er seif 1922 in Berlin, wo er seif 1953 als Direktor der Hochschule für Musik täfig ist. Bis zu seinem 30. Lebensjahr leistete Blacher musikalischen Frondienst. Im Kampf um das tägliche Brot kopierte er Noten, begleitete Stummfilme am Klavier und arrangierte leichte und ernste Musik. Dadurch gewann er die profunde Kenntnis der musikalischen Praxis und das handwerkliche Können, das alle seine Kompositionen auszeichnet. Erst 1937 errang er mit seinem 10. Opus, der „Concertanfen Musik“, den sensationellen Erfolg, dsr ihn international bekannt machte. Das „Dritte Reich“ unterdrückte den Komponisten, der weltoffen alle Anregungen verwertete und auch den rhythmischen und klanglichen Elemenfen des Jazz in seinen Werken Platz einräumte. Als der Bann der uniformierten Kulturpolitik gebrochen war, traf Blacher mit seinen wesentlichsten Konzertwerken, mit Bühnen- und Kammermusik auf allen wichtigen Musikfesten hervor. Die bedeutendsten Dirigenten und Interpreten setzten sich für ihn ein und trugen seine Kompositionen in alle Welt.

Auch in Wien ist Blacher längst kein Fremder mehr. Noch isf der Erfolg seines „Hamlet“ vom Gastspiel des Bdiefts der Städtischen Oper Berlin her in Erinnerung. Im „Mohr von Venedig“ werden als Ausgleich für das fehlende erklärende Wort die Triebkräfte der menschlichen Charaktereigenschaften durch Ritornelle verdeutlicht, die nach den einzelnen Abschnitten der Handlung in abstrakter Form wiederholen, was Othellos Amoklauf in Gang setzte. So isi ein Werk entstanden, das trotz des Fehlens der Shake-spearischen Texte mehr ist als eine Eifersuchfsgeschichte: Eine getanzfe psychologische Tragödie. Dr. Harald Kunz

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