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Einige Fragen

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Während der vergangenen Woche wurde eine ganze Reihe Trauerkundgebungen für Wilhelm Furtwängler veranstaltet: von der

Gesellschaft der Musikfreunde und den Philharmonikern, von der Konzerthausgesellschaft und im Abendprogramm der Rundfunksender. Würdige und eindrucksvolle Feiern, sicherlich: entweder mit eigens zusammengestellter Vortragsfolge oder in Form eines dem vorgesehenen Programm vorangestellten Musikstückes, Feiern mit und ohne Reden. Man spielte zu Furtwänglers Gedächtnis Werke von Beethoven, Bruckner und Wagner oder gab von Schallplatten und Tonbändern von ihm geleitete Aufnahmen wieder, ln keinem dieser Konzerte aber hörten wir auch nur eine Note von dem Komponisten Furtwängler. Wer ihn kannte, weiß, mit welcher Ueberzeugung und Leidenschaft er für diesen Teil seines musikalischen Talents eintrat. Man mag Furtwänglers Kompositionen wie auch immer einschätzen: bei diesem Anlaß hätte es sich wohl geziemt, wenigstens einen Satz aus einer der beiden Symphonien, aus dem Klavierkonzert oder aus der großen Sonate für Violine und Klavier zu spielen

Das 4. Philharmonische Abonnementkonzert leitete Mario R o s s i. Nach der Trauermusik aus „Götterdämmerung“ (in memoriam Wilhelm Furtwängler) folgte die Jenaer Symphonie von Beethoven und als Abschluß des ersten Teiles „Nuages" und „Fêtes" aus Debussys „Trois Nocturnes“ in glänzender Wiedergabe, wobei das ungewöhnlich langsame Tempo der „Wolken“ bewirkte, daß diese zarten Luft- und Klanggebilde noch mehr als sonst zu zerfließen schienen. Sehr erfreulich war auch die Wiederbegegnung mit Franz Schmidts 3. Symphonie in A-dur, die Rossi wie ein Dirigent aus der Wiener Schule im Geiste Schuberts und mit philharmonischem Klanggefühl interpretierte. Immer wieder wird uns versichert, daß im Schaffen Schmidts sich die symphonische Tradition eines Schubert, Brahms und Bruckner erfüllt habe. Dabei bleibt es rätselhaft, warum es den Werken Franz Schmidts nicht gelingt, außerhalb seiner engeren Heimat festen Fuß zu fassen. Das für die Schubert-Jahrhundertfeier von 1928 geschriebene Werk wurde mit dem ersten Preis der „österreichischen Zone“ unter 77 eingereichten Partituren ausgezeichnet, und Franz Schalk bedachte es mit dem etwas zweideutigen Lob, daß es „den Hörer in Musik geradezu ertränkt“

Sehr erfolgreich waren der spanische Dirigent Ataulfa Argenta und der Solist Friedrich Gulda im 3. Konzert des Zyklus „Klassische und romantische Musik“ im Kqnzerthaus. Zum Gedenken an Wilhelm Furtwängler spielte das Orchester der Wiener Symphoniker die Coriolan-Ouvertüre von

Beethoven, dann folgten „Nächte in spanischen Gärten“ von de Falia, und mit de Fallas Tänzen aus dem Ballett „Der Dreispitz“ schloß das Konzert. Dazwischen standen zwei Werke von Richard Strauss, die Tondichtung „Don Juan" und die Burleske für Klavier und Orchester. Gulda spielte den Solopart in dem spanischen Stück kühl-brillant, klanglich fast scharf, in der „Burleske“ mit romantischem Feuer und schumannschem Lyrismus. Argenta ist der spanische Dirigent, wie man ihn sich vorstellt: dunkel, schlank, temperamentvoll zupackend und nicht ohne Sinn für die gefällige Pose. Das Publikum war begeistert, und man kann es verstehen.

In einem außerordentlichen Konzert der Wiener Symphoniker unter der Leitung von Franco Gallini lernten wir das durch den italienischen Musikverleger Natale Gallini wiederaufgefundene 4. Violin konzert von Paganini kennen. Der große Virtuose schrieb das Stück 1829 30 während seiner großen Europatournee für Paris, wo es ein einziges Mal (1831) gespielt wurde, dann h.nterließ er es seinem Sohn Achille. Aus dem Besitz der Barone Paganini geriet es mit einem Haufen Altpapier an einen Händler in Parma, und von dem kaufte es der Vater des Dirigenten, dem es auch gelang, den fehlenden Solopart aufzufinden und damit das wirkungsvolle dreisätzige Werk wieder aufführbar zu machen. Der erste Satz hat fast symphonischen Charakter, der zweite, ein „Adagio flebile con sentimento", ist intim-lyrisch, der dritte (Rondo galante) brillant-virtuos und erinnert an die „Campanella“. Arthur Grumiaux spielte den halsbrecherischen Solopart mit seinen blitzschnellen Lagen- und Saitenwechseln, seinen Spiccati, Doppelgriffen und Flageoletts mit unwahrscheinlicher Ruhe und stupender Sicherheit. Ob ihm das einer der Wiener Geiger nachmachen wird? Denn gerade der Typus de Paganini-Virtuosen scheint auszusterben . ..

Im Brahms-Saal des Musikvereines begleitete ein Streicherensemble der Wiener Symphoniker unter der Leitung von Wolfgang Gabriel vier Konzerte für Soloinstrumente von J. S. Bach. Den Cembalopart bestritt am Klavier eine feine, ältere Dame aus Zürich, eine bekannte Bach-Enthusiastin und Verfasserin mehrerer interessanter Schriften über den Thomas-Kantor. Aber sie konnte — nicht Klavier spielen, war zumindest den Anforderungen Bachs in keiner Weise gewachsen. Und wir fragen, was sie sich wohl gedacht haben mag, als sie sich einem — übrigens sehr großen — Wiener Publikum präsentierte?

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