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Große Dirigentenparade

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Der 82jährige Ernest Ansermet, der das berühmte Orchester de la Suisse Romande gründete und seit 1918 ununterbrochen leitet, dirigierte im Großen Musikvereinssaal das dritte Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“. Der Sohn eines Geometers und ehemaliger Mathematikprofessor in Lausanne nimmt bei den Proben die Partitur wie einen alten Wecker auseinander, um dann erst im Konzert nicht nur einen tickenden, sondern einen lebenden, formvollendeten Organismus zu präsentieren. Dies Verfahren kam — für uns recht überraschend — auch der eingangs gespielten 3. Symphonie von Brahms sehr zugute, deren Architektur selten so klar zu „erhören“ war. Bei den „Images pour orchestre“ von Debussy mit den selten aufgeführten „Gtgues tristes“ befand sich Ansermat auf seinem ureigenstem Territorium, konnte aber mit dem Orchester der Symphoniker anscheinend nicht ganz jene Klangvorstellung realisieren„ die ihm vorschwebte. In Ravels „Bolero“, diesem immer wieder faszinierenden Bravourstück, vom Komponisten scherzhaft als „ein Werk für Orchester ohne Musik“ bezeichnet, verwandelte sich der Schul- in einen Hexenmeister, der am Höhepunkt der ständigen dynamischen Steigerung mit einem Minimum an Gesten ein Maximum an suggestiver Wirkung erzielte.

Lorin Maazel, den 35jährigen Chef der Deutschen Oper Berlin und des Rundfunkorchesters, haben wir wegen seiner Neigung zu Exhibitio-nen und Übertreibungen bei der Interpretation von Werken Tschai-kowskys und Mahlers in etwas unguter Erinnerung. Inzwischen ist der immer noch sehr jugendlich wirkende Dirigent ganz auf die klassische Linie eingeschwenkt. Der klaren Gliederung und der Präzision scheint sein Hauptaugenmerk zu gelten, wobei Reizvoll-Klangliches zuweilen etwas dürftig gerät. Die raschen Sätze haben Feuer und Brio; die langsamen zum Atmen zu bringen gelingt nicht immer. Auf dem Programm des 2. Abonnementkonzerts der Philharmoniker, die mit kaum überbietbarer Akkuratesse und Tonschönheit spielten, standen die „Euryanthe-Ouvertüre“ von Weber. Mozarts Es-Dur-Symphonie KV. 543 und Schumanns Zweite.

Als einer der besten Kammerchöre überhaupt legitimierte sich von neuem in Wien der Spanische Kammerchor Pamplona unter Leitung seines Gründers Luis Morondo. Was hier an Ausgewogenheit der Stimmen, an dynamischer und rhythmischer Disziplin, kurz an Gesangskultur geleistet wird, dürfte wenig Parallelen haben. In seinem Konzert machte er es indes weder sich noch dem Publikum leicht, dies über alles hinaus festzustellen, weder in Programmwahl noch Ausführung. Die Karfreitagsliturgie von Tomas Luis de Victoria, in ihrer Grandezza äußerst eindrucksvoll, wirkt dennoch durch ihre zweistündige Dauer, ihre Gleichförmigkeit in Tempo und Ausdruck, mehr aber noch durch die dauernde Drosselung der Stimmen ermüdend. Gewiß, seit Jahren hat man in Wien kein solches Pianissimo gehört; seine Länge hob leider die Spannung auf, zumal es an sich nicht leicht ist, in den Adventtagen sich in die Karfreitagsliturgie zu versenken. Wer es konnte, hatte ein ergreifendes musikliturgisches Erlebnis. Wer's nicht vermochte, kam erst in den Draufgaben ganz auf seine Kosten. Da blühten Stimmen und Temperamente auf, und erst hier war der Chor gleichsam da, was der Beifall enthusiastisch quittierte. Mit einer modifizierten Programmwahl möchten wir diesen Chor bald wieder bei uns hören.

Das 2. Konzert im Zyklus „Die slawische Symphonie“ wurde dieser Bezeichnung mehr durch den Dirigenten Martin Turnovsky und den Solisten Ivan Moravec als durch das Programm gerecht, worin nur Bohuslav Martinus Symphonie ein slawisches Werk war. Mozarts großartige „Prager Symphonie“, D-Dur, geriet denn auch am wenigsten großartig, während Beethovens Klavierkonzert, G-Dur, op. 58, durch die Kunst des Pianisten zum Erlebnis wurde. Ivan Moravec musiziert mit ebensoviel Temperament als Behutsamkeit, was in Verbindung mit seinem variablen Anschlag ein (zwar weniger heroisches als klares) künstlerisches Profil schafft. Er riß denn auch die Führung an sich und behauptete sie. Hier wächst zumin-destens ein Pianist von Klasse heran. — Orchester und Dirigent entfalteten sich erst in Martinus IV. Symphonie, einer Art Perpetuum mobile in der Motorik seiner Randsätze, aber in den Mittelsätzen aparter Einfälle voll. Das Werk ist kaum eine Offenbarung, aber sehr wert gehört zu werden, besonders mit der Zügigkeit und dem Elan der

Wiedergabe, zu der die Symphoniker hier durch den Dirigenten inspiriert wurden.

Auch der „Wiener-Symphonifcer-Zyklus“ brachte sein 2. Konzert, und auch hier stand ein slawisches Werk im Mittelpunkt: Antonin Dvoraks Konzert für Violoncello und Orchester, h-Moll, op. 104, dessen Solopart George Neikrug (USA) spielte. Soweit Gutes über den Solisten zu sagen ist (absolute Sauberkeit des Tones, Weichheit des Ausdrucks und virtuose Schlankheit), bot er das Beste in der völligen Zusammenwirkung mit anderen Instrumenten und dem ganzen Orchester und in dieser Weise dem Sinne des Ganzen dienend. Vor dem Cellokonzert, das vom Orchester unter Führung von Wolfgang Sawallisch exzellent (wenn auch gelegentlich zu laut) sekundiert wurde, erklang die Tondichtung „Finlandia“ von Jean Sibelius, dem bei uns weniger und außerdem nur mit diesem Werk bekannten großen Finnen. Den Abschluß bildete der „Don Quijote“ von Richard Strauss, bei dem man sich wieder einmal mehr der großen Instrumentations- und Darstellungskunst des Komponisten freuen konnte. Der Schwung, mit dem diese phantastischen Variationen über ein Thema (eigentlich eine Themengruppe) ritterlichen Charakters, zur Einheit in der Vielfalt gefaßt, erklangen, löste lang anhaltenden, verdienten Beifall aus.

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