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Harte Schläge zu Beginn

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Salzburgs Sommerfestival 1970 war noch ganz jung, da traf es die Nachricht vom Tode George Szells, eines Dirigenten, von dem man mit Gewißheit eine exemplarische Interpretation von Beethovens IX. Symphonie hatte erwarten dürfen. Daß Rafael Kubelik sich bereit erklärte, dieses Konzert zu übernehmen, stimmte zwar zufrieden, weniger tat dies jedoch die zweite Hiobsbotschaft, nämlich jene von einer Erkrankung Kubeliks nach seinem ersten, wohlgelungenen Mozart-Konzert im Mozarteum und die damit verbundene Abgabe seines zweiten planmäßigen Konzertes. Und weil ein Unglück selten allein kommt, machte sich flugs Herr von Karajan erbötig, den Kubelik-Abend zu übernehmen, sogar mitsamt dem Solisten, Herrn Christoph Eschenbach, allerdings mit geändertem Programm: An die Stelle von Mozarts C-Dur-Klavierkonzert, KV 467, trat jenes in a-Moll von Schumann, und statt Mahlers I. Symphonie erklang jene von Brahms, die Herr von Karajan vor nicht allzulanger Zeit, nämlich an Ostern 1970, mit dem gleichen Orchester (Berliner Philharmoniker) und am gleichen Ort, nämlich im Großen Festspielhaus in Salzburg, aufgeführt hatte.

Diese für Interpreten gewiß ökonomische und daher von vielen von ihnen auch geschätzte Abziehtechnik läuft nach Meinung unverbesserlicher Puristen dem Festspielgedanken und einer damit verbundenen Sorgfalt der Auswahl denn doch arg in die Quere, mag man sich auch gelegentlich daran stoßen, daß dem Elitären oft der Hochmut verschwi-stert ist. Immerhin ist dieser noch der Bequemlichkeit vorzuziehen, die den Weg der Bequemlichkeit säumt, des glatten Routinedenkens. Die Tatsache, daß der große Meister nur ein Mahler-Opus in seinem Repertoire hat, nämlich „Das Lied von der Erde“ — als er es vor rund zehn Jahren einstudierte, dies und Strawinskys „Sacre du printemps“ — so ging eine gar noble Agenturmeldung über die Fernschreiber —, kund- und zu wissen tuend, daß der Maestro sich nunmehr etwas vom Konzertbetriebe zurückziehe, um „zwei Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“ seinem Repertoire einzugliedern — dieser Umstand hätte ja nicht unbedingt zu einer Programmänderung rühren müssen. Mit Swa-rowsky, Abbado, Mehta und Märzendorfer weilten und weilen genug erfahrener Mahler-Musiker in Salzburg. Doch wenn die Festspieldirektion niemanden finden will, fängt sie erst gar nicht zu suchen an. So ökonomisch arbeitet sie, gilt es, einen Karajan-Abend auszusparen. *

Zu den bisherigen acht Orchesterkonzerten: Sie hatten, sieht man vom zweiten unter Ozawa ab, von der Vortragsfolge wie vom Musizieren her durchwegs Festival-Charakter. Zubin Mehtas Start mit Beethoven („Egmonf'-Ouvertüre, II. Symphonie) und Straurinsky („Sacre du printemps“) wurde trotz des akustischen Experimentierfeldes, das die umgebaute Felsenreitschule zur Zeit darstellt, zu einer dirigentischen und musikalischen Exhibition von künstlerischen Graden. Wie tief der Inder in Beethovens geistige Welt eingedrungen ist, machte ebenso staunen wie die selbstverständliche Fertigkeit, mit der sich das Wiener Orchester durch Strawinskys Synkopendschungel hürdete, nichts an Härte des Klanges und Schärfe des Rhythmus missen lassend. Bartöks Violinkonzert, gespielt von Henryk Szeryng, bedeutete den Höhepunkt des Abends des Berliner Philharmonischen Orchesters im Großen Festspielhaus. Seiji Ozawa dirigierte außerdem wehenden Haares Mendelssohns „Hebriden“-Ouvertüre und die VII. Symphonie von Beethoven.

Einen gefühlstiefen, klanglich weit ausschwingenden Mozart ließ Rafael Kubelik die Wiener Philharmoniker im Stiftungskonzert des Salzburger Mozarteums musizieren, mit den beiden g-Moll-Symphonien (KV 183 und KV 550) als Eckpfeiler und einer differenziert und gelöst gespielten „Prager Symphonie“ KV 504). Ein Abend reichen Sympathieaustausches.

Für Feinschmecker war das Konzert der Berliner unter Carlo Maria Gtultni in der Felsenreitschule, läßt man Cesar Francks süßliche Programmusik „Eros und Psyche“ außer Betracht, Von Rossinis “Semiramis“-Ouvertüre über die bemerkenswert ausgeleuchtete „Tragische“ von Schubert (seine „Vierte“) bis zu Debussys „La Mer“ gab's einen Triumph für den Dirigenten und das unvergleichlich aufspielende Orchester.

Dieses stellte sein Herr und Meister Karajan im Großen Festspielhaus erst klein vor, in Mozarts Sinfonia concertante Es-Dur, KV 297 b (mit den virtuosen Bläsern Koch, Leister, Piesk und Seifert), und danach groß, ganz groß — so groß, wie der heute kaum noch erträgliche Banalitätsriese „Also sprach Zarathustra“ zum (Richard) Strauss gebunden werden muß.

Karl Böhm führte am gleichen Ort das gleiche Orchester (und sein Publikum) zu Mozart und Brahms, dessen „Zweite“, ein Wunder an Balance von Lyrik und Dramatik, zur Zeit wohl kein zweiter Dirigent so souverän im Griff hat. Der Mozart vor der Pause rekrutierte sich aus der C-Dur-Symphonie, KV 200, einer der geistreichsten „Salzburger Symphonien“ des damals 18jährigen, die das Orchester mit Animo und Noblesse musizierte, und dem letzten Klavierkonzert (B-Dur, KV 595), dessen Vortrag den temperamentvollen Solisten Emil Gilels als noblen Poeten auswies. Gute Figur machte Kurt Mazur, der Chef der Dresdener Philharmonie, in einer Wiener-Philharmoniker-Matinee letzten Sonntag im Kleinen Haus als Dirigent von Beethovens „Achter“. Zuvor spielte der Koreaner Young Uck Kim das Mozart-Violinkonzert A-Dur, KV 219, und zu Beginn erklang eine unendlich fade Komposition eines zeitgenössischen Zwickauers. Der Preis für Mazurs Ausreise offenbar.

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