6633810-1957_02_12.jpg
Digital In Arbeit

„Jeanne d’Are“- Oratorium und Beethoven

Werbung
Werbung
Werbung

Die großartigen Totentanzvisionen der Claudel- Honeggerschen „Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen" gehören zweifellos zu den stärksten Eindrücken der modernen Oper, wenn Bühnenbild, Inszene, Choreographie und Kostüme zu bildhafter Einheit sich schließen wie in der Staatsoper durch die Zusammenwirkung von Josef Gielen, Robert Kautsky und Erika Hanka. Die beiden Hauptgestalten: Johanna und Bruder Dominique sind nicht Sänger. An ihren Platz gebannt, praktisch bewegungslos, geht aller Eindruck von ihrer Erscheinung und von ihrem gesprochenen Wort aus. Auch Auftritts- und Abgangswirkungen fehlen, denn sie vei lassen die Bühne nicht. Es gibt nicht viele Rollen von gleicher Schwierigkeit. Sie werden von Judith Holzmeister und Andreas Wolf verkörpert und bis an die Grenze des Faßbaren vergeistigt. Das grandiose musikalische Geschehen um die beiden Sprecher stand unter Michael Gielens Leitung im Zeichen eindrucksvoller Interpretation. Chr. W. Glucks vorangehendes pantomimisches Ballett „Don Juan“ kann allerdings weder gedanklich noch musikalisch als Vorbereitung auf das Hauptwerk des Abends gedeutet werden. (Trotz der Glanzleistung Willy Dirtls.)

Im Philharmonischen Konzert unter Eugen Ormandy stand Gottfried von Einems „Konzert für Orchester, op. į!“ zwischen der IV. Brahms- Symphonie und Maurice Ravels symphonischen Fragmenten aus dem Ballett „Daphnis und Chloe“ (II. Teil), zwei Meisterwerken in vollendeter Wiedergabe; daß es sich in dieser äußerst anspruchsvollen Umgebung nicht nur behaupten, sondern zum unbestrittenen Erfolg durchsetzen konnte, ist für das Werk überzeugender als jede geschriebene Kritik, beweist Klarheit in der Diktion und Maßhalten in den Anforderungen an die Hörer, aber auch die leichtere Zugänglichkeit neuer Musik durch erstklassige Wiedergaben. (Und dies wieder sollte ein philharmonisches Programm bedeuten.)

Beethovens „Leonoren-Ouvertüre Nr. III“ hörten wir an jenem Tage noch ein zweites Mal, denn auch das 1. Konzert des Beethoven-Zyklus der Symphoniker unter Josef Krips begann wie das philharmonische mit dieser schönsten aller Ouvertüren, und es war interessant zu erleben, wie sie unter Ormandv die strafferen, strengeren Züge, unter Krips das ausdrucksvollere Gesicht zeigte. „Ausdruck“ des Heroischen war denn auch die 3. Symphonie: nicht nur im formalen, sondern im tiefsten menschlichen Sinn. Das „Konzert für Klavier und Orchester, op. 15", von Friedrich Gulda brillant interpretiert, weist dagegen noch mehr barocke Verbindlichkeit als seelische Bedeutung auf. :

Josef Krips leitete auch das 3. Konzert des Zyklus „Die große Symphonie", und gleich zu Beginn begegnete man abermals der „barocken Verbindlichkeit“ in Joseph Haydns Symphonie mit dem Paukenschlag; aber dahinter leuchtete wie Gold-

grund der Humor und das Gemüt des großen Oester- reichers in unvergänglicher Frische. Der sittliche Ernst, der hier nicht fehlte, kam in seinen dunkleren tragischeren Farben in der 1 Symphonie von Johannes Brahms zu heroischer Verklärung. Zwischen beiden Werken stand Tschaikowskys Klavierkonzert in b-moll, op. 23, von Shura Cherkassky mit außerordentlicher dynamischer Kraft und formaler Vollendung gestaltet, im begleitenden Orchester mit gleicher Meisterschaft nachgezeichnet.

Die philharmonische Uebung, das neue Jahr mit Johann (und Eduard) Strauß zu begrüßen, hat sich zu einer Festlichkeit besonderer Art entwickelt: zur Freude des Wiener Publikums, das am ersten Tag des Jahres gleich vormittags sein berühmtestes Orchester hört, zum fröhlichen Bekenntnis aber auch des berühmtesten Orchesters der Welt zu seinem unverlierbaren österreichischen, wienerischen Charme und Herkommen. Selten sind Publikum und Ausführende so eins wie an diesem Tag, unter diesem Zeichen des wienerischesten aller Komponisten. Und bei aller Ausgelassenheit und allem Ueber- mut bleibt die künstlerische Höhe ebenso wie der jedem Humor zugrunde liegende Ernst im tief Menschlichen verankert, das im Rhythmus der Walzer und Polkas sich am Ende nicht schlechter manifestiert als auf ernstere Art: als Ueberwindung unserer Sorgen und als Zuversicht und Vertrauen zur Ueberwindung der kommenden; als Wille zum Positiven, zur Anerkennung und zum Leben.

Gemeinsam mit der IGNM veranstaltete die Konzerthausgesellschaft im Großen Saal ein ausschließlich neuer Musik gewidmetes .Konzert, das von den Wiener Symphonikern ausgeführt und von Michael Gielen geleitet wurde. Anton von W e b e r n s farbig instrumentierte Passacaglia op. 1 aus dem Jahre 1908 zeigt erst Andeutungen seines späteren, so charakteristischen Pointillismus. Schönbergs Klavierkonzert aus dem Jahre 1942, von Alfred Brendel gespielt, besteht aus einem Walzer, einem Scherzo, einem Adagio und einem rondoartigen Giocoso. Wie die Satztitel ansagen, handelt es sich um ein „leichteres“ Werk, eine „Kammermusik für 100 Spieler“, dessen harmonische Härten durch die meisterhafte Instrumentierung gemildert werden. — Von hier zur „S i n f o n i a b r e v i s" von j. N. D a v i d, die uraufgeführt wurde, ist nur ein kleiner Schritt. Die stilistische Verwandtschaft liegt auf der Hand, erst der letzte und beste Satz wirkt kompakter und ist von lebhafter kontrapunktischer Bewegung erfüllt. Die Blechbläser, bei David auf vier virtuos behandelte Hörner reduziert, haben in Theodor Bergers „La P a r o 1 a“ das laute und entscheidende Wort (wir haben das Werk anläßlich seiner konzertanten Erstaufführung in einem Rathaus- Sommerkonzert an dieser Stelle ausführlich besprochen). Jede dieser vier vertrackten Partituren hatte Michael Gielen genau studiert und leitete das Orchester mit Schwung und Präzision.

Im Mozart-Saal konzertierte Soulima Stra- winsky, der Sohn des bekannten Komponisten, seinem Vater nicht nur äußerlich, sondern auch in seinem musikalischen Geschmack sehr ähnlich. Das vorbildliche Programm lautete: Beethoven — Sonate Es-dur, Scarlatti — sechs Sonaten, Mendelssohn- Bartholdy — Variations sėrieuses, Debussy — Etüden und Prėludes, und Strawinsky — Etüden und drei Tänze aus „Petruschka“. Der Pianist richtete sein Augenmerk vor allem auf die Struktur der vorgetragenen Werke, auf Deutlichkeit und klare Gliederung. Im Vortrag neigt er zu einer gewissen Schwarzweißtechnik, die zu Debussy natürlich weniger paßt als etwa zu Scarlattis oder Strawinskys Klavierwerken. Die Ueberraschung des Abends waren die vier Etüden op. 7 vom Vater des Komponisten: Jugendwerke, noch in Rußland geschrieben (zwei Jahre vor dem „Feuervogel“), mit ausgetiiftelten Schwierigkeiten, aber pompös klingend, etwa wie Skrjabin oder Rachmaninow.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung