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Kammerchor und neue Musik

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Anläßlich seines zwanzigjährigen Bestehens gab der Wiener Akademie-Kammerchor unter seinem Dirigenten Xaver Meyer im Mozart- Saal ein Festkonzert aus vier Stilepochen geistlicher Musik, was nicht nur die Universalität seines Repertoires, sondern auch das hohe geistige Niveau des Chores erwies, der längst ein internationaler Repräsentant ernsten österreichischen Musizierens ist. Der Präsident der Akademie für Musik und darstellende Kunst, Prof. Dr. Hans Sittner, gab einen kurzen Überblick über die Geschichte des Chores, wobei er mit Worten des Dankes sowohl des Anregers Joseph Lechthaler, des Frühverstorbenen, als des Gründers und ersten Leiters, Ferdinand Grossmann, gedachte, der in der Jugend seiner acht Jahrzehnte dem Konzert beiwohnte. Die Wiedergabe des anspruchsvollen Programms legitimierte den jungen Xaver Meyer als würdigen Nachfolger seiner großen Vorgänger. Nach zwei Stücken aus der Missa Papae Marcelli von Palestrinaund der doppelchörigen Motette „Fürchte dich nicht“ von J. S. Bach folgte das Kyrie aus der e-Moll-Messe und zwei Graduale von Anton Bruckner. Die Achtstimmigkeit klang volltönend und ausgewogen, für den numerisch kleinen Chor eine Meisterleistung. Der zweite Teil des Programms wurde eingeleitet mit Arnold Schönbergs „Friede auf Erden“, in seiner problematischen Klangführung übersichtlich und klar gegliedert. Es folgten zwei Chöre aus dem Zyklus „Maria, schöne Zeitenlose“ von Joseph Lechthaler, fesselnd in ihrer eigenartigen Linearität, was auch von Ferdinand Grossmanns „Deutschem Meßlied“ gilt, aus dem vier Stück geboten wurden. Eigens für das Konzert komponierte Hans Haselböck den „Psalm 103“ für gemischten Chor und Orgel, deren Part er selbst spielte. In diesem Werk wird eine (echt österreichische) Synthese von Polyphonie und Harmonik versucht und zum großen Teil erreicht. Es war ein großer Abend für den Akademie-Kammerchor, dessen Bedeutung für das Wiener Musikleben durch die Anwesenheit des Bundespräsidenten sowie Vertretern des Kardinals und des Unterrichtsministers betont war.

Im 4. Konzert des Wagner-Bruck- ner-Zyklus der Gesellschaft der Musikfreunde brachte das Tonkünstlerorchester unter Heinz Wallberg die selten gehörte Ouvertüre zu „Rienzi“, die bei aller Eigenart noch viel von Meyerbeers „Großer Oper“ an sich hat. Zwischen ihr und der (oft gehörten) 4. Symphonie von Anton Bruckner genoß man als zumindest innerlichen Höhepunkt des Abends durch den wunderbaren Vortrag von Marga Höffgen nach langer Zeit wieder einmal die „Wesendonk- Lieder“, die, wenn auch nicht Höhepunkt in Wagners Schaffen, doch ein kostbares Intermezzo bedeuten. Das Orchester war von glänzender Disposition und zeigte die kontinuierliche Arbeit des Leiters durch Niveau und Disziplin.

Franz Krieg

Zwei noch sehr jugendliche, aber bereits arrivierte junge Musiker — beide Träger internationaler Preise, beide durch ihre Mitwirkung bei Festspielen zwischen Bukarest und Edinburg sowie auf Tourneen in mehreren europäischen Ländern bekanntgeworden und beide, natürlich, mit beiden Füßen auch schon im internationalen Schallplattengeschäft stehend — wurden dem Wiener Musikpublikum vergangene Woche im Großen Konzerthaussaal vorgestellt. Der junge Mailänder Claudio Abbado läßt sich bei der Interpretation Schuberts (3. Symphonie) und Mozarts noch nicht recht in die Karten schauen; dagegen scheint er sich in der Welt von Prokofieffs 3. Symphonie, die 1928 in Paris entstanden ist, sehr zu Hause zu fühlen. Die melodische Substanz und die Atmosphäre dieses viersätzigen Werkes sind mit Prokofieffs Oper „Der feu rige Engel“ verwandt, die wir am Ende der vergangenen Saison durch ein Gastspiel der Grazer in der Wiener Volksoper kennengelernt haben. In dieser dramatischen Symphonie mit dem dämonischen Scherzo und dem trauermarschartigen Finale, das, wie der 1. Satz, vpn der hysterischmystischen Stimmung der Oper erfüllt ist, kann sich der Exhibitionis- rhus Abbados voll ausleben (wie während der Salzburger Festspiele 1965 bei der Interpretation von Mahlers II. Symphonie). — Die 19jährige französische Geigerin Claire Bernard,die ihren ersten Soloabend bereits mit acht Jahren (in Brüssel) gegeben hat, ist eine perfekte Technikerin und verfügt über eine Kraft, die man der überschlanken, fragilen jungen Dame nicht zugetraut hätte. Energisch, wie eine Feder gespannt, produziert sie einen überaus sicheren, zuweilen etwas scharfen Ton und spielt Mozart (Violinkonzert D-Dur) metro- nomisch genau und ungerührt. Viel Beifall für die beiden ambitionierten jungen Künstler und für das Werk Prokofieffs, in dem — völlig unabhängig von dem „Sujet“ seiner Symphonie — konstruktive Formen mit athletischer Kraft bewegt werden, ähnlich wie in den Bildern Fernand Legers. (Ausführende waren die Wiener Symphoniker.)

Für die Musikalische Jugend spielte das Ensemble „Kontrapunkte“ in der Sezession eine Reihe meist aphoristischer moderner Kammermusikwerke: bereits „klassische“ gewordene, wie Alban Bergs „Vier Stücke für Klarinette und Klavier" op. 5 (deren Stimmungszauber ebenso fasziniert wie ihre „Modernität“ auch noch im Jahre 1966) und Weberns „Sechs Bagatellen für Streichquartett“ op. 9 — beide aus dem Jahre 1913, ferner Bartöks „Dorfszenen“ für Gesang und Klavier von 1924 und die „Contrasts“ (1939) für Violine, Klarinette und Klavier. Als „Novitäten“ hörten wir die geistvolle, heiter-ironische Vio- linsonate von Gottfried von Einem; (op. 11 von 1949), drei überaus konzentrierte, die Reihenitechnik erprobende Shakespeare-Lieder von Strawinsky aus dem Jahre 1939, deren Text erst'in deutscher Sprache rezitiert und deren Singstimme hierauf von einer Flöte, einer Viola und einer Klarinette sparsam kontrapunktiert wurde; schließlich als Uraufführung ein Rondo von. Martin Bjelik, in der Idee und der Instrumentierung (Klavier, Xylophon und zwei Bongos) offensichtlich von Bartöks Schlagwerksonate angeregt. Das aparte, feingearbeitete Stück basiert auf einem Onstinato der beiden (verschieden hohen) Bongotrommeln. In seinem flächigen Charakter und dem exotischen Kolorit erinnert die Komposition Bjeliks auch an Theodor Bergers „Concerto manuale“, nur hat es diesem die Kürze voraus (7 Minuten :12). Wie überhaupt der Reiz und die Qualität der an diesem Abend gespielten Stücke nicht zuletzt in ihrer Kürze, ihrer Konzentration und der dem Gehalt genau entsprechenden sparsamen Instrumentierung lag. Unter der Leitung von Peter Keuschnig sangen und spielten (durchweg wohlstudiert und technisch einwandfrei, zuweilen mit bemerkenswerter Einfühlung): Mertel Dickinson-Alt und Hildegunde Stieger-Sopran, Lynn Blankeslee-Violine, Horst Hajek-Klarinette und Martin Bjelik- Klavier.

Erwähnt sei wenigstens das auch durch den Rundfunk (Sender II) übertragene und von Dr. Karl Böhm geleitete 7. Abonnementkonzert der Philharmoniker mit der besonders klangschön interpretierten „Passacaglia“op. 1 von Anton von Webern, ein aus dem Jahre 1908 stammendes, noch durchaus tonales Stück, dem die Konzertante Symphonie für Violine und Viola in Es von Mozart mit den Solisten Wolfgang Schneiderhan und Rudolf Streng folgte. Den 2. Teil des Programms bildete die 4. Symphonie von Robert Schumann.

Eine von der Mozart-Gemeinde veranstaltete Matinee der Wiener Symphoniker fand im Theater an der Wien unter der Leitung des aus Köln stammenden Reisedirigenten Otto Gerdes statt. Auf dem Programm standen die Sinfonien in A-Dur KV 201 und g-Moll KV 550; dazwischen spielte Walter Weller das Violinkonzert in G-Dur und sang Tugomir Franc (beide Preisträger des vergangenen Jahres) die Konzertarie „Mentre di lascio“.

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