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Konzerte, Dirigenten, Probleme

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Alljährlich fühlt sich der Chronist verpflichtet, am Ende der Salzburger Festspiele zu dem zweitgrößten und wichtigen Komplex des Festspielprogrammes Stellung zu nehmen: zu den Orchesterkonzerten der Wiener Philharmoniker. Zwar hat sich auf diesem Sektor, wa die Festspielidee im Programm betrifft, seit Jahren trotz wiederholter und berechtigter Einwände praktisch nichts geändert; dennoch muß gerade in diesem Jahre, da sich zweifellos ein gewisser Einschnitt in der Entwicklung Salzburgs abzeichnet, aufs neue das Programm, die Wahl der Dirigenten (die offenbar nach wie vor mit irgendeinem von ihnen mitgebrachten Repertoire nach Salzburg kommen) kritisch betrachtet und die Frage gestellt werden, ob Salzburg in den Wiener Philharmonikern ein Festspielorchester besitzt, das den Anforderungen eines Monsterprpgramms (in diesem Jahre sechs Opern und sieben Orchesterkonzerte) gewachsen ist.

Das heikelste Problem bilden nach wie vor die Programme. Im Grunde waren es nur drei von sieben, denen man die ehrende Bezeichnung eines „Festspielprogramms“ zubilligen kann. Und zwar heben sich diese drei Programme nicht etwa deshalb ab, weil sie sozusagen im Kern ein Vorbild für die ganze Konzertserie abgeben könnten, sondern einfach deshalb, weil sie, iedes für sich besehen,-nicht alltäglich in jeder Musikmetropole aufscheinen. Es handelte sich um das Konzert Bruno Walters, der mit der kleinen g-moll-Symphonie und dem Requiem gleichsam den programmatischen Ton für das Festjahr 1956, für Mozart also, anschlug. Georg Szell nahm die Anregung auf und spielte ein vorbildliches Mozart-Stil-.Programm, wenn auch mit den bekanntesten Werken. Bereits das dritte „Festspielprogramm“ in unserem Sinne begegnete neben lebhafter Zustimmung auch berechtigter Kritik. Es war das Requiem von Berlioz in der Felsenreitschule unter Leitung von Mitropoulos. Keine Frage, daß es nicht bloß historisch interessant war, das geniale Werk wieder einmal zu hören.

In allen übrigen Programmen suchte man vergebens einen besonderen, eben festspielmäßigen Sinn. So eindrucksvoll Karl Böhm mit „seinen“ Wienern musizierte, ein Programm, das die Haffner-Symphonie mit dem Doppelkonzert von Brahms und der großen C-dur-Symphonie Schuberts verbindet, trifft man allerorts und zu allen Zeiten. Das zweite Konzert von Mitropoulos brachte vorwiegend Mozart: die nicht gerade bedeutende Titus-Ouvertüre und das späte C-moIl-KIavierkonzert. Robert Casadesus spielte den Solopart mit der ihm eigenen Delikatesse. Während hier die Qualität der Wiedergabe mit vielem versöhnte, zeigte das Konzert unter Fritz Reiner auch in dieser Beziehung erhebliche Mängel. Reiner ist zweifellos ein hervorragender Musiker, das spürt man nicht zuletzt an seiner im ganzen sparsamen, übrigens in Details an den Dirigenten Richard Strauss erinnernden Zeichengebung. Ungünstig wirkte sich die Gelassenheit des Dirigenten aus, wenn sie sich zur Lässigkeit steigerte, und im Falle der „Carneval Romain“-Ouvertüre und des Es dur-Klavierkonzerts von Beethoven, dessen Solopart Claudio Arrau wieder meisterlich wiedergab, Unstimmigkeiten zwischen Orchester und Dirigenten auftraten. Rafael K u b e 1 i k schließlich brachte ein slawisches Programm, mit der übrigens einzigen (und leider auch unbedeutenden) Uraufführung dieses Jahres, den „Fresken für Orchester nach Piero della Francesca“ von Bohuslav Martinu, dem a-moll-Violinkonzert Dvoraks und der Pathetique von Tschaikowsky.

Bleibt fortdauernd die Frage: Besitzt Salzburg ein Festspielorchester? In den Wiener Philharmonikern steht ein Klangkörper von Weltbedeutung zur Verfügung. Aber abgesehen davon, daß es überlastet ist und sich auch heuer, wie alljährlich gegen Ende der Festspiele, übrigens auch bei den Opernwiederholungen, begreifliche Mängel infolge Uebermüdung einstellen, ist zu sagen, daß Salzburg in Zukunft kaum mit einem einzigen Orchester von Bedeutung, nämlich für Oper und Symphoniekonzert, auskommen kann. Nun wurden die Berliner Philharmoniker für nächstes Jahr hinzuengagiert. Dieses Orchester ist aber bekanntlich ein Konzertorchester, und es ist folgerichtig auch lediglich für Konzerte nach Salzburg berufen worden. Aber nicht zur Entlastung der Wiener, die praktisch die gleiche Zahl an Konzerten zu bewältigen haben werden, sondern für zusätzliche Konzerte. Es ist die Frage, ob es gelingen wird, durch irgendwelche personelle Maßnahmen den Stand des Orchesters für Salzburg so zu mehren, daß es keine qualitätsmäßigen Unterschiede bei den einzelnen Veranstaltungen mehr geben kann. Das ist in erster Linie freilich ein Dirigentenproblem. Von seiner zukünftigen Lösung wird viel, wenn auch nicht alles abhängen. Jedenfalls aber muß eines Tages doch erreicht werden, was seit Jahren gefordert wird: die Erstellung eines Festspie 1 progra m m s der Orchesterkonzerte. Solange jeder Dirigent, sei er noch so weltberühmt, nur seine Paradestücke nach Salzburg mitbringt, wird kein Festspielprogramm von inhaltlichem Sinn zustande kommen. Das Gesicht der Orchesterkonzerte zu prägen, wird wohl eine der schwierigsten Aufgaben sein, die Salzburgs neuer künstlerischer Oberleiter zu lösen haben wird.

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