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Kriegsrequiem und Debussy-Konzert

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Benjamin Brittens „War Requiem“ (Kriegsrequiem) wurde von Chor und Orchester des Bayrischen Rundfunks, dem Tölzer Knaben-c h o r und den Solisten Margaret Tynes (Sopran), George Maran (Tenor) und Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton) unter Leitung von Rafael K u b e 1 i k zum erstenmal in Österreich aufgeführt. Das Werk wurde für die Einweihung der wiedererbauten (bombenzerstörten) Kathedrale von Co-ventry 1962 komponiert. Dieser Anlaß rechtfertigt die Anlage. Zwischen die liturgischen Texte der Totenmesse sind Gedichte von Wilfred Owen geschoben, wodurch die Komposition in zwei ineinandergeschachtelte Teile zerfällt, die zwar trotz ihrer textlichen Gegensätze zu einer musikalischen Einheit gebaut werden, wobei das Kirchliche allerdings der liturgischen Praxis entzogen ist. Die Musik ist voller Poesie und von eindringlicher Wirkung, der wohl die polyphone Dichte fehlt und daher auch die Knappheit. Die Gedichte Owens stehen gleichsam im Vordergrund, die lateinischen Chöre geben gleichsam den milden Rahmen. Die Ausführung war exakt, Intonierung, Rhythmus und Textaussprache vorbildlich, die Chorstimmen ausgewogen in ihrer Dosierung und Dynamik. Dietrich Fischer-Dieskau trug gleichwohl das Fluidum der unmittelbaren Mitteilung. Ihm zunächst George Maran. Groß in stimmlicher Kraft und deren Umfang, leider ein wenig flackernd, Margaret Tynes. Bei aller Kunst und aller Wirkung: nicht in der Wiedergabe, doch in der Anlage hätte der Komposition größere Schlankheit gut bekommen.

Hector Berlioz“ Oratorium „L'En-fance du Christ“ wurde unter Leitung von Colin Davis mit dem Londoner Symphonieorchester und der Wiener Singakademie aufgeführt. Solisten waren April Cantelo (Sopran) als Maria, Thomas Hemsley (Bariton) als Joseph, Alexander Young (Tenor) als Erzähler und Donald Bell als Herodes und Hnusvater, Rudolf Resch als Centurio und Elmar Gipperich als Polydorus. Der textliche Inhalt gruppiert sich um die Flucht nach Ägypten. Trotz der spürbaren Liebe des Dirigenten zu dem Werk und trotz der ausgewogenen, ja gediegenen Wiedergabe vermochte der Funke nur spärlich zu zünden. Die Musik ist etwas archaisch, dies aber nur andeutungsweise, im übrigen wohlklanggesättigt, doch spannungslos. Der epische Inhalt ist ohne große lyrische Stationen, einzig der Beginn des Bwerte: Teiles, altfVinar'-'VolfeiliwUr-'i artigen'Melodie basierend; veTfrfäg ¥tärlferA zu fesseln. Von den Solisten ist Donald Bell sowohl stimmlich als gestalterisch der bedeutendste, dem Alexander Young mit gepflegter Stimme und deutlicher Artikulation an die Seite zu stellen ist. April Can-telos gepflegter Sopran wirkt irgendwie unbeteiligt kühl im Gegensatz zu Thomas Hemsleys Bariton.

Das Ensemble „die reihe“ widmete einen Abend unter Leitung von Friedrich C e r h a kleineren Kompositionen von Leoä J a n a i e k. Das Concertino für Klavier und sechs Instrumente wurde von Hans Kann als Pianist durch allzu lautstarke Interpretation leider aus dem musikalischen Gleichgewicht gebracht. Beim Capriccio für Klavier und Blasinstrumente hatte er glücklicherweise nur eine Hand im Spiel und außerdem die Posaunen gegen sich, wodurch das Werk vorzüglich ausgeführt wurde. ,.M 1 ä d i“ (Jugend) ist eine viersätzige Bläsersuite in symphonischer Form, dicht in der Substanz und voll innerer Spannung. Die reizenden „R i k a 1 a“ (Kinderreime) für neun Stimmen und zehn Instrumente sind von unwiderstehlicher Wirkung. Mitglieder des Akademiekammerchors sangen diese Auszählreime, leider tschechisch, was freilich original, aber absolut unverständlich war, auch für Tschechischkönner.

Franz Krieg Das dem Werke Claude Debussys gewidmete Konzert im Rahmen des 11. Internationalen Musikfestes wurde vom London Symphony Orche-% t r a unter der Leitung von Pierre M o n t e u x aufgeführt. Pierre Monteux,

der vor genau fünfzig Jahren die in die Kunsthistorie eingegangene Uraufführung von Strawinskys „Sacre du printemps“ geleitet hat, ist mit seinen 88 Jahren der älteste, heute noch am Pult stehende Diri-

gent und schon so etwas wie eine sagenhafte Figur. Aber die Musik, die er macht, ist von erstaunlicher Frische, Leuchtkraft und Lebendigkeit. Und Debussy, von dem Monteux mehrere Erstaufführungen dirigiert hat, ist ihm ans Herz gewachsen. Auch das merkt man. Das heißt: man hört es nur. Denn Monteux ist — und war — kein Exhibitionist. Die Rechte taktiert und die Linke gibt die Einsätze und die dynamischen Nuancen. Und mit wie wenig an Bewegung, und wie ganz ohne Theater das alles gemacht ist und zustandekommt: mit aller wünschenswerten, freilich nicht gerade akribischen Präzision, mit Schwung und Feinheit, je nachdem, und mit einer Klangkultur, die ihre Herkunft nicht verleugnet. Ein so feines Klangfarbenspiel wie am Schluß des mittleren Teils von „Iberia“, wo in die verklingenden Habanera-Rhytmen („Les par-fums de la nuit“) leise die Röhrenglocken hereinklingen, hört man im Konzertsaal nur alle paar Jahre. Und was für Glockenl Nicht diese gräßlich scheppernden Blech-hülseh, vor denen man sich'r fürchtet, sobald sich <Jer Spieler ihnen mit einem Schlegel nähert...

Außer den Images pour orche-9tre „Iberia“ Stande die 1. Rhapsodie für Klarinette und Orchester, das „P r 11 u d e ä l'apres-raidi d'un faune“, zwei Nocturnes, die beiden Tänze (Danse sacree et Danse profane) sowie das symphonische Triptychon „La m e r“ auf dem Programm. Zumindest vier von diesen Stücken hätten, jedes für sich, jedem normalen Konzert zur Zierde gereicht. In dieser Reihung und Massierung standen sie sich ein wenig im Licht.

Obwohl es sich um schwächere Kompositionen handelt, war es sehr zu begrüßen, daß auch zwei bei uns weniger häufig gespielte Stücke auf dem Programm standen: die Klarinetten-Rhapsodie, von Gervase de Peyer mit großer Noblesse und betörend schönem Ton geblasen (ein Stück mit reizenden Episoden, teils bukolischen, teils kapriziösen Charakters, aber im Ganzen doch mosaikartig) und die „D e u x D a n s e s“ für chromatische Harfe und Streicher, mit dem Harfenvirtuosen Osian Ellis als Solisten (im Grunde gehobene Unterhaltungsmusik).

Das Orchester, mit seinen vielen ausgezeichneten Bläsern und dem etwas trockenen, aber stets klaren und transparenten Streicherchor, erwies sich als ganz hervorragendes Instrument für die Intentionen des Dirigenten, der in Debussy weniger den Impressionisten unrl Sfumato-Kompo-nisten, als einen “roßen Klassiker der neuen Musik sieht.

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