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Künstler der Jahrhundertwende

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Wir meinen eine Reihe von Musikern, welche in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geboren wurden und die mit ihren späteren Werken noch bis in unsere Gegenwart hereinragen. Ein ausgezeichneter Kenner und Repräsentant der Jahrhundertwende sagt, daß der wissen- scbaftliAe Stolz und FortsArittsglaube des Neunzehnten kompensiert, ja überwogen wurde von seinem Pessimismus SAopen- hauersAer Prägung, von seiner NaAt- und Todesverbundenheit, wie sie uns am ein- dringliAsten aus Wagners „Tristan“ entgegenklingt. Hinzu komme ein Zug zum großen Format, zum Monumentalen, zur Sublimierung der Vorgefundenen Kunstform, verbunden mit einer fast kunst- gewerbliAen Vorliebe für das Detail, für das Minutiöse in der Ausführung. Sehr eigentümliA ist auch das Verhältnis dieser Künstler zum Nationalen, zum Volkstüm- liAen. Es ist niAt mehr naiv, wie das der Romantiker, untersAeidet siA aber grundlegend von dem der folgenden Generation, die entweder zu einer gewissen Ironisierung oder aber zu einer ÜbersAätzung und nationalistisA-tendenziösen, Haltung neigte.

Diese gemeinsamen Züge verbinden auA so verschiedenartige und eigenwillig geprägte KomponistenpersönliAkeiten wie Reger und Pfitzner, Sibelius und Williams, von denen wir während der vergangenen Wochen einige repräsentative Werke hören konnten.. Regers Mozart-Variationen für OrAester gliedern siA für mein Gefühl in zwei AbsAnitte: in die Variationen I bis VII und die Variation VIII mit der SAlußfuge. Das Ganze ist ein Meisterwerk, wie wir deren aus der gleiAen Zeit nicht viele besitzen. Doch dominiert im ersten Teil der teAnisAe Könner, während siA besonders in der letzten, — auch im Format ungewöhnliAen — Variation der große MensA in einem Bekenntnis aller- persönliAster Art offenbart. Diese Musik empfinde iA als gleiAsam durAtränkt mit dem Geiste der SAopenhauersAen Philosophie (auA wenn man naAweisen sollte, daß Reger nie eine Zeile von SAopenbauer gelesen hat); es ist eAteste Musik des 19. Jahrhunderts: groß, leiden- sAaftliA und tragisA. In der SAlußfuge aber zeigt siA, -welA unermeßliAe Kraft, welAe unbegrenzte MögliAkeiten dem konservativen Geist innewohnen und wel- Aen Fassungsraum die alten Formen haben. Kaum ein zeitgenössisches Werk kommt der meisterliAen Vollendung und dem AusdruA dieser großen Fuge gleiA. Am SAluß des Werkes freiliA erleben wir niAt die „Apotheose" des MozartsAen Themas, sondern den Triumph der differenzierten Harmonik des 19. Jahrhunderts über die zarte Mozart-Melodie und den Geist und Stil des 18, Jahrhunderts. (Die Interpretation durch die Wiener Symphoniker unter Karajan ließ im TeAnisAen kaum einen WunsA offen. UnbegreifliA allerdings, daß siA der Dirigent den Effekt einer letzt- mögliAen Steigerung der Fuge entgehen ließ!)

Auch Hans Pfitzner gehört zu den großen Vertretern der Tradition in der Musik der Gegenwart. Sein Werk wurzelt ganz und gar in der großen deutsAen Musik von ihren frühen Tagen bis herauf zur Romantik. In dem Gesamtstil seiner Werke hat siA, mit Ausnahme der allerletzten, kaum eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen. Besonders Aarakteristisdi für Pfitzner ist eine gewisse elegisAe Grundstimmung, oft durch ein kirAentönig gefärbtes Moll unterstriAen,' ein edles, etwas kühles Melos, jäher StimmungsweAsel und ein bärbeißiger Humor („rasA, ungesAlaAt, launig" heißt die Tempo- und AusdruAs- bezeidmung zum letzten Satz seines Klavierkonzerts). Die „Symphonie für großes Orchester in cis-moll“ op. 36 a ist die OrehesterbeaAeitung eines StreiAquartetts. Die musikalisAen Gedanken wollten bei der Interpretation durch die Symphoniker unter Felix Prohaska niAt rcAt in Fluß kommen, den Farben fehlte es an LeuAtkraft. Besser wirkte sAon das Klavierkonzert in Es op. 31 (Solist Gilbert S Au Ater), eine der wirkungsvollsten Konzertkompositionen des Meisters. Eine kleine „Fantasie für Orchester“ op. 56, 1947 entstanden, vermoAte dem Bilde des Komponisten keine neuen Züge hinzuzufügen. Sie zeigt alle jene Mängel, Ae — wenn man sie beim Namen nennt — alle Pfitzner-Verehrer in HarnisA bringt. Daß Pfitzner dies Werk in einem MünAener Altersheim sAreiben mußte, ist traurig und besAämend — steht freiliA auf einem anderen Blatt. Am mensAHAen SAiAsal des „Palestrina“- Komponisten wären wir verpfliAtet, Anteil zu nehmen, auA wenn uns seine letzten Werke niAt mehr überzeugen können.

Bei der VII. Symphonie von Jan Sibelius (geb. 1865) handelt es siA ebenfalls um ein Spätwerk. Diese Symphonie ist, wie ihre älteren SAwestem, wie Ae „Saga“ und „Der SAwan von Tuonela“, ganz aus dem Geist der finnisAen Land- sAaft geboren und atmet deren wilde SAwermut. Mit unseren südliAen sympho- nisAen, Formen hat sie freiliA wenig gemein, ihrem eigentömliAen Zauber aber kann man siA niAt entziehen. Immer wieder tauAt das gleiche Bild vor uns auf: eine endlos siA breitende SAneefläAe unter trüb-verhangenem Himmel, von irgendwoher das Brüllen und Röhren von Urtieren, dann — mit einem RuA — mitten in ein Volksfest oder eine HoAzeitsstube, sAwermütige Lieder und wilde Tänze. Der VII. Symphonie von Sibelius fehlt es freiliA an jenen Kontrasten, die seine „F i n- 1 a n d i a“ in so überreiAem Maße besitzt. Diese Komposition wirkt immer noch mit einer fast niedersAmetternden WuAt, obwohl wir sie während der vergangenen Kriegsjahre reAt oft — und zu reAt un- erfreuliAem ZweA mißbrauAt — gehört haben. dafür kann der Komponist niAts. Auch das steht auf einem anderen Blatt.

Ralph Vaughan Williams, ein Jahr vor Reger geboren, ist ein hochkultivierter Musiker und sAreibt genau so, wie siA der gebildete Laie englisAe Musik vorstellt: gehaltvoll, aber niAt aufregend, nobel und etwas kühl. Williams, der kennt- nisreiAe Kontrapnnktiker, fühlt siA zu den Meistern der Tudor-Zeit hingezogen, deren einer — fast sAon überzüAteter Spätling einer Blütezeit handwerkliAer Kunst — eine Motette für aAt fünfstimmige Chöre sArieb. Eine der englisAen Hymnen des Thomas Tallis, um 1505 geboren, benützt Williams zu einer Phantasie -für ein mehrfaA geteiltes Streichorchester, das aus einem Soloquartett, einer größeren und einer kleineren Instrumentengruppe besteht. Die Wirkungen, die der Komponist mit der Kombination und Kon- trastierung dieser drei Ensembles erzielt, sind zauberhaft, doch rein ästhetisAer Natur: das Ohr sAwelgt, Geist und Herz bleiben völlig ungerührt.

Eine halbe Generation spater: Sergej Prokofieff (1891 geboren) — und das Verhältriis zur alten Musik hat siA völlig gewandelt. Die „Symphonie classique" op. 25 ist niAt ohne Sympathie für den Stil des 18. Jahrhunderts gesArieben, aber die iro- nisAe Distanz ist deutliA spürbar und wird vom Komponisten auA geflissentliA unterstriAen. In seiner Gesamthaltung steht das Werk genau zwisAen stilistisAer Imitation und Parodie. Imitiert wird vor allem die alte Form, parodiert wird durA Ver- cinfaAung und VerdeutliAung der für die Musik des 1 . Jahrhunderts Aarakteristi- sAen Stilelemente. Um ein solAes Werk zu sAreiben, genügen Geist und Talent, Den eAten Volkston trifft freiliA nur der ganz große Künstler, die Aaraktervolle PersönliAkeit. (Man vergleiAe mit Proko- fieffs KlassisAer Symphonie“ etwa die „SAliAten Weisen“, die „GeistliAen deutsAen Volkslieder“ und die „DeutsAen Tänze“ von Reger oder Williams’ Phantasien über englische Volkslieder und seine drei „Norfolk-Rhapsodien“.)

Herbert von Karajan liegt diese Musik ganz ausgezeiAnet, jedenfalls besser als Brahms — und ebenso gut wie Sibelius. „Finlandia” von Sibelius und Prokofieffs Symphonie gelangen ausdruAsmäßig am besten (alles TeAnisAe war auA in den übrigen Darbietungen hervorragend), denn das BarbarisA-Primitive und das Intellektuelle sind einander eng benadibart. NiAt etwa in der Mitte zwisAen beiden, sondern durA Welten davon getrennt, ruht das KlassisA-SAöne.

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