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Leningrader und Israel-Orchester

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Die Leningrader Philharmoniker, die noch von ihren letzten Konzerten in Wien als hervorragender Klangkörper von erstaunlicher Präzision und Ausdruckskraft, von klanglicher Eleganz ohne artifiziellen Aufputz, in bester Erinnerung waren, spielten diesmal, wegen der Erkrankung ihres „Chefs“, Eugen Mrawinski, unter Arvid Jansons. Bei ihm spürt der Hörer entschieden mehr den Musikanten, die Liebe zur Lyrik, zum breiten Fortspinnen, nicht so sehr die eigenwillige, hart konturierte intellektuelle Leistung, die Mrawinskis Konzepte bestimmt. Das Konzert im Musikverein, in dem Tschaikowskys „Vierte“ und „Fünfte“, also die beiden Symphonien, aufgeführt wurden, die zu den profiliertesten Schöpfungen auf diesem Sektor im 19. Jahrhundert zählen, war ein Fest des üppigen Wohllautes, des Schwelgens in geschmeidigen Kantilenen. Was abging war das federnde, antreibende Element, die ungeheure Spannkraft, der Mut, kühn vorwärtszutreiben, ohne Rücksicht auf Noblesse, auf kostbare Details, auf Tschaikowskys sensibel hingepinselte Arabesken. Dennoch, im ganzen ein imponierender Abend, der Jansons als souveränen Praktiker auswies und das Publikum — nicht zuletzt dank einiger Zugaben — voll auf seine Rechnung kommen ließ. K. H. R.

Auch das 2. Konzert der Leningrader Philharmoniker dirigierte der 1914 in Libau geborene Lette Arvid Jansons, ein feiner Musiker, von etwas professoralem Typus, der als Geiger iri Riga begonnen hat, dann zum Dirigenten avancierte und seit 1952" ah äte?Leningrader Philharmonie verpflichtet wurde. — Auf dem Programm stand Schostakowitschs

1. Symphonie, dieses kraftgenialische Jugendwerk, das mehr als der russischen Tradition dem Vorbild Gustav Mahlers verpflichtet ist. Den 2. Teil des Programms bildete Hector Berlioz’ „Symphonie fantastique“ (Episoden aus dem Leben eines Künstlers). In beiden Werken konnte das berühmte Orchester seine hervorragende Qualitäten zeigen: unübertreffliche Präzision, aufgespeicherte Kraft, die sich, sobald der Funke überspringt, in gewaltigen Explosionen entlädt, und schließlich seine Fähigkeit, in Sekundenschnelle Tempo, Dynamik und Ausdruck zu wechseln… Das begeisterte Publikum erzwang zwei Zugaben: einen (orchestrierten) Streichquartettsatz Haydns und die Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“.

Das 1. Konzert des Israel Philharmonie Orchestrasdirigierte der ehemalige Swarowsky-Schüler Zubin Mehta. Strawinskys 1945 vollendete „Symphony in Three Movements"stellt einen der wenigen Versuche des großen Komponisten dar, sich auch der symphonischen Form zu bemächtigen — und ist überdies ein Meisterwerk von A bis Z. Leider nahm Mehta den 1. Satz viel zu schnell und hastig. In der folgenden

2. Suite aus dem Ballett „Daphnis und Chloe“ von Ravel fehlte es der 1. Szene (Lever du jour) an Ruhe und Poesie, und die Klimax der „Danse generale“ geriet als Lärmorgie und Weltuntergang — als was sie ganz bestimmt nicht gedacht ist. — In der das Konzert beschließenden „Eroica" von Beethoven konnte man auch das in den beiden vorangegangenen Werken hektisch strapazierte Orchester besser beurteilen. Es ist ein sehr gutes Ensemble (zur Spitzenklasse fehlt ihm die Brillanz) von europäischem Charakter, das aus einer Summe von sehr individuell geprägten Musikern besteht, die größtenteils den mittleren Jahrgängen angehören. Die feinen und präzisen Streicher sind besonders auffallend. Beethoven bedeutet wohl für viele von ihnen das Zentrum und den Höhenunkt der Musik. Sie spielen ihn ähnlich wie unsere einheimischen Spitzenorchester. H. A. F.

Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“ in der Fassung für Streichorchester dürften sich auch die ältesten Kenner und Liebhaber kaum erinnern, so vollkommen gehört zu haben wie im 2. Konzert des Israel Philharmonie Orchestra unter dem Dirigenten Zubin Mehta.Form und Inhalt sind hier so völlig eins, die Süße der Geigen und Celli wird bei aller Weichheit nie weichlich, die Kontraste erwachsen aus der Themenführung mit selbstverständlicher Logik, die Dynamik wirkt nirgends überspitzt, man wird einfach mitgezogen in dem Strom von Wohlklang und Bildhaftigkeit — und wundert sich nur, daß die Erstaufführung dieses Meisterwerkes 1903 das Publikum schockierte. — Die zweite Überraschung des Abends war der Geiger Itzhak Perlman,der in Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester den Solopart kreierte, auch dies mit einer technischen und musikantischen Vollendung, die zur Bewunderung hinriß, zumal er sitzend spielte, denn der Künstler kann sich nur auf Krücken fortbewegen. Die enorm schwierigen Stellen des Violinkonzerts, das Eduard Hanslick seinerzeit in Grund und Boden kritisierte, suchte man in dieser Wiedergabe, an der auch das Orchester seinen bedeutenden Anteil hatte, vergebens. — Mit der dramatisch gestalteten 7. Symphonie von A. Dvorak errangen Dirigenten und Orchester für die fulminante Leistung des Abends ebenso stürmischen wie ehrlichen Beifall.

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