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LEONARD BERNSTEIN / SECHS KARRIEREN IN DER MUSIK

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Für die Neuinszenierung von Verdis „Falstaff” hat die Wiener Staatsoper einen Dirigenten gewonnen, dessen Name in der ganzen Welt Geltung besitzt: Leonard Bernstein. Man hat ihn wiederholt einen Renaissancemenschen genannt, weil seine Vielseitigkeit im Zeitalter des Spezialistentums fast ausgestorben ist. Tatsächlich hat er mindestens sechs Karrieren gemacht: als Dirigent, Komponist, Pianist, Musikinterpret, Schriftsteller und Lehrer und hat sich auf allen Gebieten meisterlich bewährt.

Leonard Bernstein wurde am 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts, geboren, studierte in Philadelphia Musik und wollte Pianist werden. Erst als ihn Serge Koussewitzky, der Leiter der Bostoner Symphoniker, ermutigte, sich auf die Dirigentenlaufbahn zu spezialisieren, rückte das Klavier auf den zweiten Platz. Die Sommer 1940/41 verbrachte er im Musikzentrum von Tanglewood, wo Artur Rodzinski, der damalige Leiter der New Yorker Philharmoniker auf ihn aufmerksam wurde und ihn als zweiten Dirigenten des berühmten Orchesters engagierte. Damals war Bernstein erst 25 Jahre alt, aber diese Stellung brachte ihm mehr Plage als Befriedigung. Doch eines Tages geschah das Unwahrscheinliche: Bruno Walter, der als Gastdirigent ein Konzert leiten sollte, erkrankte plötzlich, und auch Rodzinski war nicht in New York. In wenigen Stunden mußte daher Bernstein das Konzert übernehmen. Es war am 14. November 1943, als er zum erstenmal als Dirigent ein Konzert der New Yorker Philharmoniker leitete; es wurde ein triumphaler Erfolg. Über Nacht war Bernstein zum bekannten amerikanischen Dirigenten geworden …

Nun st and er häufiger am Pult der New Yorker Philharmoniker. Zusammen mit Dimitri Mitro- poulos leitete er das Orchester in der Saison 1957/58, wurde jedoch anschließend Chefdirigent des Ensembles. Bernstein ist seit 1957 auch Dirigent der Jugendkonzerte der New Yorker Philharmoniker, von vielen führenden Orchestern der Welt als Gastdirigent verpflichtet, dirigierte er 1953 als erster Amerikaner an der Scala in Mailand, doch erst zehn Jahre später an der Metropolitan- Oper! Zusammen mit „seinen” Philharmonikern hat er auch zahlreiche Tourneen absolviert. Die Konzertreise, die 1959 durch 17 Länder Europas und des Nahen Ostens führte, nannte „Time Magazine” die wahrscheinlich erfolgreichste aller Zeiten.

Bernsteins musikalischer Alltag aber wäre undenkbar ohne seine kompositorische Tätigkeit: er hat u. a. drei Symphonien, eine Serenade für Solovioline und Streichorchester mit Schlagzeug und ein Werk für Chor und Orchester geschrieben. Weltruhm errangen seine Musicals, darunter „On the Town”, „Candide”, „West Side Story”, das auch als Film zum Sensationserfolg wurde, und „Wonderful Town”, das vor einigen Jahren an der Wiener Volksoper zu sehen war.

Noch eine Begabung Bernsteins muß erwähnt werden: seine Fähigkeit, seine eigene Liebe zur Musik einem nach tausenden zählenden Publikum verständlich zu machen. Er ist in dieser Eigenschaft eine Art Fernsehstar geworden, und seine Musikinterpretationen — halb Vortrag, halb Musiklehrgang, unter Assistenz der New Yorker Philharmoniker — wurden zu den beliebtesten Kultursendungen des amerikanischen Fernsehens. Auch als Lehrer und Autor hat Bernstein hervorragendes geleistet. Er war am berühmten Berkshire Music Center tätig und 1951 bis 1956 Dozent an der Brandeis Universität in Waltham, Massachusetts. 1959 erschien sein erstes Buch „The Joy of Music”, das ein Bestseller wurde. Es wurde auch in England, Deutschland, Schweden, Israel, Mexiko und in chinesischer Übersetzung veröffentlicht.

Nur Bernstein selbst hat für seine vielfältigen Talente eine Erklärung. „Ich bin Musiker”, sagt er, „und alles, was mit Musik zu tun hat, ist für mich von Bedeutung.”

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