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Mahler, Melles, Milstein

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Mahlers Vierte, seine Pastorale, die „in gemächlicher Bewegung, ohne Hast, ruhevoll, sehr behaglich“ (wie die Satztitel lauten) zu den „himmlischen Freuden“ hinführt, wie sie das Gedicht aus „Des Knaben Wunderhorn“ im letzten Satz schildert, kann heute bereits unter die klassischen Meistersymphonien gezählt werden, nicht nur was die Qualitäten dieser Partitur, sondern auch was die Popularität dieser Musik anbetrifft. Unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch wurde das gehaltvollgefällige Werk durch die Wiener Symphoniker im Großen Konzerthaussaal gespielt. Es war eine überaus korrekte, klangschöne Wiedergabe, die ihren Höhepunkt im Adagio hatte und der nur etwas fehlte: Poesie und Geheimnis, das spezifisch „Mahlerische“, das sich auch in seinen heiteren Sätzen findet. Das Sopransolo sang Haiina Lukomska: glockenrein, sehr musikalisch und zurückhaltend. Sie war auch die gefeierte Solistin der Mozart-Motette „Exultate, jubilate“. Eingeleitet wurde das Konzert mit der „Neuen Lambacher Symphonie“, deren Autor (Wolfgang oder Leopold Mozart?) nicht ganz sicher ist.

Gustav Mahlers 1. Symphonie, dieses frühe Meisterwerk, das in der großzügigen Konzeption, in der thematischen Verarbeitungsweise und der mitreißenden Instrumentierung so viele Eigenheiten der späteren Schöpfungen Mahlers vorwegnimmt, wurde in der Wiedergabe durch die Wiener Symphoniker unter Georges Pretre zu einem Fest des Klanges. Pretre sieht Mahler sehr französisch: Dramatik, mit einem Schuß Pathos gewürzt, wechselt mit subtiler Poesie und verhaltener Melancholie, rationalistischer Formsinn mit elementar hervorbrechenden Gefühlsexplosionen. Das Ergebnis war eine sehr bewegte, kontrastreiche Aufführung, in der man stets die klare, kraftvolle Linie spürt, in der aber auch die Details voll entfaltet wurden. Vor der Pause sangen Gundula Janowitz und Victor Braun Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“: sie mit Temperament, Anmut, weich timforiertem, schlankem Sopran; er eher kühl und stimmlich manchmal etwas schwerfällig. Die Symphoniker begleiteten in Hochform. Das Publikum dankte mit stürmischem Jubel.

Carl Goldmarks a-Moll-Violin-konzert (op. 28), das Nathan Milstein, begleitet von den Wiener Philharmonikern unter Carl Melles, im Konzerthaus spielte, ist stilistisch eine resümierende, keinesfalls weiterweisende Komposition. Aber es hat in seiner klanglichen luxuriösen, betont dekorativen Art Atmosphäre und eigentümlichen Reiz wie nur wenige spätromantische Konzerte. Nathan Milstein geigte das Werk mit strahlendem Ton, virtuos; den 1. Satz mit seiner Reverenz für Mendelssohn voll klassischer Ebenmäßigkeit, die „Air“ in herbstlich satten Farben, das Finale rasant, unter Aufbietung allen technischen Könnens. Die Philharmoniker folgten zwar mit Temperament, ließen aber hinsichtlich der Exaktheit manches zu wünschen übrig. (Vor allem in den Bläserstellen des Allegretto-Satzes.) Ganz zu Hause fühlte sich das Orchester in Beethovens 7. Symphonie und der „Coriolan“-Ouvertüre. Beide Wiedergaben gestaltete Melles in korrekten Proportionen, klanglich dicht und konzentriert.

Die Art der Mitteilung im Programmheft, wieso aus dem Violinabend Nathan Milsteins ein Liederabend Christa Ludwig wurde, spannte die Erwartungen hoch. Sie wurden dennoch' übertroffen und selbst die härtesten Milsteiner ver-christelt. Wenigstens für diesen Abend. Und Nathan Milstein, dem wir gute Besserung wünschen, wird es nicht leicht haben, eine (hoffentlich nicht nötige) Revanche gleicher überraschender Einmaligkeit zu bieten. Von einer Reihe bekannter Mörike-Lieder von.Hugo Wolf abgesehen sang Christa Ludwig-selten gehörte -onrtirtsnicwöiigjjsi; bekannte Gesänge: drei Lieder aus dem „Wunderhorn“ von Gustau Mahler, schlichte Weisen von Max Reger, vier Lieder von Hans Pfitzner und drei von Richard Strauss. Sie sang auf „schlichte Weise“, mit wunderschön geführter Stimme und gemüthaftem, schelmischem oder charakterisierendem Ausdruck, welche drei Komponenten ständig ineinander übergingen und eine beglückende Einheit bildeten. Es klang fast kunstlos natürlich, aber jedermann ahnte zumindest die unermüdliche Arbeit, die hinter dieser Natürlichkeit steckt und selbst in Gesichtsaus-druck und Haltung sich unauffällig spiegelte. Der Beifall wollte nicht enden. Er galt zum gewogenen Teil auch der Begleitkunst Erik Werbas, die mit diesem Wort nicht ausgeschöpft ist, sondern subtilste Mitgestaltungskunst bedeutet. Schließlich aber sollten Programm und Erfolg eine Anregung für unsere großen Sänger sein, aus dem Liedwerk Mahlers, Regers, Pfitzners und Strauss' reicher zu schöpfen als bisher.

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