6696902-1963_10_13.jpg
Digital In Arbeit

Mahler, Richter und ein leerer Saal

Werbung
Werbung
Werbung

Auf dem Programm des 5. Konzertes im Mahler-Bruckner-Schubert-Zyklus der Konzerthausgesellschaft stand Gustav M a h 1 e r s sechssätzige Dritte Symphonie, mit der Aufführungsdauer von mehr als 90 Minuten wohl das mächtigste symphonische Gebilde überhaupt. Nach dem ersten (dreiviertelstündigen) Satz wurde eine längere Pause gemacht. Das war gut so, denn auch die folgenden fünf (kürzeren und leichteren) Teile verlangen einen aufmerksamen und konzentrierten Hörer. Wir können in diesem Rahmen auf das 1893 bis 1896 in Steinbach am Attersee entstandene Riesenwerk, sein Programm und seine Problematik nicht eingehen (das ist anläßlich früherer Aufführungen schon geschehen), sondern wollen nur an sein Wesentliches erinnern: die merkwürdige und einzigartige Verquickung von Volksliedton und Monumentalform, das handfeste (zuweilen „banal“ gescholtene) Material und seine höchst sublime Formung und klangliche Einkleidung. Hans Swarowsky hat zumindest die Hand und den Kopf für die Realisierung dieser bizarren musikalischen Großform. Ob er auch das Herz für den Seelenton dieser Musik hat? Das wäre wohl nur bei einer Aufführung festzustellen gewesen, bei der man die technische Bewältigung der Probleme nicht mehr gespürt hätte. Die Leistung der Wiener Symphoniker war bedeutend, die des Frauenchores (vom Österreichischen Rundfunk) und des Sängerknabe n-ensembles sowie der (eingesprungenen) Altistin Sonja C e r v e n a bemerkenswert. Man behielt den Ausdruck, den sie dem Nietzscheschen „O Mensch, gibt acht!“ zu geben wußte, sehr gut im Ohr. Was man der Aufführung gewünscht hätte, wären eine oder zwei Proben mehr gewesen, um verschiedene Details auszufeilen, heikle Einsätze zu regulieren, die Paukisten genau zu koordinieren usw. — Zum Gedenken an den vor kurzem in der Schweiz verstorbenen Dirigenten Ferenc Fricsay spielten die Symphoniker einleitend die „Maurerische Trauermusik“ von Mozart.

Im 'Großen Musikvereinssaal konzertierte an zwei Abenden der deutsch-russische Pianist Svjatoslav Richter. Sein erstes Konzert war ausschließlich Klavierwerken Schuberts gewidmet. Auf dem Programm des zweiten Abends standen je eine Klaviersonate von H i n d e m i t h (Nr. 1) und P r o-k o f i e f f (Nr. 6) sowie fünf Präludien und Fugen von Schostakowitsch. Als Interpret vertritt Richter einen Typus, der immer seltener wird, den es bei uns in diesem Format augenblicklich überhaupt nicht gibt: den Romantiker und Expressionisten (Eduard Erdmann war der letzte in dieser Reihe). Natürlich ist er — wie könnte das heute anders sein — auch ein großartiger Techniker, ein Virtuose von Rang. Aber das ist nicht alles, nicht das Wesentliche. Beim Vortrag der Hindemith-Sonate und einiger Stücke aus Schostakowitschs ein wenig akademischem Präludien- und Fugenwerk überraschte Richter durch ungewöhnliche Zartheit und Sensibilität, beim Vortrag der Prokofieff-Sonate durch Vehemenz und Robustheit — ein richtiger Klaviertiger —, aber eben nicht nur das. Richter, dem Wiener Publikum bereits bekannt, vermochte auch mit diesem ausschließlich modernen Programm den Großen Musikvereinssaal zu füllen — und alle kamen auf ihre Rechnung.

Beschämend war der von insgesamt einem knappen Dutzend Hörern bevölkerte, also gähnend leer wirkende große Vortiagssaal der Akademie für

Musik, wo das vorzügliche, aus Deutschland kommende A ß m a n n-Quartett konzertierte. Dabei war das Programm keineswegs extrem — wenn auch ausschließlich aus zeitgenössischen Werken bestehend: je einem Streichquartett von Dieter de la Motte (einem jungen Deutschen), von Conrad Beck (dem auch in Wien wohlbekannten, angesehenen älteren Schweizer Komponisten), dem Münchner Karl Amadeus Hartmann und von dem gebürtigen Schlesier Günter B i a 1 a s. Alle vier Werke sind interessant, eigenständig und neuartig, obwohl sich keiner der vier Komponisten der Reihentechnik bedient. Einem einigermaßen aufgeschlossenen und gutwilligen Publikum bereiten sie keinerlei nennenswerte Schwierigkeiten — aber eben an diesem Publikum hat es an dem Abend leider gefehlt. Dem schönspielenden und exakten Aßmann-Quartett jedoch ist das Wiener Musikpublikum Revanche schuldig.

Eine Aufführung von J. S. Bachs Matthäus-Passion vereinte den Wiener Kammerchor, den Chor und das Orchester der Wiener Kulturgesellschaft, den Chor der Wiener Verkehrsbetriebe und die Gumpoldskirchner Spatzen unter der' Leitung von Rudolf H a n z 1 zu gemeinsamem Wirken mit einem Solistenquintett, aus dem Hans Braun (Christus) und Julius Patzak (Evangelist) um mehr als Haupteslänge hervorragten. Die Hauptlast trug der Wiener Kammerchor, und es war ihm nicht anzuhören. Seine Sicherheit und Präzision gab der Aufführung das Gepräge. Auch das Orchester erwies sich den stilistischen Forderungen sowie der geistigen Ausstrahlung gewachsen. Sehr eindringlich wirkten die Choräle in ihrer weder gebrüllten noch gesäuselten Wiedergäbe (wie es eine Zeitlang „modern“ war); sie wurden einfach schön gesungen und erreichten im (einzigen) a-capella gesungenen den Höhepunkt der Andacht. Das Riesenwerk verträgt einige (getätigte) Kürzungen. Lobenswert war die spürbare Absicht, es weder als Prunkstück noch als Historizismus, sondern einfach als Erlebnis zu vermitteln.

Nikita M a g a 1 o f f spielte je eine Klaviersonate von Haydn und Beethoven, die sechs Paganini-Etüden von Liszt und Moussorgskys „Bilder einer Ausstellung“. Letztere waren der Höhepunkt in der Wiedergabe des genannten Programms, von einer Plastik und Differenzierung, die fast greifbar anmutete. Magaloff beherrscht die Technik und formale Gliederung aus dem Handgelenk, überwindet Schwierigkeiten dieser Art im doppelten Sinne „spielend“. Kraft und Klarheit lassen nichts zu wünschen übrig — aber Wärme kommt kaum auf (was man beim Vortrag Beethovens besonders vermißte).

Anläßlich des 60. Geburtstages von Leopold Matthias Walze! veranstaltete der Musikverlag Dob-1 i n g e r im Barocksaal des Verlagshauses ein Konzert mit Werken des Jubilars, dem eine Würdigung des Komponisten durch Sektionschef Dr. Wilhelm Waldstein vorausging, darin der Redner das Verhältnis von Inspiration und Gestaltung beleuchtete und auf das Schaffen des Komponisten bezog. Aus den musizierten kammermusikalischen Werken ließ sich der Entwicklungsgang Walzeis nachzeichnen, der mehr und mehr zu einem ausgeprägten Persönlichkeitsstil findet, der sich allerdings in seinen größeren Werken noch überzeugender kundgibt. Das Programm umfaßte Sonatinen und Moments m u s i c a u x sowie als Höhepunkt das „Parallelenquintett“ für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabaß und Klavier.

Franz Krieg

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung