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Mahlers „Neunte“ unter Mitropoulos

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Mit Gustav Mahlers letzter vollendeter Symphonie (unter Horenstein mit den Symphonikern im Konzerthaus) klangen die Wiener Festwochen im Juni aus; mit dem gleichen Werk eröffneten die Philharmoniker nicht nur die Reihe ihrer Abonnementkonzerte, sondern auch die Wiener Konzertspielzeit 1960/61. Wir haben damals (in der „Furche“ vom 2. Juli) ausführlich über dieses in jeder Hinsicht ungewöhnliche Werk referiert, das Mahler im Jahre 1909 vollendete und das Bruno Walter ein Jahr nach des Komponisten Tod uraufgeführt hat. Der 1. Satz, ein Andante von 450 Takten, mit seinen thematischen Trauermarschrhythmen, hat eine symmetrische Entsprechung in dem an Bruckner anklingenden Schlußadagio, über das Th. W. Adorno in seinem soeben erschienenen Mahler-Buch geschrieben hat: „Die Abschied nehmende Musik kommt nicht los. Vom Unwiederbringlichen vermag das Subjekt die anschauende Liebe nicht abzuziehen.“ — Zwischen diesen monumentalen Ecksätzen stehen ein aus Ländler, Walzer und Zeitlupenländler montierter Scherzosatz und ein Rondo-Burleske betiteltes virtuoses Allegro, in welchem der Künstler selbst in den Lebensstrom hineingerissen erscheint. — Das schwierige Siebzigminutenwerk wurde von Dimitri Mitropoulos groß, wie es ist, gesehen und hinreißend interpretiert. Man hörte so viele Details wie vielleicht noch nie zuvor und empfing trotzdem den denkbar stärksten Gesamteindruck. Die Wiener Philharmoniker überboten sich an Virtuosität und Delikatesse des Vortrags (1. Violinen, Hörner, Trompeten I) und spielten diese heikle und wenig bekannte Partitur wie eine Haydn-Symphonie. Das Publikum applaudierte stehend minutenlang. Möge Meister Mitropoulos diese Huldigung als Beweis dafür hinnehmen, daß man auch nach Wien ungewöhnliche und schwierige Programme mitbringen kann.

Das besprochene Konzert wurde nämlich mit Anton von W e b e r n s „P a s s a c a g 1 i a“, op. 1, eingeleitet, die, von Wagnerschem Chromatismus herkommend und etwas müde beginnend, kühn in Neuland vorstößt, die alte Form (sehr typisch für den Traditionalismus der Wiener Schule) sehr eigenwillig variiert und in einigen dynamischen Explosionen ein Neuland erhellt, wo sich heute, auf Weberns Spuren, Dutzende von „Avantgardisten“ tummeln. Zu Webern eine kleine biographische Reminiszenz: Nach der Matura in Klagenfurt unternahm Webern seine erste Reise nach Bayreuth. Aus dem Jahr darnach (1903) datieren die ersten Kompositionsversuche, unter diesen eine Ballade mit Orchesterbegleitung mit dem Titel „Jung Siegfried“. 1904 kam Webern dann zu Schönberg in die Schule, dessen Frühwerke gleichfalls in der Tristan-Sphäre wurzeln. Die Herkunft von Wagners Chromatismus ist also eine durchaus nachweisbare und legitime.

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