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„Mathis“, „Palestrina“ und Ballett in Graz

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Die Idee, Opernwerke unseres Jahrhunderts in zyklischer Form aufzuführen, scheint in der Luft zu liegen. In Düsseldorf und Duisburg wurde sie anläßlich des festlichen Ausklanges der ersten Spielzeit der „Deutschen Oper am Rhein“ durch Intendant Doktor Juch realisiert; während der Grazer Sommerspiele zeigte die Grazer Oper (Intendant Andrė Diehl) die repräsentativen Neuinszenierungen der letzten Jahre sowie einige speziell für die „Festwochen“ (einen Terminus, den Graz bescheiden ablehnt) vorbereitete Premieren.

Wir sahen, innerhalb von vier Tagen, einen Ausschnitt davon: Hindemiths „Mathis der Maler", Pfitzners „Palestrina“, „Perichole" von Offenbach (in der textlichen Neufassung voh Karl Kraus) und einen Ballettabend. In den beiden Künstleropern, die Leid und Glorie des Schaffenden zeigen, ist vor allem die geglückte optische Gestaltung hervorzuheben. Für Hindemiths „M a t h i s“ benützte Heinz L u d- w i g Bilder des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald, Bilder von Albrecht Altdorfer und „Das Pfingstwunder“ von einem unbekannten altdeutschen Meister. Das sechste Bild (Odenwald) mit der Versuchung des heiligen Antonius bereitet einer nicht mit den modernsten technischen Mitteln ausgestatteten Bühne Schwierigkeiten. Die Kostümierung entsprach den vorhandenen Mitteln, .das Orchester unter Gustav Cerny ließ, nach etwas zaghaftem Vorspiel, kaum einen Wunsch offen, dem Chor wünscht man Vervollkommnung vor allem in bezug auf Klangschönheit, das Ballett schien für diese spezielle Aufgabe (Dämonenbeschwörung im vorletzten Bild) etwas überfordert. Spielleiter war Andrė Diehl. In Frans Andersson hatte man für die Titelpartie einen darstellerisch und stimmlich hervorragenden Künstler gewonnen.

Der neuinszenierte „Palestrina“ erfreute durch gradlinige und werkgerechte Regie (Andrė Diehl), einfache, aber immer eindrucksvolle Bühnenbilder und ein festlich-buntes Engelkonzert im ersten Akt (Wolfram S k a 1 i c k i). Die Erscheinung der neun verstorbenen Meister erweist sich immer wieder als Regieproblem. Es wurde nicht ganz vollkommen, aber immerhin besser gelöst, als in der Wiener Staatsoper. Maximilian Kojetinsky zeigte sich mit der Partitur bestens vertraut, ließ sich freilich einige Wirkungen, etwa gegen Ende des ersten Aktes, entgehen. Der Chor der verstorbenen Meister hatte bemerkenswertes Volumen. Die dramatisch-flotte Regie des zweiten Aktes ist besonders hervorzuheben. Für die Solisten und ihre durchweg guten Leistungen mögen die Nsmisirvoir R. Wolänsfcy . Mor me -tfndi'AiįFeny ves (Borromeo) stehen.-. Josei'Jariko als Palestrina zeigte Routine, was aber für diese Gestalt nicht genügt.

„Perichole" von Offenbach, eine Operette wie viele andere dieses Genres, berühmt durch das Lob und die Bearbeitung von Karl Kraus, aber trotzdem selten gespielt, wurde in Graz von Ernst T h e r- waTneu inszeniert, von Wolfram Skalicki mit parodistisch-bunten Bühnenbildern und von Lotte Piecka mit lustigen Kostümen ausgestattet. Wirklich originell sind ein indianischer Trommeltanz in der Choreographie Rein Estės (aber der ist weder von Offenbach noch von Kraus) und fast der ganze dritte Akt. Hier fanden auch die eher zurückhaltend agierenden Sänger, allen voran die reizende Eleonore Bauer, ihre besten Wirkungen.

Drei zeitgenössische Werke standen auf dem Programm des von Miltiades Caridis dirigierten Ballettabends: „Der Handschuh", eine ironisch-spielerische Tanzepisode von Gerhard W i m- berger, „Peter und der Wolf“ von

Prokofieff und „Daphnis und Chloe“ von Ravel-Fokin. Vom Choreographischen her (Rein Estė) gelang' merkwürdigerweise das populäre Prokofieff-Ballett am wenigsten. Mit den enormen Schwierigkeiten, die einem heutigen Choreographen der Stil des Ravel-Ballettes bereitet, wurde man gut fertig. Am meisten schienen die Tänzer im modernsten der drei Werke, im „Handschuh“, in ihrem Element, dessen Komponist allemeueste Tanzformen verwendet und der anscheinend auch das „Concert for Jazzband and Symphony Orchestra“ von Rolf Liebermann aufmerksam gehört hat. Die Bühnenbilder von Wolfram Skalicki lehnten sich im ersten Ballett an den modernen Espresso-nismus, im zweiten an Chagall und im dritten an Dali an.

Zieht man die relativ bescheidenen Mittel ins Kalkül, die dem Grazer Opernhaus (das übrigens eines der schönsten mittleren Theater ist, die wir kennen) zur Verfügung stehen, so nötigen die erreichten Leistungen um so größeren Respekt ab, und man bedauert, daß die Sommerspiele immer noch fast ausschließlich für die Grazer stattfinden. Hocherfreulich, ja geradezu vorbildlich zu nennen ist der moderne Spielplan, der anscheinend die Zustimmung breiterer Kreise findet. Trotz der hochsommerlichen Temperaturen waren die erste der besprochenen Vorstellungen befriedigend, alle übrigen sehr gut besucht). Diese „Linie“ wurde anläßlich der Eröffnung der Grazer Sommerspiele auch vom Unterrichtsminister gutgeheißen, der eine Summe von 100.000 Schilling aus dem Kulturgroschen (das ist der Betrag, den etwa eine Neuinszenierung kostet) zusagte, mit dem Wunsch, daß damit etwas Nichtkonventionelles dargeboten werden möge, etwas Neues, geistig Wagemutiges. Eine Empfehlung, der man in Graz sicher gern nachkommen wird. Helmut A. Fiechtner

In der Oper wurde die Reihe der Reprisen und Neueinstudierungen mit der erstaunlichen Leistung des „W o z z e c k“ begonnen (hier seinerzeit bereits ausführlich gewürdigt). Auch die folgende „Ariadne“ war ein Verdienst des unermüdlichen Cerny und der Regie Diehls. Schmidts „Notre Dame“ mußte wegen Erkrankungen entfallen. Nach „Mathis“, „Palestrina“ und der unterhaltsamen „Perichole“ gab es noch eine echte Sensation: „Salome“ (d,ie der Schloßbergbühne zugedacht war, aber schließlich.— o alte Tücke! — ins Opernhaus zurückgenommen werden mußte). Die Titelpartie hatte man mit seltenem Wagemut einer Debütantin anvertraut, Maria Kouba (aus der Weststeier- wark, am Grazer Konservatorium heran.gebildet), die nun . über Erwarten glanzvoll., ./bestand. Eine, außergewöhnliche Aufführung auch sonst, durchweg von jungen Kräften getragen, Strauß-Debüt für den Dirigenten Caridis. Der Beifall enthusiastisch.

Als letztes Werk im Zyklus ist noch ein „Rose n- k a v a 1 i e r“ zu erwarten (mit Kammersängerin Töpper — wer freut sich nicht aufs Wiedersehen!), dann werden die Wochen mit einer Wiederholung der „Salome“ schließen.

Das Schauspiel hatte keinen leichten Stand; verbot sich doch eine ähnliche Leistungsschau zur selben Zeit. Es behauptete sich durch die Gewichtigkeit eines „H a m 1 e t“, der zu den besten Inszenierungen des scheidenden Andersens zählt. Ein „Sommernachtstraum“, traditionell vor der Parkszenerie des Burggartens, steht noch aus.

Wieviel Mühe und Gelingen! Man bedauert das Fehlen auswärtiger Gäste (die viel zu kurz laufende Werbung) und wünscht sich in dieser Hinsicht weniger Resignation von vornherein!

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