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Mehr als nur Information

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Bereits die erste Woche des Internationalen Ballettfestivals zeigte ein breites, farbenreiches Spektrum der zeitgenössischen Tanzkunst, die nach einer längeren Periode der Stagnation bald nach 1945 eine Renaissance erlebt hat wie kaum eine andere Kunstform. Daß Wien daran bisher nur wenig partizipierte — trotz der Impulse, die von Erika Hanka und Aurel von Milloss ausgegangen sind, ist auf die fehlende Kontinuität in der Pflege des Balletts zurückzuführen. Was wir uns von den Ballettfestwochen im Theater an der Wien erhoffen, ist nicht nur Information, sondern auch Anregung und Ermunterung, vor allem für das Staatsopernballett.

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Bereits die erste Woche des Internationalen Ballettfestivals zeigte ein breites, farbenreiches Spektrum der zeitgenössischen Tanzkunst, die nach einer längeren Periode der Stagnation bald nach 1945 eine Renaissance erlebt hat wie kaum eine andere Kunstform. Daß Wien daran bisher nur wenig partizipierte — trotz der Impulse, die von Erika Hanka und Aurel von Milloss ausgegangen sind, ist auf die fehlende Kontinuität in der Pflege des Balletts zurückzuführen. Was wir uns von den Ballettfestwochen im Theater an der Wien erhoffen, ist nicht nur Information, sondern auch Anregung und Ermunterung, vor allem für das Staatsopernballett.

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Diesem gehörte der erste Abend, an dem drei große Ballette und eine Einlage auf dem Programm standen. Balanchines „Caracole“ von 1952 nach Mozartmusik hat jetzt den Titel „Divertimento Nr. 15“. Es ist eine kühle, hochartistische Tanz-schöpfung, die von den einzelnen Solisten Brillanz und vom Ensemble höchste Präzision fordert. Nach einem einleitenden Allegro des Corps hatten unsere besten Solisten in einzelnen Variationen Gelegenheit, zu zeigen, was sie können: Lilly Scheuermann, Gisela Cech, Lisi Maar, Judith Gerber, Susanne Kirnbauer und Michael Birkmayer — der seinen Kollegen Gerhard Dirtl und Franz Wilhelm vor allem durch Eleganz und Anmut überlegen ist. Die meisten Solisten schienen ein wenig nervös, ihre Darbietungen entbehrten der Schwerelosigkeit. Vielleicht war dieses Ballett einfach zu anspruchsvoll. Die Kostüme von Borbar a Karins ka erfreuten durch ihre Schönheit und die dezenten Farben. Francis Russell hatte die Choreographie wesentlich besser einstudiert als Peter Lacowich die Mozartmusik, die (von den Wiener Symphonikern) in keineswegs festlicher Kondition dargeboten wurde. „Pillar of Fire“ nach Schönbergs „Verklärter Nacht“ op. 4 gelang wesentlich besser. Antony Tudor erwies sich darin als ein Meisterchoreograph, der die beklemmende Stimmung in einem männerlosen Haus mit ähnlicher Intensität spüren ließ wie Garcia Lorca in einigen seiner Theaterstücke. Hier bewährte sich Susanne Kirnbauer als intelligente und ausdrucksvolle Tänzerin bestens, und auch die Leistungen der „Schwestern“ sowie der „jungen Männer“ waren beachtlich (Dill, Scheuermann, Birkmeyer, Vondrak). Hugh Leigh schien im 1. Teil die Interieurstimmung Münchs, im 2. die lichte Atmosphäre mancher Gemälde von Vogeler oder Hodler vorgeschwebt zu haben. Die intensive poetische Atmosphäre, die der Choreograph und der Bühnenbildner zu schaffen wußten, entsprach, auch stilistisch, weitgehend der Musik Schönbergs, die sich besser in Bewegung umsetzen ließ, als der Kenner und Liebhaber dieser Partitur vermutet hat.

Zu Glucks berühmter Musik schuf Richard Adama die tragische Ballettpantomime in fünf Szenen „Don Juan“ nach Tirso de Molina, Moliere und Angiolini — um nicht in den mächtigen Schatten Mozarts und Da Pontes zu geraten. Aber diese Assoziationen waren unvermeidlich und fielen naturgemäß nicht zugunsten des neuen Werkes aus. In der Choreographie gab es immer wieder Details und ganze Aktionen von unfreiwilliger Komik. Aber Karl Musil als Don Juan, Peter Kastelik — Großkomtur, Gisela Cech — Donna Anna und Susanne Kirnbauer hatten große und dankbare Rollen, denen sie nichts schuldig blieben. Hauptakteur war Peter-Mallek als Catali-non (Don Juans Diener). Von besonderer Schönheit — beim Landvolk vielleicht um einige Nuancen zu prunkvoll — waren die Kostüme in Rot und Gold von Colasanti und Moore.

Die Rekonstruktion eines Fanny-EIssler-Tanzes, der seinerzeit berühmten und bejubelten „Cachucha“, von Christi Zimmerl dargeboten, war leider nicht mehr als eine Reminiszenz und — was man keineswegs von allen Museumsstücken sagen darf — ohne Reiz. Das bei Mozart unzureichende Orchester hatte sich bei Schönberg „erfnngen“, spielte die hispanisie-rende „Cachucha“ lustlos und die Musik Glucks leidlich sauber, jedoch mit geringer Intensität.

Einen Darbietungsstil durchaus eigener Art hat die seit einem knappen Jahrzehnt bestehende Tanzgruppe aus den Haag entwickelt, die sich „Nederlands Dans Theater“ nennt — und dies trotz eines vielseitigen und umfangreichen Repertoires. Das Wort „Ensemble“ wird hier ganz groß geschrieben: man empfand jedes der vier großen Ballette als vorbildliche Teamarbeit. „Metafo-ren“ nach einer sehr gestischen, gutklingenden Musik für Klavier und Streichorchester von Daniel Lesur (aus der Schule von Messiaen, der zur Gruppe der „Jeune France“ gehört) hat Hans von Manen zu einer schönen, sinnvollen und, trotz ihrer Abstraktheit, fesselnden Choreographie angeregt. Ebenso angenehm und geschmackvoll war die ein wenig jugendstilhafte Ausstattung durch Jan van der Wal.

Vom gleichen Choreographen stammt das von Nicolaa$ Wijnberg ausgestattete Ballett „Essay in der Stille“. Es wird ohne Musik, aber leider nicht ohne Geräusche getanzt, die von den keuchenden und stampfenden Tänzern, zum Teil auch vom Publikum beigesteuert werden. Die Stille ist also nur eine relative, und das sollte der Choreograph bedenken. Die Schreie der Tänzer wirken unangenehm, weil künstlich. Die gegen Schluß leise einsetzende Orgelmusik von Messiaen wird als sehr wohltätig empfunden. Also ... ! Mit dem heiter-verspielten „Screen-play“ von Job Sanders hätte der Abend ein ebenso brillantes wie angemessenes Ende gefunden: dieses reizende Versteckenspiel von sechs schönen jungen Tänzerinnen und Tänzern hinter fünf beweglichen weißen Paravents zu flotter Jazzmusik von Charles Mingus erinnerte, auch in der Ausstattung durch John Law, ein wenig an den Stil von Jerome Robbins.

Den Abschluß bildete aber „Mythical Hunters“ von Glew Tetley auf Musik von ödön Partos, der ein Schüler Bartöks sein könnte. Das 1965 für eine neue israelische Tanzgruppe geschaffene und dort uraufgeführte Ballett beschwört die Welt von Stra-winskys „Sacre du printemps“, nur hat es nicht dessen Kraft und Magie. Statt einer versuchten Inhaltsangabe lesen wir im Programm: „Dream Age ist in der Mythologie verschiedener primitiver Völker ein Begriff für jene übersinnliche Welt, die schon vor der Schöpfung des Menschen da war. Die Grundlage für jedes Leben ist in der Gestalt seiner Urahnen vorausbestimmt...“ Doch wird durch solche Kommentare dem Zuschauer wenig geholfen. — Trotzdem war der Eindruck auch von diesem im Detail nicht immer klaren Ballett stark. — Sehr lebhafter Beifall dankte den willkommenen Gästen aus den Niederlanden.

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