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Moderner Maggio in Florenz

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Vom 2. Mai bis 23. Juni findet in der schönen Stadt am Arno ein dem europäischen Expressionismus gewidmetes Kunstfest statt, über dessen Idee und Durchführung wir auf einer unserer nächsten Sonderseiten noch ausführlich berichten werden. Die Reihe der Veranstaltungen begann mit zwei Opernaufführungen und zwei Konzerten des Südwestfunkorchesters Baden-Baden.

Die erste Premiere war „Doktor Faust“ von dem Deutsch-Italiener Ferruccio Busoni, an dessen 40. Todestag diese Aufführung erinnerte und dessen 100. Geburtstag in zwei Jahren gefeiert werden wird. Denn Busoni ist, vor allem durch seinen 1906 erschienenen „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“, einer der größten Anreger seiner Zeit. In dem — in deutscher Sprache geschriebenen, selbstverfaßten — Faustlibretto fasziniert die eigentümliche Verschmelzung südlichen und nordischen Theatergeistes sov je eine ebenso noble wie inspirierte Musik, die vielleicht nicht immrr dem Theater. v.-öhl aber dem Geist des bedeutenden Stoffes durchaus gerecht wird und entspricht. Das unvollendet hinterlassene Werk wurde von dem Busoni-Schüler Philipp Jarnach fertiggestellt und 1925 in Dresden uraufgeführt, und auch die Wiederentdeckung dieser interessanten und wertvollen Oper erfolgte durch deutsche Bühnen. Hier nun, zur Eröffnung des XXVII. Maggio Musicale Fiorentino, waren die Interpreten fast durchweg Italiener. Der musikalische Teil der Aufführung unter Fernando Previtali mit Renata Cesari in der Titelrolle, Luisa Maragliano, Marco Stecchi, Herbert Handt (in den fünf Masken des Mephisto) und anderen ließ kaum einen Wunsch offen. Die uneinheitlichen Bühnenbilder und Kostüme Mario Sironis konnten freilich ebenso wenig befriedigen wie die Regie Sandro Bolchis. Auch muß man sich an die Akustik des renovierten Teatro Comunale erst gewöhnen.

Weit besser gelang — überraschenderweise — die regieliche und szenische Gestaltung von Alban Bergs „Wozzeck“. Hier erzielte der hochtalentierte Bühnenbildner Luciano Damiani wahrhaft suggestive Wirkungen, und auch die zwölf Sängerschauspieler waren gut geführt. (Wir erlebten als Wozzeck Renato Capecchi, als Hauptmann Herbert Handt, als Doktor Paolo Montarosa, Nicola Tag-ger als ein wenig zu beweglichen Tambourmajor, den ausgezeichneten Bel-cantisten Petre Munteanu als Andres nud Magda Laszlo als eine ebenso eindrucksvolle wie sympathische Marie, die sich, im Unterschied zu ihren Kolleginnen auf deutschen Bühnen, weder an den Mann noch auf den Boden, noch gegen die Wand wirft. Eine Überraschung bot auch das unter Bruno Bartoletti vorzüglich musizierende Orchester des Maggio. Mit der Klangfülle und Farbigkeit unserer besten Orchester kann dieses Ensemble, vor allem infolge des etwas substanzlosen Streichertones, nicht konkurrieren. Und wenn sie beides hätten, so ließe der Raum des Teatro Comunale keine volle Entfaltung zu. Übrigens scheint die Übersetzung vorzüglich zu sein, denn das Publikum folgte der Handlung mit der gleichen Spannung wie der „expressionistischen“ Musik.

Die ersten beiden Konzerte spielte das Südwestjunkorchester Baden-Baden unter seinem ständigen Leiter Ernest Bour, der, aus Saarbrücken kommend, die Nachfolge von Hans Rosbaud angetreten hat. Im, Zeichen Arnold Schönbergs stand der erste Abend — obwohl sein Name nicht

auf dem Programm figurierte. Die feine und farbige „Berceuse elegiaque“ von Busoni, in Berlin 1912 uraufgeführt, interessierte Schönberg von allen Kompositionen Busonis am meisten, und in Schönbergs Bearbeitung für Kammerorchester erklang sie auch an diesem Abend. — Auf Texte von Maurice Maeterlinck („Les Chansons“ von 1910) schrieb Alexander von Zemlinsky (übrigens Schönbergs Schwager) einen Liederzyklus für Mezzosopran und Orchester: kultivierte, ein wenig eklektische, aber wirklich poesievolle Musik, weit weniger provokant als die anderen Werke, die auf dem Programm jenes denkwürdigen von Schönberg geleiteten Wiener Konzerts vom 31. März 1913 standen, bei dem Bergs Ansichtspostkartenlieder auf Texte von Altenberg einen Skandal ausgelöst hatten. — Sowohl die im zweiten Teil des ;P/ogramms folgenden Sechs OrihesTersiücke, op. 6, von Webern von 1909 wie die Drei Orchesterstücke, op. ti, ans dem Jahr 1914 von Alban Berg sind dem Freund und Lehrer Schönberg gewidmet. Der Personalstil der beiden Komponisten manifestiert sich hier ebenso deutlich wie Mahlers letzte Phase im Adagio aus seiner (unvollendeten) 10. Symphonie zutage tritt, die im Mittelpunkt des Programms stand und einen etwas intensiveren Vortrag erfordert hätte. Als Solistin der Maeterlinck-Gesänge lernten wir einen wunderschön timbrierten Mezzo von nobler Vortragskultur kennen: die Holländerin Sophia van Sante.

Sie war auch die Solistin des 2. Konzertes des Südwestfunkorchesters, bei dem, nach dem Vorspiel zu „Die Gezeichneten“ von Schreker (1918) zwei Werke Schönbergs auf dem Programm standen: die Fünf Orchesterstücke, op. 16, von 1909 und das Lied der Waldtaube aus den 1911 beendeten „Gurreliedern“ in einer Bearbeitung für Sopran und Kammerorchester. Der zweite Teil des Konzertes war weniger eindrucksvoll: In seiner weitschweifigrhetorischen Elegia eroica von 1916 findet Alfredo Casella zu keinem eigenen Stil, und dem „Poeme de l'extase“ Skrjabins von 1908 — einem Musterbeispiel frühexpressionistischer Musik — fehlte es an Intensität des Vortrags, eben an jener „ekstasis“, die der Titel des Werkes verspricht und die der sehr merkwürdige, in mystisch-romantische Träume versponnene Komponist mittels einer von Chromatismen ganz durchdrungenen Tonsprache auf den Spuren des Wagnerschen „Tristan“ zu realisieren sucht.

Diese Art Musik und Programm war dem italienischen Publikum offensichtlich ein wenig fremd, aber es mögen diese beiden Konzerte zur Erweiterung des musikalischen Horizontes jener beigetragen haben, auf die es ankommt.

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