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Musica nova — und andere

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Das erste Konzert des Ravag-Zyklus „Musica. nova“ brachte als Mittel- und Höhepunkt die „Sex Carmina" für eine Singstimme und Soloinstrumente von L u i g i Dalia- p i c c o I a, von Ilona Steingruber in schöner stimmlicher Ausgewogenheit gesungen. Der nur sechs Minuten dauernde Liederzyklus wirkte wie ein Bild mit schmalen klaren Linien und feinem verhaltenem Ausdruck, ein überzeugendes 'Werk der Dodekaphonik, die hier einem gütigen phrasenlosen Lächeln gleicht. Die vorangehende zweite Symphonie von K. A. Hartmann war dagegen trotz großer Besetzung von wesentlich schwächerer Wirkung (die außerdem mehr vom Kolorit als von den Themen und ihrer Verarbeitung ausging) und könnte — da Dallapiccolo einer klassischen Prägnanz zuneigt — eher als moderne Romantik gewertet werden. Der moderne Klassiker aber ist Paul H i n d e- dith, dessen Symphonie in B für Bläser sicheres Zupacken und subtile Behandlung an Thema und Instrument gleicherweise und fast spielerisch beweist und mit einer sieghaften Fuge den Abend krönte, an dessen Gelingen der Dirigent Felix Prohaska und die Wiener Symphoniker vollgewogenen Anteil hatten.

Unter sorgsam sicherer, wenn auch gestenreicher Führung Gustav Kosliks gelang es dem Tonkünstlerorchester, dem Format der beiden Solisten Hildegard Rössel-Majdan und Anton Dermota in einer Wiedergabe von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ im schönsten Sinne gerecht zu werden, die lyrische Kraft dieser gesungenen Symphonie zum dramatischen Erlebnis zu verdichten. Die glücklich vermiedene Gefahr de Auseinander- fallens in sechs Einzelge6änge darf als besondere Leistung gebucht werden. Zweifellos gab es schon prominentere Wiedergaben dieser bekanntesten Mahler-Komposition; wenn jedoch das musische Erlebnis letzte Aufgabe ist, wurde sie hier erfüllt.

Zwischen Pergoleses „Stabat mater und volkstümlichen, zuweilen artistisch-stimm- technischen Bearbeitungen alter und neuer

Lieder brachten die „W i ener Sängerknaben" das obligate Singspiel, diesmal „Hans im Glück" von Johannes Brandt mH Musik von Johann Strauß in der Bearbeitung von Viktor Gombosz. Die kleinen Sänger erwiesen, geführt von Harald Hedding und Friedrich Brenn, in Gesang und Spiel erstaunliche Leistungen, vor allem durch blitzsaubere Intonation — was allerdings die längst bis zum Überdruß ausgeschrotete Musik von Strauß an dieser Stelle kaum mehr rechtfertigt. Ganz abgesehen von Neuem, dem die Jugend besonders verpflichtet wäre, bliebe die Benützung alten und reichen heimischen Volksliedgutes als Singspielsubstanz weit natürlicher und auch ergiebiger. Das gleiche gilt von der Schiußnummer der Programme, die nicht unbedingt ein Strauß-Walzer sein muß, der zumeist — wie auch diesmal die „Sphärenklänge“ — sidi als eine mehr-weniger geistlose Silbenstecherei auf Tanzmelodien darsteljt, die nicht für Singstimmen komponiert sind, und der demgemäß mehr Unfug als Dienst am Straußschen Erb bedeutet. Prof. Franz Krieg

Im Zyklus „Die große Symphonie“ dirigierte Paul Klecki die an dieser Stelle bereits besprochene „tragische“ (fünfte) Symphonie von H o n e g g e r. Der Autor nennt sein Opus „Di tre re“ (dreimal re = d, mit dem jeder der Sätze endet) und begründet den Titel folgendermaßen: „Es wäre Eigendünkel, wenn ein Komponist, bei dieser Ziffer angelangt, sein Werk ohne weiteres ,Fünfte Symphonie' zu nennen wagt. Schon seit langem ist die .Fünfte', die einzig wahre und echte, jene von Beethoven.“ — Das klingt freilich gar nicht nach jener Bilderstürmerei, derer man die zeitgenössischen Komponisten zuweilen bezichtigt, sondern ist Ausdruck jener Bescheidenheit, die manche Zeitgenossen vor den Werken bedeutender Gegenwartskünstler vermissen lassen. — Dann trat ein junger Orpheus vor uns hin, der 20jäh- rige Franzose Christian Ferras, und spielte Beethovens Violinkonzert. Sein kost-

bares Instrument gibt einen weichen, doch kräftigen Tem von edlem Wohllaut! Im ganzen neigt der junge Geiger zum lyrischen Genre. Slcine Technik ist heute schon als perfekt zu tjezenhnen. Paul Klecki begleitete mit größter Akuratesse und beschloß das festliche Konzert mit einer kontrastreichen Interpretation von Tschaikowskfs .Pathe- tiqüe", Sonderapplaus, den e6 für den Solisten und, nach dem Allegro vivace der „Sechsten“, für den Dirigenten gab, hätten auch die Bläser der Symphoniker verdient.

sozialer zu sein, dann wäre in einem Punkte etwas erreicht, in dem es sonst noch lange gären und rumoien wird."

Mit einem neuen Buch auf dem ungarischen „Büchermarkt" macht „Szabad Nėp" (12. Dezember 1952) ihre Leser bekannt. Der auffallend placierte Artikel und das Buch tragen den Titel: .Die Hoffart der Herren, der Pfaffen, duldeten wir genug lang..." Der Untertitel: .Eine Anthologie aus den antiklerikalen Überlieferungen der ungarischen Literatur." Einige Zitate aus dem Artikel und aus dem Buch: „Eine literarisch wie politisch wertvolle Anthologie ... ein lebendiges Zeugnis dafür, daß unsere antiklerikalen Überlieferungen mit der ungarischen Literatur sozusagen gleichen Alters sind. Die ältesten Spuren geschriebenen Wortes bis zurück auf sieben Jahrhunderte, die ersten Sprachdenkmäler beweisen es, daß... ein jedes patriotisches, anständiges Streben der Dichter nach nationaler Existenz, ungarischer Kultur und Sprache — zugleich ein tapferer, opferbereiter Kampf' gegen die klerikale Reaktion war. ... beißender Spott,

Haß, Kämpfertum strömt aus ihnen ... gleichsam wie aus den literarischen Reportagen, Satiren, Romanfiguren unserer Tage.“ Daß in Wirklichkeit die ersten Sprachdenkmäler, wie etwa eine Leichenpredigt und ein Klagelied Mariä au6 dem 13. Jahrhundert, diese wunderschönen Denkmäler christlichen Ungarntums, ausnahmslos kirchlichen Ursprungs sind, was tut’s, wenn: „Die Lektüre des mehr als 500 Seiten dicken Bandes vertieft noch mehr die Wahrheit der Worte von Genosse Räkosi: ,Die ungarische Volksdemokratie und in ihr die ungarische werktätige Jugend handeln im Geiste ihrer besten historischen Traditionen, wenn sie den Kampf mit dieser zurückgebliebenen Nachhut der alten Ordnung mutig und entschlossen aufnehmen' “ Es folgt ein Dichterwort: „Priester und Schlauheit, Priester und Verrat, Priester und alles Böse —- sind ein und dasselbe!" Aus den übrigen, wohl jedem Anstand spottenden Zitaten kommt dann freilich hervor, daß die Dokumentierung der „siebenhundertjährigen Tradition" sich auf Kampfschriften aus der Reformationszeit, auf journalistische Ergüsse von Freidenkern um die Jahrhundertwende und auf die „Dichter der Gegenwart“ beschränkt. Doch die Lehre bleibt nicht aus: „Der auch nach seinem Umfang bedeutende Schlußteil der Anthologie widerspiegelt übrigens, daß unsere besten Dichter nach der Befreiung bedeutende Schritte machten, um ' diese noblen, literarischen Traditionen unserer Vergangenheit neu zu erwecken, weiterzuentwickeln ... aber wenn wir die unerhört angewachsenen Möglichkeiten ins Auge fassen... und auch die Aufgaben, die unser harren ... Im Kampf gegen die klerikale Reaktion nicht Vergessen, dann müssen' wir sagen, daß trotz der nicht zu unterschätzenden Erfolge die Unterstützung, die von unseren Dichtern dieseih wichtigen Frontabschnitt des für die Verteidigung unserer Unabhängigkeit geführten Kampfes gewährt wird, noch ungenügend ist." Soweit unser Blick in die Auslagen der Budapester Buchhandlungen in dieser Weihnachtszeit.

In der amerikanischen Monatszeitschrift „Foreign Äffairs" erschien ein Artikel, der sich mit der Bevölkerungsbewegung in der Sowjetunion nach dem zweiten Weltkrieg befaßt. Es heißt hier: „Nach, den spärlichen Angaben, die von seiten der Sowjetunion über die Zahl der Gesamtbevölkerung Rußlands gemacht werden, leben zur. Zeit etwa 206 Millionen Menschen in Sowjetrußland. Beim Parteitag der Kommunistischen Partei Rußlands hat Berija berichtet, daß die russische Bevölkerung im Jahr um drei Millionen anwächst. Er fügte hinzu, daß die Sterblichkeit halbiert wurde. Dabei ging er vöm letzten Vorkriegsjahr 1940 aus. Vergleicht man die sowjetische Bevölkerung von 1939 mit der von 1950 einschließlich der, Einwohnerzahl der seit 1939 annektierten Gebiete, so kann man ungefähr den Umfang der Kriegsverluste errrechnen. Wäre es zu keinem Krieg gekommen, so würde die Sowjeatunion im Jahre 1950 ädion 225 Millionen Einwohner gehabt haben. In diesem Jahr wurde die Bevölkerungszahl aber mit 200 Millionen angegeben. Die KriegS- verluste würden also um 25 M ii 1 i o n e n liegen. Nach vorsichtigen Berechnungen können folgende Verlustzahlen, angenommen werden: 3 Millionen Abgewanderte, etwa 6 Millionen Soldaten, 5 Millionen Zivilisten und 6 Millionen Geburtenausfälle. In der Sowjetunion leben schätzungsweise heute etwas über 40 Millionen arbeitsfähige Männer zwischen 15 und 50 Jahren. Hievon muß man etwa 5 Millionen, die in dör Armee und bei der Geheimpolizei dienen, abziehen. Es bleiben also für den Arbeitsmarkt noch 35 Millionen Männer, von denen etwa ein Viertel in Arbeitslagern leben.“

Professoren der Princeton-Universität haben eine neue Unterrichtsmethode ins Leben gerufen, die ihnen zur gründlichen Erlernung gewisser Fächer in den amerikanischen Schulen unumgänglich erscheint. Die Fächer Geographie, Geologie und Botanik werden von nun ab in gewissen Perioden — in der Eisenbahn unterrichtet. Die rol- den Schulen", die in einem Zug ihre Lehrsäle haben, enthalten sämtliche Lehrbehelfe, wie sie sonst in Schulen oder Universitäten vorzufiriden Sind. Der Zweck dieses neuen Lehrsystems besteht darin, alle Details aus den betreffenden Fächern dadurch recht anschaulich zu machen, daß geographische, geologische oder botanische Tatsachen an Ort und Stelle studiert werden. Die rollenden Schulen machen öfters.haltj Lehrer und Schüler verlassen den Zug, begeben sich in einen Wald, oder sie betreten menschenleere Prärien. Der Professor beginnt seinen Vortrag, und die Aufmerksamkeit der Schüler ist viel größer als in einem geschlossenen Lehrsaal. Häufig werden auch während der Fahrt ergänzende Vorträge gehalten.

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