6715590-1964_41_11.jpg
Digital In Arbeit

Musikfestwochen in Luzern

Werbung
Werbung
Werbung

Die 26. Internationalen Musikfestwochen in Luzern waren nicht nur ein Bekenntnis zur Tradition, sondern ließen auch die zeitgenössische Musik zu ihrem Recht kommen. Es schienen eine Fülle von Namen auf, die in Luzern noch nicht geläufig waren; es gab neue Entdeckungen, neue Töne und Uraufführungen. Neben dem Schweizer Festspielorchester, das diesmal Antal Dorati, Istvän Kertėsz und Ferdinand Leitner dirigierten, waren noch die Wiener Philharmoniker mit Karajan, Böhm und Zubin Mehta zu Gast. Als Attraktion galt das einmalige Gastspiel des Pittsburgh Symphony Orchestra unter seinem Chefdirigenten William Steinberg. Als Kammerorchester fungierte das English Chamber Orchestra unter der Leitung Benjamin Brittens, dessen „Nocturne“ für sieben Instrumente, Streicher und Tenor' reich an Gegensätzen und subtilsten “'Zeichnungen war. lö Pdthr Pears (Tenor) fand Britten einen der idealsten Interpreten, der atxih ■ ein 'begeistertes Echo fand. Es mangelte nicht an Solistenabenden, von denen der Liederabend mit Hermann Prey und die Klavierabende mit Arthur Rubinstein und Svjatoslav Richter Höhepunkte bedeuteten. Die Festival Strings Lucerne, geführt von Rudolf Baumgartner, brachten im Musica-Nova-Konzert vier interessante Auftragswerke zur Uraufführung, die damit die etwas schablonierte Festspielatmosphäre elektrisierend durchschnitt. Alexander Tcherepnins Kantate für eine Frauenstimme und Streicher, „Vom Spaß und Emst“, war nicht arm an Reizen instrumentaler Kolorierung und folkloristischer Gesangslinien (Nata Tüscher, Alt, eine vorbildliche Gestalterin), Werner Kaegis „Concerto für Jazzquartett und Streicher“ konnte als Resultat kühner Pionierarbeit mit technischen Methoden und Materialien gelten. Echte Motorik, hervorgerufen durch Jazzstilistik, verbunden mit plastisch phrasierten Streicherpassagen, kantige Konturen, durchsichtige Kontrapunktik, scharfe Kontraste, gesunde Pulsierung sind die Kennzeichen dieses, mit besonderem Erfolg aufgenommenen Werkes. Die „Dialoge für Kontrabaß und Streicher“ von Everett Helms dagegen gaben wohl dem Kontrabassisten Hermann Voerkel die Möglichkeit kühnster Virtuosenarbeit, ließen aber einen echten Einfall missen. Jean Franqaix’s „Preludi per orchestra a corde da camera“sind ein herzhafter Griff in das Reservoire bekannter Vorbilder, gekonnt gemacht. Die Festivals Strings setzten sich mit großem Elan und virtuoser Hingabe für sämtliche Werke ein und konnten dafür auch reichsten Beifall entgegennehmen.

Großes Aufsehen mit den Kennzeichen des Ereignishaften machte vor allem der zum erstenmal in Luzern aufgetretene spanische Chor „Orfeon Donostiarra de San Sebastian“, der unter dem 31jährigen Dirigenten Rafael Frühbeck de Burgos eine spannungsgeladene, vom feurigen Temperament durchpulste, bis ins kleinste ausgefeilte Aufführung der Orffschen „Carmina Burana“ bot und ungeahnte Beifallsstürme entfesselte. Neben der schlechthin vollendeten Chorkultur mit der strahlenden Leuchtkraft faszinierte auch an diesem Abend die wundervoll leichte Stimme der Sopranistin Montserrat Caballe, die neben Eric Tappy und Derrik Olsen den Solopart inne hatte. Das Schweizerische Festspielorchester zeigte große Homogenität und Geschlossenheit des Klanges. Mit großer Spannung wurde das Konzert des Pittsburgh Symphony Orchestra erwartet. Es war höchst interessant, ein derartiges Spitzenorchester, das repräsentativ für den amerikanischen Musiziergeist war, zwischen dem

Schweizer Orchester und den Wiener Philharmonikern zu hören. Was vom ersten Moment an auffiel, war der Per- fektionismus im prächtigsten Glanze, was man zuweilen mißte, waren die feinen subtilen Abstufungen und das, was wir Herz nennen. In einem Monsterprogramm bot Steinberg — ein äußerst prägnanter Könner — Werke von Weber, Schubert, Piston, Hindemith und Ravel. Das überaus zahlreich erschienene Publikum war im ersten Teil etwas reserviert, brach aber bei Hindemiths eigenartiger Pittsburgh Symphonie und Ravels „Daphnis et Chloe“ in echte Begeisterungsstürme aus, so daß trotz des fortgeschrittenen Abends noch eine Zugabe," „Der Schleiertanz der Salome“, der betont sinnlich exaltiert wiedergegeben war, erzwungen wurde und unzweifelhaft den Höhepunkt bedeutete.

Die letzte Phase des Festivals leiteten die Wiener Philharmoniker unter Herbert vonKarajan mit einer Richard- Strauss-Feier von bestiftderer Art 6in.'"Dä der „Don Quichotte“ und die in der Entstehungszeit dicht nebeneinanderliegende symphonische Dichtung „Also sprach Zarathustra“ auch in Salzburg zur Aufführung kam, stelle ich lediglich fest, daß durch Karajans volle Hingabe und der restlos überzeugenden Wiedergabe durch das Wiener Meisterorchester ein triumphaler Erfolg auch in Luzern erzielt wurde. Zubin MehtasKonzert mit den Wiener Philharmonikern trug den Stempel des jugendlichen Feuers. Erfreulich, daß dabei wieder ein Zeitgenosse, Gottfried Einems „Orchestermusik“, geprägt von kontrapunktischen, insbesondere kanonischen Praktiken, die sich in effektvollen Orchesterpassagen anbieten, zur Aufführung kam. Nicht unerwähnt soll sein, daß der Luzerner Regisseur Dr. Horst Gnekow mit Pirandellos „Heinrich IV.“ (in den Hauptrollen Victor de Kowa, Hanne Wieder und Sabina Sesselmann) den Schauspiel: freunden eine interessante Aufführung lieferte, die großartige Eindrücke hinterließ.

Zusammenfassend sei festgestellt, daß auch im Jahr 1964 bei den Luzerner Musikfestwochen in Hinsicht Qualität kein Nachlassen zu merken war, ganz im Gegenteil, die Höhenkurve, die Luzern stets ganz besonderen Rang verleiht, eingehalten wurde. Künstler und Organisatoren konnten bei den zahlreich erschienenen Festwochenbesuchern einen vollen Erfolg buchen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung