Musiktheater, neu gelesen

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"'Lulu' ist eine in einem raffinierten Arena-Ambiente spielende Produktion, deren Bildersprache auch die Reaktion der Zuseher gesellschaftskritisch reflektiert."

Lulu

An der Staatsoper zielte Agneta Eichenholz nachgerade verhaltene Lulu auf die Verletzlichkeit ihrer Figur (links).

Brünnhilde

Liene Kin ca als Gutrune, Ingela Brimberg als Brünnhilde, Daniel Brenna als Siegfried und der Arnold Schoenberg Chor (o.re).

Hagen

Marcel Beekman als Mime, Martin Winkler als Alberich und Jonathan Fleming ist Hagen als Kind (u. re.).

Siegfried

Am Theater an der Wien: Liene Kinca als Sieglinde, Stefan Kocan als Hunding.

Am Theater an der Wien zeigt man Wagners Tetralogie auf drei Abende zusammengeführt und aus der Perspektive der Jüngeren gelesen. Jede dieser drei - ungewohnt mit "Hagen","Siegfried" und "Brünnhilde" übertitelten -Aufführungen wird mit jener Szene eröffnet, mit der Wagner sein Opus summum begonnen hatte: Siegfrieds Ermordung durch Hagen. So die Intention der Regisseurin Tatjana Gürbaca, ihrer Dramaturgin Bettina Auer und des Dirigenten Constantin Trinks für ihre Wiener "Ring-Trilogie".

Wagner verwässert

Selbstredend, dass ein solches Konzept Umstellungen erfordert. So kombiniert der erste dieser Abende Teile von "Götterdämmerung" und "Rheingold". Der zweite, "Siegfried" verbindet den ersten Akt "Walküre" mit Abschnitten aus "Siegfried". Der dritte Abend führt Teile von "Walküre" und "Götterdämmerung" zusammen. An sich schon ein gewagtes Unterfangen, denn Wagner hat die Akte durchkomponiert. Entscheidet man sich für ein solches Puzzle, führt dies unweigerlich zu gewagten Schnitten. Linien gehen verloren. Nicht zuletzt wird Wagners Idee von Ursache und Wirkung verwässert.

Wagner war es durchaus recht, dass seine Werke bearbeitet werden, formulierte Trinks im Vorfeld. Was aber hätte dieser über sein Dirigat an der Spitze des mit diesem Repertoire nicht gerade affinen ORF-SO Wien geurteilt? Machte Trinks doch damit deutlich, wie farb-,vor allem spannungslos man diese Musik darstellen, sie damit ziemlich aller Reize entkleiden kann.

Fragwürdig auch die Sängerbesetzung. Gemessen an Maßstäben eines ersten Hauses konnte an den ersten beiden Abenden nur Martin Winklers Alberich überzeugen. Die übrige Besetzung kam über den Durchschnitt selten hinaus, wie der blasse Wotan von Aris Agiris, der in seiner Kostümierung an die Hitler-Zeit erinnernde, wenigstens klar artikulierende Loge von Michael J. Scott, der outrierte Mime von Marcel Beekman, die bereits als Gutrune mit schrillen Höhen aufwartende Sieglinde von Liene Kinca oder Samuel Youns wenig profunder Hagen. Vor allem kraftvoll agierten Ingela Brimberg als Brünnhilde und der in dieser Regie als Tölpel gezeichnete Siegfried von Daniel Brenna.

Die Inszenierung lässt Gürbaca in einer von Henrik Ahr kreierten "Zauberkiste" - so das Programmheft, tatsächlich aber eine beliebige wie belanglose Szenerie - ablaufen: Die Umdeutung Nothungs zum Brotmesser, umgeworfene Fauteuils, eine Nabelschnur, ein Waldvogel, der mit Säcken durch den Wald schreitet,Schnaps,umsichvoreinem Mord Mut anzutrinken, Mannen mit Nasenmasken (Arnold Schoenberg Chor), die sich besonders auf das Polo-Spiel verstehen zu scheinen, ein Wotan im billigen Trachtenlock, Sex von Brünnhilde und Siegfried in der Unterwäsche, ein vor dem Computer sitzender Günther sind alles Gags, die man mögen kann oder nicht. Sie taugen weder als Erklärung für diese neue "Ring"-Disposition, noch erhellen sie Inhalt und Handeln der Personen.

An der Staatsoper: "Lulu"

Dafür wurde die Wiener Staatsoper mit ihrer jüngsten "Lulu" den Erwartungen gerecht. Wobei keine Rolle spielte, dass Willy Deckers Inszenierung der durch Friedrich Cerha komplettierten dreiaktigen Fassung dieser Alban Berg-Oper bereits in Paris zu sehen war. Schließlich fußt sie auf jener Regie, die er für die Wiener Staatsoper für die zweiaktige Fassung dieser Zwölftonoper, die im Februar 2000 Premiere hatte, erarbeitet hatte.

Eine in einem raffinierten Arena-Ambiente (Ausstattung: Wolfgang Gussmann) spielende Produktion, deren Bildersprache auch die Reaktion der Zuseher gesellschaftskritisch reflektiert. Erstaunlich, wie bruchlos es dem Regisseur gelungen ist, mit seiner Lesart des dritten Aktes an seine frühere Interpretation anzuknüpfen. Womit er sich erneut als eloquenter Zeichner von Charakteren und Beziehungen präsentiert.

Agneta Eichenholz' nachgerade verhaltene Lulu zielte mehr auf die Verletzlichkeit ihrer Figur als mit oberflächlichen Reizen zu kokettieren. Auch Angela Denokes Gräfin Geschwitz lieferte ein subtiles Bild einer Gedemütigten. Bo Skovhus' Dr. Schön und Jack the Ripper, Jörg Schneiders Maler, Herbert Lipperts ebenso vokal untadeliger Alwa, Wolfgang Bankls kraftstrotzender Tierbändiger und Athlet und Franz Grundhebers souveräner Schigolch repräsentierten eine von Egozentrik und Brutalität bestimmte, alles Weibliche vernichtende Gegenwelt. Höchstes Niveau zeichnete auch das von Ingo Metzmacher zu spannungsreicher Differenziertheit geführte Staatsopernorchester aus. Eine Premiere ganz nach Art eines ersten Hauses.

Siegfried Theater an der Wien, 9., 18. Dez.

Brünnhilde Theater an der Wien, 10., 19. Dez.

Hagen Theater an der Wien, 17., 29. Dez.

Lulu Staatsoper, 12., 15. Dez.

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