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Nachklänge

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Die imponierende Sicherheit und Konsequenz in der Programmgestaltung, die auch die diesjährige Musikbiennale Venedigs auszeichnete, hat ganz offenbar zwei Wurzeln. Einmal hat in Italien praktisch nie, auch nicht während des Krieges, die Pflege moderner Kunst aufgehört, und dann hat Venedigs Fest zeitgenössischer Musik zwei Kunstvorbilder, denen es sich gleichsam gefahrlos beugen kann: die Feste der bildenden Kunst und des Films.

Von Rahmenveranstaltungen abgesehen, unter denen die Konzerte Herbert von Karajans mit dem Turiner Radioorchester und das Konzert alter venetianischer Musik unter Sergiu Celibidache in der Basilica di San Marco hervorragten, boten sich dieses Jahr drei Themengruppen, die sich organisch ergänzten: Kammeroper, ein Ueberblick über das Kammermusikwerk eines der „Väter“ moderner Musik (nach Bartök und Hindemith in den Vorjahren, heuer Arnold Schönberg) und eine Uraufführungsreihe neuer Orchesterwerke. Der noch nicht abgeschlossene, ja offenbar noch ständig steigende Einfluß Schönbergs, dessen vier Quartette, Streichtrio und Napoleon-Ode von Berliner Musikern in der kürzlich erst der Oeffentlichkeit wieder zugänglich gemachten raumschönen Abbazia della Misericordia geboten wurden, ließ sich weniger an den neuen Bühnenwerken als an der neuen Orchestermusik ablesen, wobei freilich mindestens gleichwertig Strawinsky (mit der italienischen Erstaufführung der „Cantata“) als väterlicher Mentor erkennbar wurde. Auffallend wieder, daß Paul Hindemith, dessen „Cantique de l'esperance“ (Paul Claudel) die religiöse Verpflichtung der Musik unserer Tage auch in Venedig eindrucksvoll dokumentierte, kaum Nachfolger findet; zweifellos ein Zeichen seines ganz persönlichen und satztechnisch „reibungslos“ gefestigten Stils.

So merkt man zum Beispiel dem gebürtigen Berliner, nunmehrigen Amerikaner Lukas Foß kaum den Hindemith-Schüler an. Seine Kammeroper „The jumping Frog of Calaveras County“ nach Mark Twain wurde neben der schon bekannten Balzac-Drolerie „1' Apostrophe“ von Jean Francaix und Vieri Tosattis „Partita a pugni“ aufgeführt, die mit dem Zufallssieg des Schwachen über den Starken die heilige Handlung eines Boxkampfes sketchartig und mit massivem Orchester ironisiert. Tosatti sucht, in Anlehnung an Gershwin, offensichtlich einen amerikanischen Ton, der vorläufig allerdings mehr flach-optimistisch als künstlerisch fundiert wirkt.

Unmittelbar der Wiener Schule Schönbergs verpflichtet, teilweise dabei die Speziallinie eines Anton von Webern weiterführend, erwiesen sich drei Musiker: der kürzlich verstorbene und praktisch erst jetzt entdeckte Grieche Nikos Skalkottas, der Oesterreicher Hanns Jelinek, dessen „Konzertante Symphonie für großes Orchester“, op. 22, trotz „nachweisbarer“ Zwölftontreue expressionistische Züge trägt und vier in Charakter und leider auch Geschmack recht unterschiedliche Sätze besitzt, und schließlich der junge, sehr begabte Deutsche Giselher Klebe, dessen „Sinfonia“, op. 16, sich als eine Variationsreihe über das Kopfthema des Eröffnungssatzes von Mozart c-moll-Klavier-konzert und den Komponisten noch allzusehr diesseits der Klippe doktrinärer Schulmanieren entpuppte.

Da haben es die teils auch aus eigener Kraft zu persönlicher Sprache und materialiter gefestigter Stilgewandtheit gelangten, bezeichnenderweise meist der mittleren Generation angehörenden Komponisten leichter. An ihrer Spitze steht Boris Blacher, der nun an seiner „variablen Metrik“ ein „Orchester-Ornament“, op. 44, aufreiht. Die Deutschen, einschließlich Hindemith, dessen „Konzertmusik für Streichorchester und Blech“ sämtliche Kollegen, wenn auch naturhaft-brutal, so doch herrlich, an die Wand spielte, hatten in Venedig deutsche Sachwalter bester Qualität, das Orchester des Südwestfunks Baden-Baden mit Hans Rosbaud an der Spitze. Sie machten mit Gian Francesco Malipieros klanglich kühner und weltanschaulich belasteter Dichtung „Elegia-Capriccio“ eine Reverenz vor dem Gastland, das sie herzlich aufnahm und vorteilhaft kritisierte. Eine Sensation besonderer Art: die unerklärlicherweise 15 Jahre nach ihrer Uraufführung in Buenos Aires dem glücklichen Venedig in den Schoß gefallene europäische Erstaufführung der „Homenajes“ (Hommages) von Manuel de Falla, vier ursprünglichen Kammermusikstücken, in denen Falla den Musikern Arbos, Debussy, Dukas und Pedrell huldigt und die er offenbar selbst instrumentiert hat; hinreißende Musik, die noch aus Volksboden geschöpft werden konnte, teils schon sehr nahe verwandt der stilisierten Hispanität vom „Meister-Pedro“-Puppenspiel. —

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