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Notruf für das Theater an der Wien

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Der neue Staatsoperndirektor hat auf einer Pressekonferenz am Montag, den 15. November, seine Pläne und sein Aktionsprogramm für die nächsten drei Jahre bekanntgegeben. Professor Böhm, dessen Sorgen gegenwärtig fast ausschließlich dem am 5. November 1955 neuzueröffnenden großen Haus am Ring gelten, hat zu einem zweiten Volksoperntheater nicht nein gesagt, dessen Spielplan freilich genauestens auf den des großen Hauses abgestimmt werden müßte und das künftig selbständiger zu führen sein wird als bisher. Damit wird in Kürze die Frage aktuell: w 0 wird das Volksopernensemble spielen? Die „Furche“

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Der neue Staatsoperndirektor hat auf einer Pressekonferenz am Montag, den 15. November, seine Pläne und sein Aktionsprogramm für die nächsten drei Jahre bekanntgegeben. Professor Böhm, dessen Sorgen gegenwärtig fast ausschließlich dem am 5. November 1955 neuzueröffnenden großen Haus am Ring gelten, hat zu einem zweiten Volksoperntheater nicht nein gesagt, dessen Spielplan freilich genauestens auf den des großen Hauses abgestimmt werden müßte und das künftig selbständiger zu führen sein wird als bisher. Damit wird in Kürze die Frage aktuell: w 0 wird das Volksopernensemble spielen? Die „Furche“

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Dis im nächsten Jahre bevorstehende Wieaereröiinung des Opernhauses am Ring hat nicht nur den Fortbestand der Volkspper in Frage gestellt, sondern die bauliche Existenz des uns allen lieben und vertrauten Theaters an der Wien. Die Unglücksraben, d;e seit einigen Wochen die beiden Häuser umkreisen, wissen auch schon davon zu krächzen, daß das Haus in der Linken Wienzeile zur Demolierung verdammt sei. Beide Häuser gehören der Gemeinde Wien, das jüngere seit seiner Gründung, das- ältere seit dem Ende der Aera Marischka. Während aber die Volksoper nur ein großer Nutzbau mit einer Talmifassade aus der letzten Jahrhundertwende ist, hat das Theater an der Wien wenigstens in seinem Innenraum die Würde einer früheren und besseren Jahrhundertwende bewahrt.

Als Emanuel Schikaneder, nach einem Dutzend Jahren im „Theater auf der Wieden“, dem spurlos verschwundenen Freihaustheater, mit der „Zauberflöte“ in das von ihm errichtete Theater an der Wien über- siedelte, konnte er sich der größten und schönsten Bühne Wiens rühmen. Zur Erinnerung an eine der Quellen seines nicht sehr dauerhaften Reichtums, ließ er das Auffahrtstor in der Theater-, der späteren Millöckergasse mit den Figuren der Papageno- Familie schmücken, so wie er die Decke des Salons in seinem (später Lehär gehörigen) Schlössel zu Nußdorf, mit den Figuren der Königin der Nacht und ihres Gefolges malerisch verzieren ließ. Das neue „k. k. priv. Schauspielhaus“ übernahm vom alten den ursprünglichen Namen „Wiedner Theater“, obgleich es in der Vorstadt „An der Wien“ lag, die dann dem sechsten Gemeindebezirk einverleibt worden ist. Sein Repertoire blieb lange allumfassend: Schauspiel und Komödie,, Oper und Singspiel waren dort gleichberechtigt zu Hause.

Wien hatte um 1800 neben den beiden Hoftheatern drei Vorstadtbühnen: das Theater in der Leopoldstadt, das als Carl-Theater baulich zugrunde ging, das Theater in der Josefstadt, das zweimal umgebaut worden ist, und das Theater an der Wien, alle drei ähnlichen Zwecken dienend. Im Theater an der Wien fand 1805 die Uraufführung von Beethovens „Fidelio“ statt, der dort auch zeitweilig wohnte, dessen Violinkonzert von

Franz Clement, dem Konzertmeister des

Orchesters, und dessen Eroica- und Pastorale- Symphonie unter seiner eigenen Leitung dort zum ersten Male gespielt worden sind. Während der Verbindung zwischen den beiden Hoftheatern und dem Theater an der Wien, die etwa zwanzig Jahre lang dauerte, wurden dort Händel-Oratorien gegeben, Kleists „Kät- chen von Heilbronn“ und Grillparzers „Ahnfrau“, Schuberts Melodram „Die Zauberharfe“ und seine Musik zum Schauspiel „Rosamunde“ zum ersten Male aufgeführt. Auf den Ruhmesblättern dieses Hauses stehen auch die Namen Fanny Elßler und Jenny Lind, Spohr, Nestroy, Lortzing und Anzengruber.

Erst seit 1865 und besonders seit 1884 ist das Theater an der Wien das bevorzugte Operettentheater Wiens geworden, das es bis etwa 1935 auch geblieben ist. Hier haben Suppe, Millöcker und Johann Strauß ihre großen Triumphe gefeiert, mit Swoboda, Friese, Schweighofer, Girardi, der Gallmeyer und der Geistinger. Hier ist nach jenem goldenen Zeitalter der Wiener Operette, zu dem noch Fleubergers „Opernball“ zu zählen ist, das „silberne“ angebrochen, das mit Hein rich Reinhardts „Süßem Mädel“ begann und dann die Welterfolge von Lehär, Oscar Straus, Fall, Eysler, Kälmän und anderen brachte.

In den Reiseführern durch Wien wurde dieses Theater unmittelbar vor und nach der Erbauung der Hofoper „das schönste und zweckmäßigste Theater Wien s“ genannt, mit „dem schönsten und meist akustischen • Saal“, wo seit 1818 im Fasching „die elegantesten Maskenbälle“ stattfanden, auf dessen Bühne „500 Menschen und über fünfzig Pferde“ Platz hatten.

Wesentliche bauliche Veränderungen erfuhr das Theater erst 1900, als die vierte Galerie entfernt wurde, und 1902, als die Architekten Fellner und Hellmer das Miethaus in der Magdalenenstraße (jetzt Linke Wienzeile benannt) im Stile jener Zeit umbauten. Der Zuschauerraum mit dem normalen Orchester faßt (die Stehplätze mitgerechnet) etwas über 1300 Personen, verglichen mit 2250 in der Staatsoper und 1800 in der Volksoper. 1 ; 1

Im Frühjahr 1945, bald nach der Zerstörung der Staatsoper, schickte Richard Strauß an Dr. Karl Böhm, den damaligen und künftigen Direktor jenes Hauses sein

„künstlerisches Vermächtnis“ mit einem Programm für die „zwei Opernhäuser“, die eine Großstadt wie Wien benötige (wobei er die Volksoper als eine wohlfeile städtische Oper zu erhalten wünschte). Als zweite staatliche Bühne, der großen Oper angegliedert, hatte Strauß „das hiefür außerordentlich geeignete, wundervoll akustische Theater an der Wien“ im Sinne, das er, wie andere Nichtwiener, für „die Geburtsstätte der Zauberflöte“ hielt und das seiner Meinung nach „nur geringfügiger Reparaturen und technisch zeitgemäßer Instandsetzung bedarf“.

Nach zehnjähriger Nichtbenützung hätte die nötige Renovierung 1946 zwölf Millionen Schilling gekostet. Sie wird heute auf mindestens 25 Millionen geschätzt. Wenn die Stadt Wien nicht in der Lage ist, eine solche Summe auf emmal aufzuwenden, so könnte vielleicht eine Anleihe dafür ausgeschrieben werden. Die Wiener, die dem Ruf für den Wiederaufbau der Staatsoper so willig entsprachen, dürften auch gerne einem Notruf folgen, den der Hausherr des Theaters an der Wien zu dessen Rettung verlautbart.

Es scheint nun, nach mancherlei Schwankungen in den Entschlüssen der Behörden, entschieden zu sein, daß das zweite Haus nicht nur Operetten spielen soll, sondern auch Opern, die nicht im künftigen Repertoire des Hauses am Ring vorgesehen sind. Das zweite Haus aber sollte nun doch das Theater an der Wien sein, wie auch Dr. Hermann Juch, der Direktor der Volksoper, schon in seinem Memorandum „Gedanken über die Zukunft der Staatsoper in der Volksoper“ (Mai 1954) angeregt hat. Während des Umbaues des „Wiedner Theaters“, vom Juli 1955 bis zum August 1956, sollte in der Volksoper weitergespielt werden, die dann vielleicht eine Revuebühne -werden wird, aber auch vorläufig leerstehen mag, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, zu verfallen, wie das Carl- Theater und jetzt am Ende gar das Theater an der Wien.

Es ist ein Kleinod unter den Wiener Theatern, dem man einen zeitgemäßen Rahmen geben könnte wie 1924 dem Theater in der Josefstadt. Das Budget des Hauses, mit dem wieder zu reduzierenden Orchesterraum, wäre viel leichter zu balancieren als das der Volksoper. Die Stimmen der Sänger würden dort -’mehr geschont und Spieloper wie Operette wären dort wieder ganz zu Hause, Ein Zuhause, um das uns die Welt beneidet und um das sie uns nach der Restaurierung des Theaters noch mehr beneiden wird.

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