6550798-1947_41_10.jpg
Digital In Arbeit

Oper und Oratorium

Werbung
Werbung
Werbung

In seiner Besprechung der Oper „Un-dine“ des Dichterkomponisten E. T. A. Hoffmann sagt Weber, daß die Oper zwar aus abgeschlossenen Teilen bestehen könne, daß diese aber als Teile des Gebäudes in der Anschauung desselben wieder verschwinden müßten. Diese Synthese ist Weber in seinem „Freischütz“ in noch vollendeterer Form gelungen als seinem Vorgänger. Und noch eine zweite Synthese bewundern wir in diesem Meisterwerk: das ursprünglich Volkstümliche, Naive wird nicht — wie in späteren Werken — als gleichsam exotischer Reiz angewendet, sondern ist in all seiner Unmittelbarkeit und Frische vorhanden. Eine weitere Bereicherung der musikalischen Palette bedeuten die besdiwingt-tänzerischen Arien, ein Element, das zur rein deutsdien Tonbewegung wird, welches früher, vor allem auf dem Gebiet der Oper, als ein Vorrecht romanischer Musik angesehen wurde. Nicht zuletzt verdankt der „Freisdiütz“ seine Lebendigkeit dem Umstand, daß die typisdien Charaktere der klassischen Oper zu individuellen, volkstümlichen Gestalten umgeformt wurden.

Man hatte uns eine Inszenierung angekündigt, die Schlimmes befürchten ließ, da „das Naturalistische stärker betont werden sollte“. Nun, es war nicht so arg damit. Daß man vom herkömmlichen Schema in Einzelheiten abwich, gereichte der Aufführung in der Volksoper nicht zum Nachteil. Einige Wirkungen, wie wir sie aus früheren Inszenierungen gewohnt waren und schätzten, ließ sich Josef Witt allerdings entgehen. Die günstige Ausnützung des Raumes (Bühnenbilder: W. Hößlin) gestatteten großzügige und vernünftige Chorbewegungen. Das Solistenensemble entsprach durchaus einer Aufführung von Niveau (Maria Reining, Henny Herze, Horst Taubmann, Marjan Rus, Walter Höfermeyer, Endre Koreh und Reinhold Siegert). Das Zusammenwirken zwischen Bühne und Orchester war nicht immer ganz reibungslos. Hans Knappertsbusch dirigierte und dehnte — nach gewohnter Manier — einzelne Teile bis an die Grenze des Erträglichen. *

Fünfzig Jahre später schuf Modest Mussorgksky seine Volksoper „C h o-wanschtschin a“, an der er von 1872 bis 1880 arbeitete. Sie behandelt einen Aufstand des Statthalters von Moskau, Fürst Chowanski, Anführer der Strelzen, und seines Sohnes, des jungen, zügellosen Andrei. Sie schildert zugleich die politischen und religiösen Spannungen in Rußland vor und nach dem Regierungsantritt Peters des Großen. Besonders eindrucksvoll gezeichnet ist Dosifei, das Oberhaupt der Altgläubigen, und die weibliche Hauptgestalt der Oper, Marfa, eine Anhängerin dieser Sekte, die — zusammen mit ihren Glaubensgenossen — im freiwilligen Flammentod ihren Glauben bekräftigen. Die konzertante Aufführung leitete Bogo Leskovic, der ein sehr unmittelbares Verhältnis zu dieser Art Musik mitbringt und — als Sdiüler von Prof. Marx — auch als Komponist Proben beachtenswerten Talents gegeben hat. Die Ausführenden waren das Tonkünstlerorchester, die Chorvereinigung der Volksoper, die Solisten Elena Nicolaidi, die eine besonders schöne Leistung bot, sowie Marjan Rus, Willy Franter, Endre Koreh und andere. Es war sehr interessant, das selten gehörte Werk kennenzulernen, das freilich die Meisterschaft des „Boris Godunow“ erst ahnen läßt.

Die Konzerthausgesellschaft eröffnete ihre diesjährige Spielzeit mit Claudels und Honeggers Oratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufe n“, das anläßlich seiner Wiener Erstaufführung beim 1. Internationalen Musikfest in der 23. Folge der „Furche“ eingehend besprochen wurde. Wirkte die erste Aufführung vor allem durch die fast niederschmetternde Wucht des gewaltigen Chor- und Orchesterapparats, so ermöglichte die zweite Darbietung eine eingehendere Betrachtung der Gesamthaltung und des ' kompositorischen Details. Zweifellos ist der Westschweizer Arthur Honegger der bedeutendste Syn-thetiker unter den lebenden Komponisten, der — keiner Schule und Ridrtung verschworen — durch die Kraft seiner Persönlichkeit die disparatesten Elemente zu binden vermag. Nicht durchweg ist die wünschenswerte Einheit des Stils erreicht, da die zahllosen charakteristischen Einzelheiten des Textes einen allzu häufigen und oft auch allzu plötzlichen Rf.gisterwechsel notwendig machen. Der Gesamteindruck bleibt jedoch ein positiver; die Meisterung des gewaltigen Klangapparats flößt Bewunderung ein. Die Wiener Symphoniker und das Chorensemble der Erstaufführung unter Paul Sacher musizierten nicht ganz mit der gleichen Präzision und Intensität wie anläßlich des Musikfestes. Die Umbesetzung einiger Solistenpartien gereichte dem Werk zum Vorteil.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung