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Orchester- und Chorkonzerte

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Der Wiesbadener Generalmusikdirektor Wolfgang S a w a 11 i s c h wurde von der Gesellschaft der Musikfreunde für einen Brahms-Zyklus verpflichtet. Auf dem Programm des 1. Konzertes standen: das Klavierkonzert d-moll aus dem Jahre 1858, die Haydn-Variatitfneft und die 1. Symphonie, also gewissermaßen die drei symphonischen Erstlinge von Brahms. Sawallisch liebt die Nuance: im Tempo, in der Dynamik, im Ausdruck. Das entspricht durchaus der Eigenart dieser Musik. Er hat aber auch das Gefühl für große Formen, ihre Entwicklung und ihre Architektur, und so gelingen ihm die kurzen Charaktervariationen ebenso wie die monumentalen Ecksätze der c-moll-Symphonie. Walter K 1 i e n als Solist des schwierigen, rhapsodisch beginnenden und stürmisch-flott schließenden Klavierkonzerts hat eine Meisterleistung vollbracht und wurde, gemeinsam mit dem Dirigenten und dem Orchester der Symphoniker, lebhaft gefeiert.

Das 3. Konzert des Zyklus „Die große Symphonie“ leitete der Bremer Generalmusikdirektor Heinz W a 11 b e r g : ein energischer und temperamentvoller Dirigent in mittleren Jahren, der zwischen Haydn (Oxford-Symphonie) und Tschaikowsky (V. Symphonie) die Erstaufführung von B a r t ö k s „Konzert für zwei Klaviere und Schlagwerk“ leitete. Es handelt sich bei diesem Werk um eine Orchesterfassung der 1937 geschriebenen „Sonate für zwei Klaviere und Schlagwerk“, die bereits 1938 von Bartök selbst hergestellt, aber erst 1943 in New York mit dem Komponisten am Flügel (es war sein letztes öffentliches Auftreten) uraufgeführt wurde. Bartök sagt selbst darüber: „Es schien ratsam, dem Werk eine Orchesterbegleitung hinzuzufügen, obgleich diese, wie festgestellt werden muß, keinen anderen Zweck erfüllt, als gewissen Teilen Farbe zu geben. Die Klavier- und Schlagzeugparts blieben praktisch unberührt, ausgenommen einige Höhepunkte, die nun dem Orchestertutti übertragen sind.“ Dem ist, was das Werk betrifft, nichts hinzuzufügen. Die Aufführung war hervorragend und einer Bartök-Premiere würdig. Das war nicht nur das Verdienst des Dirigenten, sondern auch der beiden Pianisten Brendel und Jenner sowie der tüchtigen Schlagwerker aus dem Orchester der Symphoniker (Bernstein, Witherer, Czeppa und Zamazal).

Paul Angerer stellte in seinem 2. Konzert mit dem Kammerorchester der Konzerthausgesellschaft zwei neue Werke zwischen zwei ältere. Die siebenteilige Suite aus dem Concentus musica instrumentalis von J. J. F u x soll, nach den Worten des Komponisten, „auch Zuhörern, die keine Musik verstehen, eine Befriedigung verschaffen“, und das tut sie auch. Die Serenade in A-dur von Brahms, aus dem gleichen Jahr wie das 1. Klavierkonzert, ist ein etwas schwerfälliges Divertissement. Der Verzicht auf die Violinen (zugunsten der Bläser) ist eine aparte Idee, aber nur für einen Satz, nicht für fünf, die 'ch, trotz geringer Dauer, beträchtlich in die Länge zieher. Um so kurzweiliger hören sich die letzten drei Stücke aus Hanns Jelin e k s „P a r e r g o n“ an, einer Suite für Kammerorchester nach fünf Klavierstücken aus dem Zwölftonwerk des Komponisten. Gavotte-Musette sind mit kecken Jazzeffekten versehen, und der Schlußmarsch, der wie eine Strawinsky-Parodie' klingt,- sichert allein schon den Applaus. — Sein „Capriccio“ op. 3 hat Theodor Berger bereits 1931 geschrieben, aber es zeigt schon die ausgeprägte Eigenart des Komponisten: das Motorische und Konzertante, das etüden-hafte Linienspiel der Stimmen und die aparte, orientalisierende Klangfarbe. Ein Stückchen jedenfalls, das man der Vergessenheit, der es Paul Angerer entrissen hat, nicht wieder überlassen sollte.

H. A. F.

Als Auftakt zum Haydn-Jahr veranstaltete der Wiener Staatsopernchor unter Heinrich H o 11 r e i s e r eine Aufführung des Oratoriums „Die Jahreszeiten“ mit den Solisten Hanny Steffek, Anton Dermota und Eberhard Wächter, dem Orchester der Wiener Symphoniker und Karl Pilß am Cembalo. Was in dieser großflächigen, dramatischer Zuspitzung zuneigenden Wiedergabe an liebenswürdigen (und geliebten) Detailwirkungen und -aus-malungen verlorenging, wurde durch die Unmittelbarkeit einer Al-fresco-Wirkung ersetzt, die lebendigsten Eindruck erzielte und überdies überzeugend bewies, wie alle dramatischen, textdeutenden und programmatischen Einfälle und Impulse Haydns den absolut musikalischen bedingungslos ein- und untergeordnet sind.

„11 cimento dell'armonia e dell'inventione“ (Der Wettstreit zwischen Harmonie und Erfindung) des „prete rosso“ Antonio Vivaldi umfaßt zwölf Konzerte für Violine oder Oboe und Streicher, die an zwei Abenden durch die „Virtuosen von R o m“ interpretiert wurden. Wir hörten den ersten dieser Abende, also immerhin zwölf Allegros und sechs Largos, aber es ist erstaunlich, welche Facet-tierungskunst diese formal und harmonisch typisch festgelegten Sätze belebt, einem Springbrunnen vergleichbar, im Gleichen niemals das Gleiche. Die Wiedergabe in ihrer Präzision und (ganz unakademischen) Exaktheit 'geschah tatsächlich von völlig aufeinander eingespielten Virtuosen, unter denen dem Oboisten Renato Zanfini zweifellos die Palme gebührt. Der Dirigent Renato F a s a n o hat weder große Gesten nötig noch eine „besondere“ Auffassung; in seinen sparsamen Zeichen sammelt sich bloß, gleichsam als Selbstkontrolle oder Präzisionsuhr, das Miteinander der musizierenden Professoren.

Die tausendste öffentliche Aufführung innerhalb ihres zwölfjährigen Bestehens — mit diesem Rekord konnte die Chorvereinigung „I u n g - W i e n“ aufwarten, beglückwünscht in Ansprachen des Unterrichtsministers und des Präsidenten des Oesterreichischen Sängerbundes. Ein Jubiläum dieser Art grenzt schon rein rechnerisch ans Unglaubliche, bedeutet es doch, durchschnittlich gesehen, sieben Konzerte pro Monat, für die, von allen Programmwiederholungen abgesehen, zur Probenarbeit keine Zeit mehr ersichtlich scheint. Dennoch ist das Singen dieser von Professor Leo L e h n e r geleiteten Schar von über hundert Stimmen von beispielhafter Sauberkeit und Exaktheit und — von den Schnellsprechübungen einiger Strauß-Walzer und -Polken abgesehen — von rühmenswerter Klarheit der Textaussprache. Daß die geistige Ausschöpfung ernster Werke, wie des ,;Schicksalsliedes“ von Brahms oder „Mirjams Siegesgesang“ von Schubert (mit Ilona Steingruber als Solistin) nicht bis ins letzte gelingt, darf bei diesem Arbeitstempo allerdings nicht wundern. Dagegen fanden Bruckners „Ave Maria“ und Händeis „Alle-luja“ vorbildliche Wiedergaben, die hinter den besten nicht zurückstehen. Das tausendste Konzert von „Jung-Wien“ war fast ausschließlich der Musik des alten Wien gewidmet.

Der Orchesterverein der Gesellschaft der Musikfreunde widmete ein von Milo von W a w a k geleitetes Konzert Brahmsischen Kompositionen. (Tragische Ouvertüre, Rhapsodie, 2. Symphonie.) Das aus Amateuren und Berufsmusikern gemischte Orchester erreicht technisch eine erfreuliche Leistungskraft, vermag jedoch zu einer künstlerisch gerundeten Homogenität des Klanges nicht durchzudringen, und auch die Intensität des Ausdrucks ist noch nicht zur überzeugenden Einheit gesammelt. Auch die Mitwirkenden: Arlette Chedel (Altsolo) und der Chorus Viennensis waren ihrer Aufgabe nur in etwa, nicht aber im Brahmsischen Sinne gewachsen.

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