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Orchesterkonzerte, Matthäus-Passion und Hohe Messe

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Der gemeinsame Nenner der Orchesterkonzerte waren die sechs „Brandenburg i-schen“. Ihre unterschiedliche Interpretation zeigte nicht nur Vor- und Nachteile verschiedener Besetzungen, sondern gestattet auch gewisse Schlüsse auf den Gesamtstil einzelner Dirigenten und Interpreten. Yehudi Menuhin leitete vom Pult aus das suitenartige 1. Konzert in F-dur. Hier wie in dem folgenden Violinkonzert in E-dur war der große Geiger durch die jhm anvertraute Gesamtleitung etwas gehemmt. Ganz frei spielte er erst im Tripelkonzert gemeinsam mit J. Niedermeyer und L. Kentner, der seinen Part leider nicht am Cembalo, sondern am Flügel exekutierte, dessen Klang man — nach den vorausgegangenen, mit Cembalo begleiteten Werken — als störend empfand. — Die Kantate „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ leitete Anton Lippe. Im Unterschied zu den beiden Solisten A. Poell und E. Majkut zeigte der Staatsopernchor nicht ganz die für diesen Stil nötige Beweglichkeit.

Volkmar Andreae stellte das 4. und das 5. Brandenburgisdie an den Anfang jedes der beiden Teile seines Konzerts. Er wählte eine mittlere Streicherbesetzung, die sidr als günstig erwies, und hielt durchwegs straffe Tempi, während Hans Andreae am Cembalo einen dem 5. Brandenburgischen durchaus angemessenen expressiven Stil bevorzugte. Im „Konzert für vier Klaviere“ bildeten die Pianisten Wührer, Demus, Matthews und Badura-Skoda eine breite, zuweilen mächtig daherdonnernde Phalanx, die im letzten Satz auch dsn vollkommenen „Gleichschritt“ erreichte, — Von den Solisten des „Magnificat“ sei vor allen anderen die englische Altistin Kathleen Ferrier hervorgehoben: eine große, wohlklingende und reine Stimme, wie wir sie viele Jahre nicht in diesem Fach gehört haben.

Der berühmte Komponist Paul Hindern i t n saß — wie vor etwa 30 Jahren als Bratscher im Amar-Quartett — an einem der Pulte und spielte, Musiker unter Musikern, den Violapart im 3. und im 6. Brandenburgischen Konzert Wer dieses Konzert erlebt hat, weiß mehr von Hindemith als aus der Lektüre einer ganzen Monographie; er wird vielleicht auch künftig gegen Pamphlete, die an die Adresse Hinderoiths gerichtet sind, aber nur wie Bumerangs den Kopf des Schreibers treffen, immun sein. Hindemith wählte die Originalbesetzung, ließ also im G. Brandenburgischen nur Violen, zwei Gamben, Cello und Continuo spielen. Der Gesamteindrudt war ebenso überzeugend wie die Interpretation der Suite in C-dur, welche das denkwürdige Konzert eröffnete. Hier gab e3 einmal keine Tempofragen, und man erinnerte sich mit Vergnügen an den Rat Pfitzners, den ein junger Dirigent gefragt hatte, wie er ein bestimmtes Stück spielen solle: ..Nehmen Sie einmal gar kein Tempo, junger Mann!“ Das überaus schwierige, instrumental oeführte Sopransolo der Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ sang Elisabeth Schwarzkopf mit unwahrsdieinlicher Virtuosität, der an keiner einzigen Stelle die vollkommene Schönheit des Tones zum Opfer fiel. Mit ihisr Koloraturen wetteiferte der ausgezeidmete Solotrompeter W. Stracker.

Ein musikalisches Ereignis besonderer Art war die Aufführung der „Kunst der Fuge“ duidi Hermann Scherchen in einer neuen, 1937 zum erstenmal aufgeführten „Instrumentalrealisierung“ durch den Sdiweizer Organisten und Musikwissensdiaft-ler Roger Vuataz. Der Bearbeiter folgt, der Anordnung seines Landsmannes Wolfgang Graeser und geht bei der Instrumentierung für zwei verschieden besetzte Streichorchester, Streichquartett und ein kleines Holzbläserensemble von der Klangvorstellung einer viermanualigen Orgel aus. Die Idee ist erwägenswert, die Realisierung nicht ganz geglückt, so daß wir der Bearbeitung für vier Violen, die an dieser Stelle vor kurzem besprochen wurde, den Vorzug geben. Dieses hochspirituelle Alterswerk widersetzt sich auf eine geheimnisvolle Art jeder „Realisierung“ — und damit auch der Ansiedlung im Konzertsaal. Die Leistung des Dirigenten, der ohne Noten vor dem Orchester stand, war bewunderungswürdig. Ebenso die der Symphoniker, von denen jeder einzelne sich als vollgültiger Solist bewährte.

Mit zwei Aufführungen in großer Besetzung wurde die Reihe der Chorkonzerte beschlossen. Was überhaupt durch gründliches Einstudieren, Präzision, Eindringlichkeit und Wucht der Darstellung — gleichsam als Gegengewicht für die Nachteile eines großen Apparats — in die Waagschale geworfen werden kann: Herbert von Karajan und sein Ensemble besitzen diese Voraussetzungen in höchstem Maß. Allen Ausführenden der „M a 11 h ä u s - P a s s i o n“, voran dem Singverein, kann nur höchstes Lob gespendet werden. Aber wir sind in großer Verlegenheit: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen?“ Beschränken wir uns deshalb auf das Quintett Seefried-Ferrier-Ludwig-Edelmann-Schöffler und heben wir als Bestleistungen die der Altistin und des Tenors hervor. Sehr gut bewährte sich auch, vor allem klanglich, das neue (einmanualige, pedallose) Orgelpositiv an Stelle des Cembalos; dagegen vermochte die Spielweise A. Heillers nicht ganz zu überzeugen. Kleine, durch den Dirigenten verursachte Schönheitsfehler, wie einige zu leise und gleichmäßig begleitete Arien oder zu schnell und flüchtig ausgeführte Verzierungen nahm man bei dieser Aufführung gerne mit in Kauf.

Der Kontrapunktiker Bach erreicht in der „Kunst der Fuge“ die Höhe der Meisterschaft; der Dramatiker und Expressivomusiker spricht in den beiden authentischen Passionen am eindringlichsten zu uns. In der Hohen Messe in h-moll sind alle Fähigkeiten Bachs auf der höchsten Ebene vereinigt. — Uber 80 Proben waren der Aufführung, mit welcher das Bach-Fest seine Krönung fand, vorausgegangen, und wir werden dieses Werk künftig nicht mehr hören können, ohne Vergleiche mit der Aufführung des Singvereins und der Symphoniker unter Karajan anzustellen: mit der Präzision und Beweglichkeit der Chöre, die aus lauter Solisten zu bestehen schienen, mit der Schönheit und Ausgeglichenheit des Begleitorchesters, mit der Vollkommenheit der Sopran- und Altpartien durch Elisabeth Schwarzkopf und Kathleen Ferrier, die sich in einigen Duetten in fast überirdischem Wohllaut vereinigten (Walter Ludwig, Paul Schöffler und Alfred Poell waren die Träger der übrigen Solopartien). — Sollen auch innerhalb dieser Hochleistung noch besondere musikalische Höhepunkte aufgezeigt sein, dann müßte man wohl an die Soprane — „et in terra pax“ —, an das gewaltige „Confiteor“ und die letzte Altarie, das „Agnus Dei“, erinnern, dem das eindringliche und zuversichtliche Gebet des Chors um Frieden folgt. (In einem Schlußreferat werden wir über einige kirchenmusikalische sowie am Rande des Bach-Festes stattgefundene Aufführungen berichten und einen kurzen Rückblick auf das Programm und seine Ausführung tun.)

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