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Petruschka und die große Sängerin

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Im Jahre 1910 hatte Igor Strawinsky in St. Petersburg die Partitur zu dem Ballett „Der Feuervogel" beendet, das Serge de Diaghilew in Paris mit seiner Truppe aufführen wollte. Der große Erfolg des Werkes bewog den Initiator, Leiter und Mäzen des „Ballet russe“, ein zweites Stück bei Strawinsky zu bestellen. Der Plan zu einer heidnisch-rituellen Frühlingsfeier tauchte auf und wurde besprochen. Das sollte die nächste gemeinsame Arbeit werden. Inzwischen aber drängte sich dem Komponisten die Idee zu einem Konzertstück auf. Bei dieser Arbeit verfolgte ihn hartnäckig die Idee von einer Gliederpuppe, die plötzlich Leben gewinnt und durch ihre kapriziösen Sprünge (die von einem Soloklavier dargestellt werden sollten) so sehr die Wut des Orchesters erregt, daß es ihrem tollen Treiben zunächst mit gellenden Fanfarenstößen antwortet und; schließlich, naeh’’ei«em gToß’en Durch-1 einander, den Hampelmann erschlägt. — Diaghilew war zuerst enttäuscht, daß ihm Strawinsky statt des besprochenen und bestellten Balletts eine Art Konzertstück für Orchester und Klavier anbot. Aber bald erkannte er die choreographischen nnd szenischen Möglichkeiten, die in diesem Musikstück lagen, und veran- laßte den Komponisten, weitere Teile zu schreiben und gemeinsam mit einem Librettisten die Idee von der Gliederpuppe, für die Strawinsky den Namen „P e- truschka" fand, auszuführen. Kasperl, Pierrot, Pulcinella. Petruschka — das ist der eine Name für den tragisch-grotesken Helden aller jahrmarktspiele und wurde der Titel eines der originellsten und erfolgreichsten Ballette unserer Zeit.

„Der Feuervogel’, dessen Musik ohne Rimsky-Korssakow und den französischen Impressionismus nicht denkbar wäre, zeigt Strawinsky am Vorabend des Ruhmes. In dem neuen Werk •- „Petruschka" — ist die Handschrift des Komponisten unzweideutig ausgeprägt. Hier erfolgt jene Lösung vom Impressionismus, hier finden wir jene zeichnerische Klarheit und jene harten Farbkontraste, die für das gesamte Werk Sträwinskys charakteristisch sind. Damals. 1911. verschmähte er auch Anleihen bei der russischen Folklore nicht. Neben Volksliedern und Balalaikameiodien

finden wir in der „Petruschka“-Partitur auch eine Pariser Drehorgelmelodie und eine Walzerweise aus Lanners „Steirischen Tänzen“. Die Premiere (13. Juni 1911) am Chateiet-Theater wurde ein großer Erfolg für alle Beteiligten: für den Komponisten !n erster Linie, aber auch für den Choreographen Fokin, für Nijinsky in der Titelrolle und die Karsawina als Ballerina, für den Bühnenbildner Benois und den Dirigenten Pierre Monteux.

Seinen jugendfrischen Elan erwies ..Pe- truschkä", aus dem Strawinsky bald nach

der Uraufführung als Ballett eine Konzertsuite exzerpiert hat, in einem Konzert der Musikalischen Jugend unter der Leitung des jungen indischen Dirigenten Zubin M e h t a, der an der Wiener Mu-

sikakademie ausgebildet worden ist und dessen Name in den nächsten Jahren vermutlich noch ott genannt werden wird. Mit seiner sicheren und suggestiven Schlagtechnik, seinem Temperament und seiner offenkundigen Musikalität hat der junge Inder alle Voraussetzungen füt eine internationale Dirigentenkarriere. Die Wiener Symphoniker haben die „Petruschka Suite" intensiv und präzis vorgetragen, obwohl die Neufassung der Partitur, die Strawinsky 1947 in Amerika vorgenommen hat, den Gesamteindruck eher schwächt — Die angestrebte Durchsichtigkeit der Partitur geht oft auf Kosten der Klangschönheit und des Atmosphärischen, die Partien der Bläser und der Streicher wurden an mehreren Stellen vertauscht, die Notierung wurde vereinfacht, was die Spielbarkeit erleichtern mag, der Klavierpart (Otto Zykan) reduziert.

Während des zweiten Teils dieses Konzerts (Johannes Brahms, 2. Klavierkonzert mit Alfred Brendel als Solisten) besuchten wir den Klavierabend Von Hans Kann nebenan im Brahmssaal und hörten — in merkwürdig glatter, zurückhaltender, aber nicht unpoetischer Interpretation — drei Stücke von Franz Liszt („En Rêve”, „Au bord d’une source" und die einsätzige „Sonate h-moll" von 1852 53).

Im vollbesetzten Großen Musikvereinssaal gab Elisabeth Schwarzkopf einen Liederabend. Wir haben die Interpretationskunst diesei überragenden Liedersängerin an dieser Stelle zuletzt anläßlich ihres Salzburger und ihres Wiener Hugo-Wolf-Konzerts gewürdigt. Diesmal sang Elisabeth Schwarzkopf, von Heinrich Schmidt begleit, je eine Liedgruppe von Schubert, Brahms, Schumann und Hugo Wolf, insgesamt 22 Lieder.

Die Auswahl war klug getroffen und erreichte im ersten Teil zwei Höhepunkte mit „Du bist die Ruh’“ (Schubert-Rückert) und „Immer leiser wird mein Schlummer" (Brahms-Lingg), während der ganze zweite Teil aus Höhepunkten bestand (mit vier Schumann-Liedern aus „Wilhelm Meister“ und sieben humoristischen Hugo-Wolf- Liedern). Über die Virtuosität der Sängerin Elisabeth Schwarzkopf braucht wohl nichts mehr gesagt zu werden. Ihre Liedkunst hat drei „geistige“ Komponenten: das absolute Textverständnis, eine seismogra- phisch reagierende Sensibilität und eine hochentwickelte musikalische Intelligenz, mit der die Sängerin erspürt, worauf es der Komponist jeweils angelegt hat.

Solche Fähigkeiten und Qualitäten kommen natürlich jedem Meister, jedem Lied zugute. Vor allem aber ist die sensible.

de Ausdruck kaleidoskopisch wechselnde und differenzierende Vortragsart von Elisabeth Schwarzkopf der Liedkunst Hugo Wolfs angemessen. (Bei Schubert vor allem entstehen — keineswegs reizlose — „Verfremdungen", etwa in „Lachen und Weinen“, während der „Fischerweise“ auf einen Text von Schlechta auch die raffinierteste Vortragskunst nicht zu helfen vermag.) So wie alles, was Wilhelm Furt- wängler interpretierte (auch das 5. Bran- denburgische Konzert von Bach, auch die Jupiter-Symphonie oder die „Pastorale“), nach Brahms klang, so könnte alles, was Elisabeth Schwarzkopf singt, von Hugo Wolf sein. Wir meinen nicht, daß dies ein Fehler sei, sondern signalisieren es als das Charakteristikum eines sehr ausgeprägten, sehr persönlichen Vortragsstiles.

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