Polizei, Puccini und Pistolenschüsse

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"Welche Charaktere sich hinter den einzelnen Protagonisten tatsächlich verbergen, wie vielschichtig sie sind, das ließ Sturmingers Inszenierung von Puccinis 'Tosca' offen."

Zuweilen beginnen Missverständnisse, ehe ein Werk zum ersten Mal aufgeführt worden ist. "Wo ist der Puccini der edlen, warmen und starken Inspiration?", ereiferte sich sein Verleger Ricordi, als er "Tosca" erstmals zu Gesicht bekam. Er war nicht der Einzige, der mit dieser Oper nichts anzufangen wusste. Für den renommierten Kritiker Julius Korngold hatte sich Puccini hier gar mit "Blut befleckt". Auch die Kritiken der Uraufführung im Jänner 1900 an der Römischen Oper fielen alles andere als euphorisch aus. Offensichtlich, weil man sich anderes erwartet hatte. Das hatte man sich auch bei den Salzburger Osterfestspielen.

Einmal wolle er das Werk, das er bisher nur im Repertoire aufgeführt hatte, in einer eigenen Produktion dirigieren, nannte Christian Thielemann, der Künstlerische Leiter dieses Festivals, als Grund, weshalb man an der Salzach dieses Jahr auf diesen Puccini gesetzt hatte. Entsprechend intensiv hatte er mit seinem Orchester, der exzellent aufspielenden Staatskapelle Dresden, gearbeitet. Aber präzises, sich durch subtile Klangvaleurs auszeichnendes Spiel garantiert noch lange keinen idealen Puccini. Da bedürfte es noch einer Spur Leichtigkeit, einer steten natürlichen Artikulation und Phrasierung. Genau diese Selbstverständlichkeit vermisste man, so differenziert und plastisch-leuchtend zahlreiche Details auch glückten. Aber mitreißende Spannung, aufrüttelnde Momente, die stellten sie kaum je in dem Maß ein, wie wenn Thielemann sich seiner "Säulenheiligen" annimmt: Richard Strauss, vor allem Wagner. Letzteren avisieren die Osterfestspiele übrigens für nächstes Jahr: "Die Meistersinger von Nürnberg".

Billig und reißerisch

Wie dann die Regie ausfallen wird, für die man Jens-Daniel Herzog engagiert hat? Wird auch er so viele Buh-Rufe in Kauf nehmen müssen, wie diesmal im Großen Festspielhaus zu hören waren? Sie galten unmissverständlich Michael Sturminger und seinem Team, die offenkundig ihre Ideen nicht entsprechend plausibel machen konnten. "Ein Überraschungsmoment, etwas Unerwartetes hingegen steigert die Aufmerksamkeit des Betrachters und Zuhörers und lockt ihn gleichsam aus seiner Komfortszene", formulierte der aus Wien stammende Regisseur, der auch Erfahrung als Librettist und mit Film hat, sein künstlerisches Credo.

Daran, dass man ein Sujet in die Gegenwart führt, werden sich gewiss die Wenigsten gestoßen haben. Solches erwartet man heutzutage beinahe schon von jeder neuen Produktion! Das aber bedeutet nicht, dass man zu Deutungen greifen muss, die sich nicht aus dem Stück erschließen. So wird man gleich zu Beginn mit einer mehrfach tödlich endenden Polizeiaktion in der Tiefgarage (sic!) einer Kirche konfrontiert. Billig und reißerisch zugleich, Scarpia im zweitem Bild auf einen Hometrainer zu setzen. Vor allem, wenn man diesen hinterhältig-fiesen Charakter mit dem mittlerweile längst verstorbenen italienischen Politiker Giulio Andreotti in Kontext bringen will, um so die unheilvolle Allianz von Politik und Mafia zu geißeln. Scarpia verliert in dieser Produktion sein Leben übrigens nicht durch Messerstiche Toscas, sondern überlebt vorerst, stellt ihr schließlich auf der Engelsburg nach und tötet sie mit Pistolenschüssen. Ob auch Scarpia an ihren Schüssen stirbt, lässt diese Szenerie, die auch offensichtlich missbrauchte Kinder aus einem katholischen Internat zu Pistolenschützen macht, offen.

"Genialer, hochpsychologischer Soundtrack"

Nicht das Einzige, was den Betrachter, um mit Sturminger zu sprechen, aus seiner Komfortzone locken sollte. Allerdings: Welche Charaktere sich hinter den einzelnen Protagonisten tatsächlich verbergen, wie vielschichtig sie sind, das ließ seine im Übrigen auch nicht sonderlich vom Gedanken einer Personenführung getragene Inszenierung offen. Das führte dazu, dass Cavaradossi (in beiden Vorstellungen alternierend gegeben von Aleksandrs Antonenko und Hector Sandoval) fast zur Nebenfigur diminuierte, Scarpia und Tosca umso mehr in den Vordergrund drängten.

Auch ihre prominenten, vom Orchester meist differenziert getragenen Darsteller, Anja Harteros und Ludovic Tézier, schienen ihr jeweiliges Empfinden kaum preisgeben zu dürfen, blieben selbst in den heftigsten Momenten geradezu übertrieben darauf bedacht, nicht zu viel von ihrem Seelenleben nach außen zu tragen. Weil es sich bei Puccinis "Tosca" ohnedies nur um einen "genialen, hochpsychologischen Soundtrack" handelt, wie man im Programmbuch lesen kann? Dann bitte gleich einen reißerischen Krimi aus diesem Sujet machen und den Mut haben, diese Produktion unter diesem Blickwinkel anzukündigen.

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