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Requiem chorale, Antigonae, Wagadu

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Es darf als ein Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens betrachtet werden, daß Johann Nepomuk David sein neuestes großes Chorwerk der Wiener Singakademie und ihrem Leiter Hans Gillesberger zur Uraufführung anvertraut hat. Nach der „Deutschen Messe” und der „Missa choralis” verwendet David in seinem achtteiligen, etwa 70 Minuten dauerndes „Requiem chorale” zum erstenmal auch Solostimmen und ein Orchester mit größerem Streichensemble, doppelter Bläserbesetzung und differenziertem Schlagwerk. Sehr charakteristisch ist der Gegensatz von ganz mit dem inneren Ohr gehörten Partien und solchen von recht realistischer Faktur. Das ergibt, bei einer Komposition, die „in liturgischer Meinung” geschrieben wurde, gewisse stilistische Ueberschneidungen, auf die wir demnächst näher eingehen werden. Jedenfalls widerlegt David mit diesem Werk das ihm seit vielen Jahren angeheftete Etikett vom „Klangasketen” und vom nur rückwärts gewandten „Gotiker”. Das Publikum war von Werk und Wiedergabe stark beeindruckt und feierte den Komponisten im Kreis der Ausführenden mit langanhaltendem Beifall. Es spielten die Wiener Symphoniker; die nicht sehr umfangreichen, aber schwierigen Soli sangen Teresa Stich-Randall, Marga Höffgen, Julius Patzak und Frederick Guthrie. — Ein avis aux chanteurs: das „Requiem chorale” ist stur durch große und leistungsfähige Ensembles ausführbar, denen eine entsprechende Probezeit zur Verfügung steht.

„Symboli chrestiani” nennt der in Paris lebende russische Komponist Nicolas Nabokov eine siebenteilige Kantate für Bariton, Streicher, acht Bläser und Schlagwerk. Aehnlich wie David beginnt Nabokov in einer fast abstrakten, hochspirituellen Sprache, mündet aber dann, nach dem Introitus II, nicht in Realismus, sondern in eine fast volkstümliche, durch früheste Gregorianik, griechische und byzantinische Elemente bestimmte Melodik. Die Partitur zeigt die stets klare und übersichtliche Handschrift eines hochkultivierten Musikers, der sich zwar zur Aesthetik des von ihm verehrten Meisters Strawinsky bekennt, dessen Tonsprache aber durchaus eigenständig ist. (lieber die von Nabokov ausgewählten Texte und die durch sie symbolisierte geistige Welt werden wir uns an dieser Stelle ebenfalls noch in einem größeren Zusammenhang äußern.) Hermann Prey, der die Baritonpartie der „Symboli chrestiani” sang, war auch der Solist von Hans Werner Henzes „Neapolitanischen L Leder n”, in denen dem Komponisten eine sehr reizvolle und ansprechende Legierung von Italienisch- Folkloristischem und Dodekaphonik gelungen ist. — Massimo F r e c c i a leitete diese beiden Erstaufführungen mit gelenkiger Hand und erwies sich in Schumanns 4. Symphonie und in Ravels 2. Suite aus „Daphnis und Chloe” als ein überaus sensibler und temperamentvoller Dirigent. Es spielten die Wiener Symphoniker.

Die festliche Opernaufführung dieser Wochen fand nicht in der Staatsoper, sondern im Großen Konzerthaussaal statt. Hier leitete Heinrich H o 11 r e i s e r ein aus Mitgliedern der Symphoniker bestehendes Instrumentalensemble (vier Klaviere — statt der vorgesehenen sechs —, je sechs Flöten, Oboen und Trompeten, Harfen, Kontrabässe und großes Schlagwerk), das die Orffsche Begleitmusik zu Hölderlins „Antigeną e”-Nachdichtung machte. Dieses bedeutendste und originellste Werk Carl Orffs wurde anläßlich seiner Uraufführung während der Salzburger Festspiele an dieser Stelle ausführlich besprochen. Wir beschränken uns daher auf die Würdigung der spannungsreichen und eindrucksvollen Wiedergabe. Hermann U h d e bot als Kreon eine wahrhaft königliche Leistung, der die von Christel Goltz, wenn wir von der geringen Wortverständlichkeit ihres Vortrags absehen, nur um wenig nachstand. Marilyn Horne, Helmut Krebs, Waldemar Kmentt, Ivo Zidek, Josef Greindl, Ilona Steingruber und Alfred Poell sangen die übrigen Partien. Der Wiener Staatsopernchor war von Richard Roßmayer einstudiert.

Wenig Erfreuliches ist von dem Scala-Gastspiel mit Verdis „Traviata” zu berichten, die von Herbert v. Karajan dirigiert wurde. Die Spielleitung Mario Frigerios bewegte sich in ausgefahrenen Geleisen. Mit den Dekorationen Lila de Nobiles, die im Stil der Zeit (freilich mehr Makart als zweites Kaiserreich) gehalten waren, konnte man sich eher anfreunden als mit den etwas schäbig wirkenden Kostümen. Die Beste in dem italienischen Ensemble war die schöne Rumänin Virginia Z e a n i mit der wohllautend-weichen Stimme. Rolando P a n e r a i als Geromt bot stimmlich und darstellerisch als Pėrė noble eine schöne, runde Leistung, während Gianni Raimondi einen wenig glanzvollen Liebhaber agierte. Alles übrige war zweite KIa:=e zu erhöhten Preisen.

Virtuose Orchestermusik unter der Leitung des Klangzauberers Leopold Štoko wsky hörten wir in einem Konzert der Wiener Philharmoniker: drei Sätze aus Manuel de Fallas Ballett „D e r D r e i s p i t z”, Strawinskys „Feuervogel”- Suite und Debussys „Trois Nocturne s”. Im letzten dieser drei Stücke, den selten aufgeführten „Sirėnes”, zeigte sich Stokowskys Meisterschaft am überzeugendsten. Fast immer, auch auf sonst guten Schallplattenaufnahmen, pflegen die Damen des dreistimmigen Frauenchores an bestimmten Stellen schrill zu schreien; Aber das tun Sirenen nie. Unter Stokowskys Leitung sangen sie so zauberhaft weich, daß man die Sorge des Odysseus um seine Gefährten — zum erstenmall — voll und ganz verstand. Von jenem sagenhaften Ohrenwachs wünschte man sich ein wenig, als Kurt L e i m e r sein 4. Klavierkonzert herunterdonnerte. Von der Komposition ist zu sagen, was Honegger einmal über ein weit besseres Variationenwerk geäußert haben soll: „Qa ne commence pas, ęa ne finit pas — mais ęa dure”

Eines der anregendsten und gelungensten Konzerte dieses Musikfestes fand in kleinerem Rahmen, im Mozartsaal, statt. Unter der künstlerischen Leitung von Erik W e r b a, der auch am Klavier begleitete, hörten wir drei selten aufgeführte Werke. Benjamin Britten vertonte eine der biblischen Handlung folgende dramatische Szene zwischen Jehowa, Isaak und Abraham. Seine Kantilene reicht stilistisch von „The Rake’s Progress” bis Menotti. Daneben wirken Bartoką acht ungarische Bauernlieder wie ein Trunk aus einpr rqinen, frischen Quelle. Ąus jßieser schöpft auch janäcek in seinem Liederzyklus „Tagebuch eines Verschollene n”. Aber es ist — das muß bei allem Respekt vor diesem oiiginellen Musiker gesagt werden — auch ein trübender Tropfen aus dem romantischen Zauberbecher in dieser Musik. Ivo Zidek sang mitreißend dramatisch und mit metallen-tenoralem Timbre die ungewöhnlich schwierige Solopartie, während Hilde Rössel-Majdan, seine Partnerin, sich schon vorher in den in der Originalsprache vorgetragenen Bauernliedern Bartöks ausgezeichnet hatte. Sie und Julius Patzak erfreuten nicht nur als hochintelligente musikalische Interpreten, sondern auch als Sprachphäno- mene. (Das Canticle II „Abraham and Isaac” Von Britten wurde Englisch gesungen.)

Zum Erfreulichen des 8. Internationalen Musikfestes gehört auch das von der Konzerthausgesellschaft herausgegebene und von Karl Fellhofer graphisch gestaltete Programmheft. Es enthält sorgfältig kommentierte Programme, sämtliche Texte (in einer separaten Dünndruckbeilage) und zahlreiche, zum Teil farbige Bilder sowie Graphiken. Unseres Wissens ist dieses elegant-modern und geschmackvoll edierte Programmheft das erste seiner Art in Wien, und man wünscht sich, daß andere Veranstalter diesem Beispiel folgen mögen.

Unter den zeitgenössischen Chorwerken des Musikfestprogramms möchten wir dem Ora.torium von Wladimir Vogel „Wagadus Untergang durch die Eitelkeit” die Palme reichen. In aller seiner subtilen Gliederung der gespielten, gesungenen und gesprochenen Kontrapunkte wahrt es große Linie und Wirkung auf breiter Grundlage, und die Spielmannsgeschichten der Sahel sind uns plötzlich menschlich nahe wie unsere heimischen Sagen. Gliederung und Wirkung wiederholen sich im Instrumentalen gleich intensiv: fünf Saxophone und eine Klarinette sind ein großes Orchester mit tausend Klängen und Farben und von unerhörter Charakteristik in der Hand des Wissenden. Nirgends art pour art, immer Ausdrucksmittel des Geistes und immer verständlich oder doch unmittelbar ansprechend, wenn auch mit feinster Kultur und feinstem Geschmack. Das Werk, im Bombenhagel vernichtet, wurde nach einigen vorhandenen Skizzen vom Komponisten rekonstruiert und erweist sich als zeitlos jung, als bereichernd für die Gattung des Oratoriums, die unter den neueren Komponisten nicht viel brauchbare Schöpfungen aufweist. Die Wiedergabe war von einer Präzision, die fast nicht mehr zu übertreffen ist. Man spürte die Sorgfalt eines Studiums, für die in Wien die Zeit verlorengegangen scheint. Unter den Solostimmen möchten wir zuerst Barbara Peyer nennen, deren großer, dunkler Alt wohl die ruhigeren Partien bevorzugt, aber auch im dramatischen, bis zum Sprechton reduzierten Ausdruck voll und überzeugend wirkt. In gleicher Vielseitigkeit der Tönung Ilse Wallerstein und. Derrick Olsen und als vieltönige Solisten der S t. - G a 11 e r Kammerchor wie der Kämmers p re c-h- chor Zürich. Das (erweiterte) Saxophonquartett Marcel Mule, Paris, erwies sich, wie bereits gesagt, als höchst variables, nuancenreiches und einheitliches „Orchester”. Alle Klangkörper wußte der Dirigent Werner Heim mit ebensoviel Umsicht als Vitalität einzusetzen und aufeinander abzustimmen.

Das Programm des 1. Chorkonzertes (Wiener Kammerchor unter Hans Gillesberger) beherrschte als stärkstes Werk die „T e n t a t i o Jesu” von Anton Heiller. An Größe der Inspiration, an Kunst der Form und des Ausdrucks sowie an Unmittelbarkeit der Wirkung wurde es von keinem der anderen Chorwerke dieses Abends erreicht, unter denen das Goethe-T riptychon von Ernst T i 11 e 1 eine immerhin gravierende Stellung einnimmt, während die Chöre von Josef Friedrich Doppelba u e r durch ihre Volkstümlichkeit, die Spottlieder von K. A. H u e b e r und die Fröhlichen Tiersprüche von Augustin Kubizek durch ihre Humorigkeit auflöckernd wirkten. Gleichsam wie Unterglasmalereien, klar und kühl, wirken die Deutschen Psalmen von Erich Romanowsky. Als ein teilweiser Querschnitt durch das zeitgenössische Chorschaffen der Heimat war der Abend bedeutsam im Programm des Internationalen Musikfestes.

Von den mannigfaltigen praktischen Wiedergabeversuchen der „Vespro della beste Vergine” von Claudio Monteverdi (Erstdruck 1610) darf der durch Orchester und Chor des Bayerischen Rundfunks unter Eugen Joch um als der bisher gelungenste gelten, was die dafür geschriebene Bearbeitung durch H. F. Redlich betrifft, die auf den Urtext von 1599 zurückgeht. Ist es an sich von bedeutender Schwierigkeit, den Stil Monteverdis in seinem Wechsel von konzertant und liturgisch zu einer, Einheit , zu binden, .erscheint diese Schwierigkeit innerhalb des einheitlichen liturgischen Textes noch potenziert. Die Lösung, das Hauptgewicht auf die konzertante Komponente zu legen, erwies sich als die richtige für die konzertante Wiedergabe, und einer Einheit am nächsten, die denn auch, durch die Wiedergabe erreicht wurde. Eine Reihe namhafter gesanglicher und instrumentaler Solisten (wir möchten für die ersteren Herta Topper, Alt, für die letzteren Margarethe Scharitzer, Cembalo, nennen und alle anderen einschließen) wuchs ebenso wie Chor und Orchester in die Großartigkeit des Werkes beglückend hinein, das besonders in seinem zweiten Teil von einmaliger Schönheit und Tiefe der Wirkung ist. Die „Sonata über Sancta Maria” und das „Magnificat” könnten für sich allein als Hauptpummern eines anspruchsvollen Konzertes stehen.

Nicht zum erstenmal verbindet Josef Krips den symphonischen Erstling Beethovens und die Krone seiner Symphonien zu einem Konzertprogramm. Welch ungeheurer Raum geistiger und künstlerischer Entwicklung zwischen dem Haydnschen Rokoko und der zeitlosen Weltschau des letzten Beethoven tut sich dem inneren Auge auf, eine Dynamik von unmeßbaren Ausmaßen. Die durch ein solches Programm an den Dirigenten gestellten inneren Anforderungen weiß Krips überzeugend zu meistern. Seiner Interpretation fehlt nicht das „Zwischen-den- Werken”, das erst die Grundstimmung für die Aufnahme der „Neunten” schafft. Die Solisten Vilma Lipp, Elisabeth Höngen, Dermota und Edelmann bil- , deten in geschlossener Einheitlichkeit, in der Dermota führte, das wunderbare Wortergreifen aus dem Instrumentalen, der große Chor des Singvereins und das Orchester der Symphoniker waren in beherrschter Lebendigkeit und Unmittelbarkeit von ebenso großer Leistung wie in Präzision und Dynamik.

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