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Requiem und Oper

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Unsentimental, in Brahmsischer Verhaltenheit und reich an inneren Spannungen war die Wiedergabe des Deutschen Requiems unter Joseph K e i 1-b e r t h im Musikyerein. Der gebändigten Expression entsprach eine außerordentlich klare formale Gestaltung. Gegen die plastische Prägung der großen tragenden Linien traten manche Details entsprechend zurück, einer gewissen protestantischen Strenge wurde manches an blühender Romantik geopfert — was, richtig gesehen, wieder echt brahmsisch ist und dem Werke einen gleichsam liturgischen Ton verlieh. Elfriede Trötschels außerordentlich gut geführter Sopran und Otto Edelmanns dunkel getönter Baß lockerten die Strenge im subjektiven, nicht aber im formalen Sinn. Der Präzision der Chöre und besonders des Orchesters (Singverein, Symphoniker) wurden allerdings einige dynamische Ueberspannungen abträglich, die Franz Schütz (Orgel) klug zu vermeiden verstand. Franz Krieg *

Im 2. Orchesterkonzert mit amerikanischer Musik stellte William Strickland — außer der im 1. Konzert bereits aufgeführten Mary Howe (vgl. „Furche“ vom 26. Februar 195?), drei weitere Komponisten aus den USA vor, von denen der jüngste, Robert Ward, mit einer „Jubelouvertüre“ den besten und echtesten Eindruck machte (tänzerische Rhythmen und weitgeschwungene Songmelodien, die im großen symphonischen Stil begleitet werden). Tibor S e r 1 y, der Bartök während dessen amerikanischem Exil nahestand, beginnt sein Konzert für zwei Klaviere recht konventionell, wird aber von Satz zu Satz interessanter und kommt an einigen Stellen in die Nähe von Bartöks „Musik für Saiteninstrumente“, zumindest im Klang — Henry C o w e 11, der ehemalige Revolutionär im Gefolge der Futuristen, ist recht zahm geworden. In seiner 7. Symphonie für kleines Orchester ist ihm allenfalls in dem penta-tonischen Andante ein Charakterstück gelungen, das im Ohr bleibt, wenn's auch ein wenig an die Begleitmusik in einem türkischen Bad erinnert. — „Castellana“ von Mary Howe basiert auf spanischen Volksthemen, die recht effektvoll, aber doch eher im Stil der Unterhaltungsmusik aneinandergefügt und paraphrasiert werden. Hier und in dem Konzert von Serly lernte man zwei fingerfertige und rhythmisch genaue amerikanische Pianisten kennen, Celius Dougherty und' Vincenz Ruzicka. die sich drüben als Pioniere moderner Musik für zwei Klaviere durch zahlreiche Erstaufführungen einen Namen gemacht haben.

Die junge polnische Geigerin Wanda Wilko-m i r s k a, noch in guter Erinnerung als Solistin des pompös-schwierigen Violinkonzerts von Carol Szy-manowski, spielte auch an ihrem Soloabend im Brahmssaal zwei Kompositionen dieses bedeutendsten und faszinierendsten polnischen Meisters der älteren Generation („Narziß“, eine höchst raffinierte symphonische Dichtung en miniature für Violine und Klavier und eine weniger geglückte Bearbeitung einer Tanzszene aus dem Ballett „Harnasie“). Fünf gefällige Stücke von Prokofieff standen zwischen der allzugefälligen Romanze von Rachmaninow und einer brillanten Sonatine von Suchon. Das Schwerste aber leistete die junge Künstlerin in der Ouvertüre, zu der sie sich Bachs Sonate d-moll mit der Chaconne ausgesucht hatte Der Vortrag von Wanda Wilkomirska ist brillant und zuweilen temperamentvoll: ein kaltes Feuer Gefühl und Leidenschaft treten nicht unmittelbar zutage — was sie bekanntlich in der Kunst auch gar nicht sollen. Trotzdem ist da, m ihrem Spiel, gewissermaßen ein weißer Fleck. Was ihr noch fehlt, wahrscheinlich fehlen muß, ist Reife, Persönlichkeit, Kultur.

Ins Theater an der Wien ist soeben aus der Volksoper „F r a D i a v o 1 o“ von A u b e r übersiedelt, mitsamt der schönen Terrasse und Zerlinens Kämmerchen aus dem Gasthaus von Terracina. Hinzu kamen ein neuer blendend-blauer Rundhorizont, neben dem der Azur des Südens verblaßt, und ein nicht minder blendender Marquis von San Marco, der auch den Räuberhauptmann Diavolo zu spielen und zu singen hat: Per Gründen. Begreiflich, daß er ein Auge auf Pamela Cookburn-Sonja Mottl geworfen hat und daß der reisende Lord, Eberhard Wächter, sehr eifersüchtig wird. Das zweite lebhaft agierende und schön singende Paar ist Emmy Loose als Zerline und Waldemar Kmentt als Offizier bei den römischen Dragonern. Die beiden Banditen Beppo und Giacomo (Jaresch und Dönch) schienen, ihrer Adjustierung nach, aus der „Dreigroschenoper“ ausgebrochen und spielten wie Zirkusclowns. Kein Wunder, daß sie die Lacher auf sich konzentrierten. Vielleicht braucht diese „komische“ Oper solche Stimulantia, denn gar so komisch kommt sie uns nicht mehr vor. Heinz Haberland führte lebendig und geschickt Regie, Felix Prohaska leitete den vielbeschäftigten Chor, Solisten und Orchester.

Diese Salome, Prinzessin von Judäa, mochte, als sie 1905 zum ersten Male unter den glitzernden und aufreizenden Klängen des Strauß-Orchesters aus dem Festsaal ins Freie stürzte, als verzogenes Kind mit schlimmen Anlagen von höchstens 16 Jahren gedacht sein. Heute ist sie 50 Jahre älter geworden, und das spürt man, in jeder Hinsicht. Oscar Wildes französisch geschriebenen Text mag man als ein Stück raffinierten Kunstgewerbes anstaunen und gelten lassen. Die grob-auftrumpfende Dekadenz der Straußschen Musik, die statt ein Kammerspiel eine abstoßende Makart-Szene illustriert, geht immer mehr auf die (Geschmacks-) Nerven. Diese ganze Partitur Ist ein Produkt kühl berechnender — und daher zynischer — Artistik, mit der auch Salomes Liebestod am Schluß nicht versöhnt. Wir verstehen daher die junge Finnin L i i s a L i n k o recht gut, daß sie mit dieser Partie nichts anfangen konnte (schade nur, daß sie sich das nicht früher klargemacht hat!) und sind ihr dankbar für den Tip, wohin Salomes Schleiertanz heute hingehört: in die Show oder ins Nachtlokal. Der schönen, aber in der Mittellage zu schwachen Stimme kommt eine vorteilhaft-schlanke Erscheinung zu Hilfe, um einen angenehmen, wenn auch nicht tiefen Gesamteindruck zu hinterlassen. Die übrigen Partien wurden von bewährten Künstlern der Wiener Staatsooer gesungen und dargestellt: Paul Schöffler pls lochanan, Elisabeth Höngen und Läszlo Szemere als Tetrarchenpaar; Wilhelm Loibner dirigierte.

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