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„Slawisch“ war die Parole

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Wie aus unserem Bericht, der sich mit den Sprechstücken der Grazer Sommerspiele befaßte, zu ersehen war, hat auch das diesjährige Festival trotz eindeutiger Linie nicht den Nachweis der Berechtigung, geschweige denn der Notwendigkeit dieser Institution zu erbringen vermocht. Die Stimmen mehren sich, die für eine Verlegung der Veranstaltungsreihe vom Sommer in den Herbst eintreten. In der Tat ist ein solches Theater- und Konzertkonzentrat im Frühsammer für die Steirer — die ja fast ausschließlich das Publikum stellen — eher eine Belastung; im Herst hingegen böte sich eine Verbindung zwischen der „Steirischen Akademie“ und der bekannten „Trigon“-Ausstellung einerseits und einer Serie markanter musikalischer und theatralischer Darbietungen anderseits als vernünftige Lösung an. Organisatorische Schwierigkeiten müßten sich bei gutem Willen beseitigen lassen. Das Debakel der Sommerspiele währt nun schon zu lange, als daß man sich ertauben dürfte, noch einige Jahre weiiterzuiwursteln.

Ähnlich wie im Schauspiel wurden auch im Opernhaus Werke aus dem Ost-Repertoire der Saison in die Sommerspiele übernommen. Dazu kam als einzige Neuinszenierung die selten gespielte Oper „Dimitrlj“ von Dvorak (Dirigent Klobuöar, Regie Haberland). Der Reiz dieser Stückewahl liegt darin, daß auch Mussorgskijs ,ßoris“ auf dem Spielplan stand: dies gestattete interessante handlungsmäßige Bezüge. Sonst aber enttäuschte Dvoräks Oper aus mehreren Gründen. So schön und melodiös die Musik auch ist, so trifft säe doch nicht annähernd das Gewaltige des Vorwurfs, die Anklänge an Verdi sind allzu hörbar, und die Wiedergabe durch die Grazer Sänger war stellenweise alles andere als überzeugend. Weit mehr Interesse konnte natürlich die zauberhafte Märchenoper „Rusalka“ des böhmischen Meisters beanspruchen, zumal die Wiener Volks- oper sie in einer musikalisch hervorragenden Aufführung unter Jarps- lav Krombholc nach Graz brachte. Das Publikum war begeistert von Christiane Sorell und von Jean Cox; Vaclav Kasliks Regie jedoch wirkte — gemessen an der originellen, von der Latema magica bestimmten Dekorationslösung — flach, provih- ziell und teilweise einfallslos.

hi ähnlicher Weise enttäuschten Regie und Bühnenbilder der beiden Zagrefoer Gastspiele. Kosta Spaii’ Inszenierung von Tschaikowskijs „Pique Dame" war umständlich, manchmal krampfhaft originell, hatte aber immerhin doch einige interessante Momente. Was aber am nächsten Tag der Regisseur Nando Roje bei Borodins „Fürst Igor“ in einem trostlosen Bühnenbild zu bieten hatte, lag noch unter dem Durchschnitt dessen, was man hierzulande von kleinen Provinzbühnen gewohnt ist. Für die merkwürdige Hilflosigkeit in inszenatorischen Fragen entschädigte allerdings zumeist die musikalische Seite des Zagreber Gastspiels. Die kroatische Nationaloper verfügt über ein vehement und mit großer Intensität spielendes Orchester, über einen kraftvollen, hellstimmigen Chor (der bei Borodin aufs schönste zur Geltung kam) und über eine Anzahl guter bis hervorragender Sänger. Unter den letzteren ist besonders die junge Ruza Pospis zu erwähnen, die mit ihrem ‘herrlich strömenden Mezzo bereits internationale Karriere gemacht hat, ferner der immer noch tüchtige Tomislav Neralic (Igor) und Marijana Radev, die faszinierende Pique Dame. Den „Fürst Igor“ dirigierte präzise, aber nicht außerordentlich Niksa Bareza, die „Pique Dame“ leitete der sehr sensible, spürbar intuitive Boris Papandopülo.

Eine Komposition des letzteren konnte man in einem Konzert der Zagreber Philharmonie hören, das mit einem Programm slawischer Musik die außergewöhnliche Qualität dieses in Graz nicht mehr unbekannten Orchesters aufs neue bestätigte. Ein weiteres Orobesterkonzert bestritten die Grazer Philharmoniker unter Klobuöar, auf dem Programm stand der gesamte Zyklus „Mein Vaterland“ von Smetana. Das bedeutet nun bei uns gewissermaßen eine Kuriosität; hört man aber sämtliche symphonische Dichtungen — die das tschechische Vaterland, seine Landschaft, seine Sagen, seine Geschichte und seine Glorie schildern —, dann begreift man erst, warum die „Moldau“ so oft gespielt wird: sie ist der einzige wirklich geschlossene künstlerische Wurf des Zyklus. Freilich — auch die romantische Vdlksliedseligkeit in „Böhmens Hain und Flur“, der gefällige Blutdurst tschechischer Amazonen in „Sarka“ und der daktylische Hussitenchoral in „Tabor“ haben viel für sich —, aber all das an einem Abend wirkt doch ein wenig ermüdend und einförmig, obwohl Dirigent und Orchester in sehr guter Form waren.

Bleibt also noch der sympathischeste — und meist auch perfekteste — Teil der Grazer Sommerspiele, die allseits beliebten Schloßkonzerte in Eggenberg. Diesmal waren es nur vier; gleich das erste brach mit der barock-klassischen Tradition des Ortes: das Wiener Ensemble „Die Reihe“ spielte unter Cerha Frühwerke Arnold Schönbergs, darunter fünf Lieder aus op. 3 und op. 6 und die „Drei kleinen Stücke für Kammerorchester“ aus 1910. Konventioneller als diese aphoristischen Opuscula wirkten dann Debussys Sonate für Flöte, Harfe und Bratsche und das effektvoll musikantische Oktett für Bläser von Strawinsky. Das zweite Konzert (Musica Antiqua unter Rene Clemencic und die Prager Madriga- listen) brachte tschechische Musik aus -dem 14. bis 16. Jahrhundert: Hussitenlieder, Proziessionsgesänge, aber auch Profanmusik — ein Programm, das seinen musealen Reiz nicht verfehlte. Das Zagreber Streichquartett, das die beiden letzten Schloßkonzerte bestritt, ist eine ausgezeichnete Vereinigung, der man unter anderem die Bekanntschaft mit dem „Lyrischen Quartett“ von Josip Slavenski, einem an Bar-

tok orientierten, harmonisch eher konservativen, gutklingenden Werk verdankt. Am besten gelang den Zagrebern — wie nicht anders zu erwarten — Dvoräks F-Dur-Quar- tett op. 96, Zwei Kirchenkonzerte rundeten die musikalischen Veranstaltungen der Sommerspiele ab. Beide boten ein interessantes, nicht alltägliches Programm: Franz Illenberger, der Grazer Meisterorganist, spielte eine Orgelsonate von Kfenek, die Orgelvariationen von Schiske und Präludium, Introitus und Ite missa est von Kodäly, während Walter Klasinc Violinwerke des barocken H. Biber und des Böhmern Venzeslaus Pichl interpretierte. Das zweite Kirchenkonzert gab der Grazer Akademie-Kammerchor unter K. E. Hoff mann. Das interessanteste Werk des Abends war das Stabat mater des 1933 geborenen Polen Krzysztof Penderecki. In drei vierstimmigen Ohorgruppen werden darin alle Möglichkeiten neuzeitlicher musiikalischer Gestaltung von choral-artigen Melismen über den Sprechgesang bis zu unartikulierten Aufschreien genützt. Sieben Teile aus dem „Großen Abend- und Morgenlob“ von Rachmaninow bildeten den erhebenden Ausklang des Konzerts.

Das Defizit der Sommerspiele beträgt heuer 600.000 Schilling. Vielleicht ist diese Summe ein Anlaß für die Veranstalter, neue Wege zu beschreiten. Sonst wäre es nämlich besser, auf alle Festivalamfoitionen zu verzichten...

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